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Ausgabe:

1987

Spalte:

292-293

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Poulat, Émile

Titel/Untertitel:

L' église, c'est un monde 1987

Rezensent:

Kretzschmar, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 4

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mationen. Dafür sind in insgesamt 18 Einzelkapiteln 17 Autoren verantwortlich
. Lediglich der Hg., der Frankfurter Jesuit Werner Löser,
ist mit zwei Aufsätzen vertreten. Der Hg. unterstreicht, daß sich In den
unterschiedlichen Stilen und Perspektiven der ganz verschiedenen
Situationen verhafteten Autoren „noch am ehesten die nicht systematisierbare
Vielgestaltigkeit der Erscheinungsweise und Lebensäuße-
rungen" der Kirche reflektiert (S. 7). Und in der Tat begegnen recht
differenzierte Bilder, die alle auf ihre Weise ernst genommen werden
müssen, aber erst zusammengenommen ein einigermaßen angemessenes
Bild der gegenwärtigen römisch-katholischen Kirche abgeben.

Im ersten Teil, „Kirche - Mysterium und Institution", (S. 9-1 I I)
werden ausgehend von den Dokumenten des II. Vatikanischen Konzils
die grundlegenden ekklesiologischen Komponenten bedacht.
Hiervon ist vor allem der ausführliche Beitrag von Yves Congar.
„Katholizität und Romanität - das wechselvolle Miteinander zweier
Dimensionen der Kirche im Wandel der Zeiten" (S. 47-87) herauszuheben
, in dem sich auch jenes Zitat von der Konfessionalisierung
der Katholizität findet. Hier ist viel Wichtiges zu lesen, was man auch
innerhalb der römisch-katholischen Kirche allerseits beherzigt wünschen
möchte. Werner Lösersetzt mit einem knappen Kapitel die Betrachtung
der Wesenseigenschaften der Kirche fort: „Apostolische
Kirche" (S. 88-96). Dabei geht es ganz im Sinne der herkömmlichen
Entfaltung um die traditio apostolica (Wort Gottes und Sakramente)
und um die sucecssio apostolica.

Der zweite Teil betrachtet die „Weltkirche heute" (S. 1 13-327),
eingeleitet von einem sehr interessanten Durchblick durch die „Entwicklungen
im Gegenwartskatholizismus" von David A. Seeber
(S. 115-137), der- damit auch den Beitrag von Steinmetz ein wenig
ergänzend - die „Innenseite" der Kirche anschaulich macht, während
die folgenden Kapitel ganz dem äußeren Erscheinungsbild in den verschiedenen
Erdteilen gewidmet sind. Hier überwiegen rein statistische
Feststellungen zu Kirchen- und Personalstruktur. Substantiell am
dichtesten und auch am stärksten an den anstehenden Problemen
orientiert erscheint in dem Zusammenhang der Beitrag von Bischof
Valerian d'Souza, „Die katholische Kirche auf dem indischen Subkontinent
" (S. 191-214).

Schließlich entfaltet der dritte Teil als einen eigenen und schon
durch seine Ausführlichkeit besonders gewichtigen Schwerpunkt
„Kirche in der Ökumene" (S. 329-455). Wiederum leitet ein mehr
grundsätzlicher Beitrag ein: „Das Einheits- und Ökumenismuscr-
ständnis der römisch-katholischen Kirche" (Werner Löser.
S. 331 -345). Programmatisch wird das heutige Einheits- und Ökumenismusverständnis
vom früheren abgehoben als ein „neues, vertieftes,
biblischen und vor allem kirchengeschichtlichcn Gegebenheiten eher
gerecht werdendes" Verständnis. Die maßgeblichen Gesichtspunkte
sind „Einzigkeit in Offenheit" und „Einheit in Mannigfaltigkeit".
Dabei wird ausführlich kommentiert, was das IL Vatikanische Konzil
mit der Fügung, die einzige Kirche Jesu Christi sei „verw irklicht (sub-
sistit) in der katholischen Kirche", gemeint habe. Löser resümiert:
„Die römisch-katholische Kirche beansprucht also auch nach dem
II. Vatikanischen Konzil, die einzige Kirche Jesu Christi zu sein. Aber
sie schließt damit nicht aus, daß die anderen christlichen Gemeinschaften
auch Kirchen und kirchliche Gemeinschaften sind. Sie sind
es kraft ihrer Hinordnung auf die römisch-katholische Kirche und
aufgrund der in ihnen lebendigen Elemente sakramentaler Kirchlichkeit
." (S. 338) In aller wünschenswerten Ausführlichkeit werden
sodann die Beziehungen zu den orthodoxen Kirchen, den reformatorischen
Kirchen und Gemeinschaften sowie das Verhältnis zum Ökumenischen
Rat der Kirchen dargestellt. Gleichsam als ein Anhang
erfährt auch die Begegnung mit außerchristlichen Kulturen und Religionen
eine entsprechende Würdigung.

