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Ausgabe:

1987

Spalte:

298-300

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kessler, Hans

Titel/Untertitel:

Sucht den Lebenden nicht bei den Toten 1987

Rezensent:

Marschner, Ralf

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I

297 Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 4 298

der er auch nach seiner Untersuchung noch ein Desiderat sieht (346). und aus dem „Grundgefüge" der Theologie R.s verstanden - Tür das
Er ist sich dabei auch der „Bruchstückhaftigkeit der vorgetragenen von ihm Gewünschte hergeben. Um nur eines dieser Zitate heraus-
Uberlegungen" bewußt (379). Im letzten Kapitel - „Kirche als zugreifen: Wenn „dieser Irrglaube" (380), der „nach R.s eigenen
Grundsakrament des Heiles der Welt" (381-424) - wird die Heils- Worten ,die schrecklichste Möglichkeit der Drohung und der Urbedeutung
ausdrücklichen Glaubens und der ihm entsprechenden suchung für den bösen Vollzug des Irrtums im Grunde des
Kirchlichkeit hervorgehoben,' nicht ohne ganz am Schluß mit „eini- Wesens. .." sein soll (so zitiert aus Schriften zur Theologie V, 540,
Ben Andeutungen" auch die positive Bedeutung des „anonymen mit Hervorhebung v. S.) von S. auf die Gefährdung bezogen wird, die
Christentums" für den explizit christlichen Glauben zu behandeln nach seiner Meinung den „anonymen Christen" im Unterschied zum
(421-424). ausdrücklich Glaubenden ständig bedroht, dann nimmt er R. genau

Damit ist freilich nur sehr grob umrissen, was ein Leser im einzel- für das Gegenteil von dem in Anspruch, was dieser sagt. Bei R. ist
nen finden wird, der sich von S. in das „Grundgefüge" der Theologie nämlich damit gemeint - der „falsch gesagte Satz" eines glaubenden,
R s einführen läßt. Eine souveräne Kenntnis des Werks R.s von seinen jedoch „häretischen" Christen, und zwar inmitten von Reflexionen,
ersten Anfängen bis zum Zeitpunkt der Abfassung der Arbeit und in in denen R. darüber nachdenkt, warum es dem Christentum schwerer
allen seinen literarischen Ausfächerungen setzen S. in den Stand, die fällt, einem solchen „Gutgläubigkeit zuzubilligen ... als dem noch
für sein Thema wichtigen Äußerungen R.s zu überblicken, R. selbst nie Christ gewesenen Ungläubigen" (ebd. 538), und die ihn zu der
eindrucksvoll zu Wort kommen zu lassen, verborgene Zusammen- Erkenntnis führen, daß „kryptogame Häresie ... für jeden einzelnen
hänge zwischen entfernten Aussagen zu entdecken, mißverständliche in der Kirche immereine tödliche Gefahr darstellt" (ebd. 565, Hervoroder
ungenaue Formulierungen zu klären und auch Defizite und wei- hebung v. mir). Und einem so guten Kenner der Theologie R.s, wie S.
terfünrende Perspektiven aufzuzeigen. Die Frage, ob man sich den es ist, dürfte auch das Knurren R.s über Passagen in den Ohren klin-
'nterpretationen S.s unbedenklich anvertrauen kann, wird sich nur gen, in denen es mehr darum geht, ihn in eine „Theologie der Stellganz
am Rande einmal stellen, vielleicht daran, daß S. die „spirituel- Vertretung" einzuordnen (413-418), als jene Gesichtspunkte weiteren
" Texte R.s nicht nur, was seine Arbeit auszeichnet, vorbildlich zudenken, um derentwillen er selbst dafür plädiert hat, auf den miß-
m,t zu Rate zieht und ausschöpft, sondern sie auch so zu verstehen verständlichen Begriff lieber zu verzichten. Ob dieser „eigene Standscheint
, als lägen sie alle und in jeder Hinsicht auf derselben Ebene wie ort" auch der Grund für die einzige Lücke ist, die in S.s Auseinander-
die theologischen, oder wenn der Eindruck entsteht, daß er selbst sich Setzung mit der R.-Kritik auffällt? J. B. Metz wird zwar registriert und
für die Interpretation des frühen R. ganz auf die Arbeiten des finni- zitiert, aber seine Bedenken gegen die Theorie von den „anonymen
sehen Theologen T. Mannermaa verläßt. Christen" aus der Sicht seiner politischen Theologie werden nicht auf-

