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Ausgabe:

1987

Spalte:

275-278

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Körtner, Ulrich H. J.

Titel/Untertitel:

Papias von Hierapolis 1987

Rezensent:

Rohde, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 4

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Theologie zu verstehen. Sch.s Buch hat dazu einen ganz wesentlichen
Beitrag geleistet.

Bethel Andreas Lindemann

' Im selben Jahr erschien H. Paulsens Neubearbeitung des Bauerschen
Kommentars zu Ignatius und Polykarp, HNT 18, Die Apostolischen Väter II,
(vgl. ThLZ 111,1986, 758).

Körtner, Ulrich H. J.: Papias von Hierapolis. Ein Beitrag zur
Geschichte des frühen Christentums. Göttingen: Vandenhoeck &
Ruprecht 1983.371 S.gr. 8' = FRLANT, 133. Lw. DM 82-.

Innerhalb der ntl. Einleitungswissenschaft haben bei der Untersuchung
des ersten und zweiten Evangeliums stets die bei Euseb überlieferten
Äußerungen des Bischofs Papias von Hierapolis in seiner aus
fünf Büchern bestehenden Exegesis der Herrenlogia zu Matthäus und
Markus eine gewichtige Rolle gespielt und schließlich zur Herausbildung
der noch heute weitgehend akzeptierten Zweiquellentheorie
geführt. Im übrigen wurde es nur als geringer Verlust angesehen, daß
uns von diesem Werk des Papias nur einige wenige Fragmente und
sonstige Nachrichten erhalten geblieben sind. Charakteristisch für
diese Haltung ist in neuester Zeit etwa das Urteil von Conzelmann:
„Von seinem fünfbändigen Werk sind nur ganz wenige, kümmerliche
Fragmente geblieben; sie lassen den Verlust des Werkes als erträglich
erscheinen . .. Bis heute werden seine Notizen über die Entstehung
der Evangelien unendlich viel diskutiert. Sie sind samt und sonders
geschichtlich wertlos" (Geschichte des Urchristentums, Lizenzausgabe
Berlin 21972, S. 17). Das bisher die Forschung weitgehend
beherrschende und durch das einseitige Urteil Eusebs veranlaßte Vorurteil
, Papias sei geistig sehr beschränkt gewesen (h. e. 111,39,13), soll
durch die vorliegende Untersuchung überwunden werden. Vf. versteht
seine Untersuchung als Beitrag zur Aufhebung der Grenze zwischen
ntl. und frühkirchengeschichtlicher Forschung. Dabei stoße die
Untersuchung der Papiasfragmente immer wieder in zentrale Bereiche
ntl. Forschung vor (Vorwort).

Die Untersuchung wurde einst von Gerd Lüdemann und Ulrich
Luz in Göttingen angeregt und aufgrund des Erst- bzw. Zweitgutachtens
von Dieter Lührmann und Andreas Lindemann von der Kirchlichen
Hochschule Bethel im WS 1981/82 als erste Dissertation in
ihrer Geschichte angenommen.

Methodisch geht Vf. so vor, daß er sich sowohl von einer Kirchenhistorie
abgrenzt, „die Urchristentum, apostolische und nachapostolische
Epoche wie Perlen der Rechtgläubigkeit aneinanderreiht und
den gelegentlich zu beobachtenden Abfall einiger Gruppen vom Pfade
der Rechtgläubigkeit beklagt" (232), als auch die tendenzkritischen
Geschichtsspekulationen von F. Chr. Baur im 19. Jh. für ungenügend
hält, der die frühchristliche Entwicklung auf die zwei Pole des Juden-
und Heidenchristentums reduzierte, die in die katholische Synthese
eingemündet seien. Stattdessen weiß er sich einer Methode zur Darstellung
von territorialen Entwicklungslinien verpflichtet, wie sie
durch Walter Bauer, Helmut Köster und James M. Robinson vorgeführt
worden ist.