In summa: Der vorliegende Band liefert sicher kein vollständiges
Bild von der römisch-katholischen Kirche. Dazu bleiben zu viele
wichtige Aspekte von Geschichte, Lehre und Leben unberücksichtigt.
Als ein Ausschnitt aber davon, was die römisch-katholische Kirche
als Kirche in Selbstverständnis. Erscheinung heute und ökumenischem
Wollen charakterisiert, ist er ausgesprochen hilfreich und
ganz sicher ein guter Beitrag zum Gespräch.

Schöneiche bei Herlin Hubert Kirchner

l'oulat. Emile: l.'Kglise c'est un munde. L'EccIesiosphere. Paris: Cerf
1986. 282 S. 8' = Sciences humaines et religions.

Der Vf. ist ein in Frankreich bekannter Historiker. Soziologe und
promovierter katholischer Theologe (1949 in Fribourg). Ihm geht es
in diesem Buch darum, die römisch-katholische Kirchealseineeigene
Welt darzustellen und zu zeigen, daß man ihr nicht gerecht wird,
wenn man sie durch die rückläufigen Zahlen des Besuches der Sonntagsmesse
oder anderer kirchlicher Handlungen zu erfassen versucht
.

Die Kirche ist vielmehr überall gegenwärtig als ein außerordentlich
komplexes Ganzes. Der Vf. weist u. a. auf ihre fast 2000jährige
Geschichte hin. nennt aber auch die durch sie geprägte Kultur, ihre
Organisation, ihre Finanzmacht und ihre zentrale Verwaltung. Sie
gleicht, um Roger Vailland zu zitieren, „dem heiligen römischen
Imperium" (S. 9). Dazu kommt noch ihre einheitliche Weltanschauung
(Vf. schreibt das letztgenannte Wort in deutscher Sprache, S. 9).

In diesem Zusammenhang prägt der Autor eine eigenständige
Bezeichnung: L'EccIesiosphere. Er setzt sie damit in Parallele zu politischen
Einflußbereichen. So wie diese die Gegenwart beeinflussen, so
tut dies seiner Meinung nach auch die römisch-katholische Kirche.
Das Papsttum wird als Größe bezeichnet, mit der auch die Staaten zu
rechnen haben. Der Vf. macht dann deutlich, daß Frankreich und das
Papsttum die beiden Pole dieser Untersuchung seien. Er geht dabei
der Frage nach, wie sein Heimatland einerseits als zutiefst säkularisiert
, andererseits dennoch als „hartnäckig katholisch" angesehen
werden kann. Er nimmt dabei die Fragestellung der beiden katholischen
Priester auf. die sie bereits 1943 stellten: C. Godin u.
Y. Daniel: «France pays de mission?» - („Ist Frankreich Missions-
land?") und der sich eine Kette von kirchensoziologischen Untersuchungen
aus den verschiedenen Regionen und Konfessionen
anschloß.

Nach Ansicht des Vf. kann man die richtige Antwort nur finden,
wenn man vorher die Doppelfrage stellt: „Was heißt es. in der modernen
Welt katholisch zu sein?" und „Was bedeutet es. katholisch in der
römischen Kirche zu sein?" Auf diese beiden Fragen kann man,
jedenfalls nach der Meinung des Autors, als Historiker und Soziologe
keine katechismusartige, vereinfachte Antwort finden. Die Kompliziertheit
der Aussage macht aber gerade die Einmaligkeit und Eigentümlichkeit
des Untersuchungsgegenstandes aus.

Daß es sich der Vf. in der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen
nicht leicht gemacht hat. verrät der Aufriß seines Buches. Im ersten
Teil geht erder Problematik nach, was es heißt „Franzose und Katholik
" zu sein, und wie offizielle Befragungen über den Gottesdienstbesuch
aussehen bzw. im Jahre 1903 in der Umgebung von Paris aussahen
.

Der zweite Teil ist stark historisch bestimmt. Dem Leser werden
Persönlichkeiten wie Lamennais. Michon, Veuillot und Goyau vorgestellt
und im Zusammenhang mit der Thematik des Buches interpretiert
.

Der dritte Teil schließlich beschäftigt sich mit dem Papsttum der
Gegenwart und mit der römisch-katholischen Kirche, ihrem Wissen
und ihrer Macht. Auch auf die bekannte Spannung zwischen „Reich
Gottes" und „kirchlichem Imperium" wird eingegangen, um zuletzt
wieder bei der eingangs genannten «Ecclesiosphere» zu sein, freilich
nunmehr ergänzt durch eine katholische Erneuerungsbewegung
(«mouvement catholique»). die sich vor allem auch im sozialen Engagement
zeigt und die ihrerseits bereits eine längere Geschichte hat.

Dieses anspruchsvolle Buch ist für den deutschen Rez. nicht immer
leicht zu verstehen. Das trifft vor allem dort zu. wo der Vf. für seine
französischen Leser bestimmte historische Vorgänge nur anzudeuten