Die Autoren, die als Interpreten oder Kritiker R.s für die Unter- genommen,
suchung von Bedeutung sein können, hat S. umsichtig befragt und ihre Daß R. selbst seine Theorie von den „anonymen Christen" im
Gedanken und Stellungnahmen in die eigenen Überlegungen mit ein- Zusammenhang mit einem epochalen Vorgang im christlichen Glaubezogen
. An der Spitze derer, auf die verwiesen wird, steht - neben bensbewußtsein versteht, den er manchmal als eine „kopernikanische
H. U. v. Balthasar - mit Abstand K. P. Fischer, der wichtigste Wende" bezeichnet hat, erwähnt S. nur sehr verhalten (423). Was in
Gewährsmann S.s für sein R.-Verständnis. Die Entschiedenheit, mit seiner Einleitung noch anklingt - welche Funktion diese Theorie
der am rechten Platz kritische Einwände gegen R., meist überzeugend, dafür haben kann, bestimmte christliche Denkschemata in bezug auf
zurückgewiesen werden, ist gepaart mit unvoreingenommener Offen- das Verhältnis von „Gnade und Welt" zu überwinden und die für ein
heit. in der S. sie gegebenenfalls auch zu verstehen und zu akzeptieren traditionelles katholisches Glaubensbewußtsein nach dem II. Vatika-
vermag. Bezeichnend für seine auf Versöhnung der Kontrahenten mit nischen Konzil gebotene Selbstüberschreitung theologisch zu begrün-
ihren unterschiedlichen Standpunkten zielende Denk- und Arbeits- den und zu vollziehen (6-8)-, kommt in der „Auswertung", die auf
Weise ist es, daß er sich vor wichtigen Schritten in seinem Unter- eine tiefe Begründung dieser Theorie in einer katholischen Theologie
suchungsgang den „Fingerzeig", um den Fragepunkt zu präzisieren der Gnade Christi zurückblicken kann, mit keinem Wort mehr zur
und die Fährtc zu einer Antwort zu entdecken, mehrmals ausgerech- Sprache, - womit ein konkreter Punkt bezeichnet ist, auf den sich u. a.
"et von H. U. v. Balthasar geben läßt (212-215, 2640, und oft fest- die eingangs vermerkte Einschränkung bezieht,
stellt, wie nahe die beiden großen „Gegner" eigentlich beieinander Fazit: Ein Buch, das unter Beachtung seiner begrenzten Zielsetzung
sind (z. B. 193 A 69,231,262 A 104,273 A 120,285 A 135,3330- zu lesen sich lohnt und das sehr dazu beitragen kann, einem nur

Aus dieser friedfertigen Gründhaltung, die wohltuend wirkt und schlagwortartigen Gebrauch des Stichwortes „anonyme Christen"

deren Vorzüge nicht übersehen werden dürfen, ist wohl auch zu erklä- .entgegenzuwirken.

fen, daß S. in seinem dritten Teil die Akzente etwas anders setzt, als es Leipzig Siegfried Hübner
den Texten zu entnehmen ist, in denen R. selbst seine Theorie vertritt.

Die Ausführungen von S. sind hier unverkennbar darauf angelegt, die Kessler, Hans: Sucht den Lebenden nicht bei den Toten. Die Auf-
Theorie von den „anonymen Christen" möglichst zu entschärfen und erstehung Jesu Christi in biblischer, fundamentaltheologischer und
sie als in das Ganze gegenwärtiger katholischer Theologie harmonisch systematischer Sicht. Düsseldorf: Patmos 1985. 422 S. 8'. Lw.
integrierbar erscheinen zu lassen. Damit wird eine „Differenz des 39,80.

eigenen Standortes [= S.s] zu dem des Autors (= R.s]" greifbar, von der Das Thema „Osterglauben" wird gegenwärtig in katholischen Ver-
S. schon in der Einleitung bekannt hat, daß sie „nie völlig zu über- öffentlichungen weit häufiger reflektiert als in protestantischen
winden" sei (18). Aberwirkt sie sich hierauch so „vorteilhaft" aus, Neuerscheinungen, so ist es nicht erstaunlich, daß die vorliegende
wie S. es dort erhofft? S. betont in seiner „Auswertung"-unter vielem Untersuchung aus der Hand eines katholischen Autors stammt,
anderen, was er zutreffend aus den Texten R.s erhebt - die „Not und Erstaunlich aber ist die Sachkundigkeit, Ausgewogenheit und VerGefährdung
" des „anonymen Christen" gegenüber der ungleich gün- ständlichkeit dieser Darstellung. Und es ist höchst erfreulich, daß zu
stigeren Heilssituation des expliziten Christen in einer Weise, die sich den zahlreichen Spezialuntersuchungen der 60er und 70er Jahre (mit
nicht so geradlinig aus dem Vorhergehenden ergibt, wie es in seiner exegetischer, systematischer und religionsgeschichtlicher Fragestel-
Darstellung klingt (369-372, 379f, 395-405). Die „Differenz" zwi- lung usw.) hier der Versuch einer Gesamtdarstellung unternommen
sehen ihm und R. kann leicht im Vergleich mit einigen Texten R.s wird. Dem Vf., der Systematische Theologie an der Universität
ausgemacht werden, die er selbst zitiert (z.B. 87 A 32, 361fA29, Frankfurt/M. lehrt, gelingt damit eine beachtliche Monographie.
388 A 21; vgl. auch, wasS. überdie „suchende Christologie" referiert: Trotz einiger offener Fragen gibt es wahrscheinlich im deutschen
374-379). Es ist zu bedauern, daß er nicht bemerkt hat, wie wenig die Sprachraum keine vergleichbar gründliche Erörterung dieser Thema-
von ihm ins Feld geführten Aussagen R.s - in ihrem Kontext gelesen tik neueren Datums.