In der Einleitung (13-23) beschreibt er zunächst die Forschungslage
und formuliert die Aufgabenstellung: Die erhaltenen Textfragmente
seien unter einer doppelten Fragestellung zu untersuchen: 1. nach der
Tradition auf ihrer literarischen Ebene und ihren möglichen Vorläufern
und Nachfolgern. 2. Welche geschichtliche Entwicklung stehe
hinter der Traditionsbildung und habe in ihr ihren Niederschlag
gefunden; es müsse die Funktion der Notizen über Matthäus und
Markus bei Papias redaktionsgeschichtlich ermittelt werden: als
Überreste eines geschlossenen Werkes mit durchdachter Konzeption.
Dazu sei es notwendig, zunächst die chiliastisch-apokalyptische
Theologie des Papias in den Fragmenten zu erheben. Während die
bisherige Forschung mehr zu einer Spätdatierung des Papiaswerkes

neigte (Harnack: 140-160), tendiert Vf. vorsichtig zu einer Frühdatierung
um 110, hält den Hierapolitaner also für einen Zeitgenossen etwa
des Ignatius von Antiochien. Für diese Frühansetzung bringt er
gewichtige Gründe vor, die durchaus Anspruch und Aussicht darauf
haben, beachtet und auch akzeptiert zu werden.

Die eigentliche Untersuchung ist in drei Teile mit 11 Kapiteln und
36 §§ untergliedert. Dabei widmet sich Teil I unter der Überschrift
„Die fünf Bücher Exegesis der Herrenlogia und ihr Autor" (25-96)
den Fragmenten des Papiaswerkes, wobei u. a. neben dem vollständigen
Text der Fragmente eine neue Übersetzung geboten wird, ferner
dem Bischof Papias und seiner Stadt. Der Teil II enthält „Die Interpretation
der Fragmente" (97-184), und zwar sowohl eine Auslegung
der Einzelüberlieferungen (A) als auch Studien zur Gesamtanlage des
Papiaswerkes (B). Teil III „Papias und die Geschichte des frühen
Christentums" (185-231) geht den Beziehungen des Papias zur Apo-
kalyptik und zum Chiliasmus Kleinasiens sowie zum johanneischen
Kreis und zum Judenchristentum nach.

In Anbetracht des zur Verfügung stehenden Platzes seien nur folgende
Ergebnisse herausgestellt: Aus der Analyse des Presbyterbegriffes
ergebe sich folgender Unterschied zwischen Papias und Irenäus:
Irenäus unterscheide deutlich zwischen Aposteln und Presbytern
(Schüler von ersteren auf Wanderlehrcrschaft), während bei Papias
nicht deutlich werde, ob Presbyter mit den bei Euseb (h. e. III.39,4)
aufgezählten Herrenjüngern bzw. Aposteln identisch oder von ihnen
zu unterscheiden seien (115). Bei Irenäus seien sie eine homogene
Gruppe im Schülerverhältnis zu den Aposteln, besonders zu Johannes
, also Lehrautoritäten im Kampf gegen die Häresie und gehörten
auch zur bischöflichen Traditionskettc (1 17). Der Unterschied des
Papias zu Irenäus bestehe darin, daß sie bei ihm nur Apostelschüler,
aber nicht auch Herrenjünger seien. Aus dem Chiliasmus des Papias
schließt Körtner, daß der Verfasser der Offb ein judenchristlichcr Prophet
aus Palästina gewesen sein könne, der mit dem Presbyter Johannes
bei Papias identisch war, zumal die Empfängerortc Philadelphia
und Laodicea der Gemeindebriefe (Offb 3,7-22) in der Nähe von
Hierapolis gelegen hätten. Im Unterschied zu Papias gehörten die
Presbyter bei Origenes durch die Weihe schon zum Klerus. Dadurch,
daß die Presbyter bei Papias Wanderlehrer seien, seien sie von lokalen
Gemeindeämtern unabhängig, d. h. das Verhältnis der Presbyter des
Papias als Wanderlehrer zu den Gemeinden und ihren ansässigen
Funktionären werde nicht reflektiert (130). Die Presbyter des Papias
gehörten also in das breite Spektrum der frühchristlichen Wanderprediger
, für die es sehr unterschiedliche Bezeichnungen gebe.

Eigene Wege geht Vf. besonders bei der Bestimmung der Gattung
der Herrenlogia bei Papias. Sie hätten Jesus nicht zum Subjekt, sondern
zum Objekt, hätten also mit der Gattung einer Redenquelle
nichts zu tun, sondern meinten etwa kurze Geschichten über Jesus
und seien etwa mit der Gattung der Apomnemoneumata (vgl. Xeno-
phon über Sokrates) zu vergleichen. Papias meine mit Logoi Kyriou
also Stoffe, die in formgeschichtlicher Hinsicht disparat seien, also
die ganze Bandbreite von Herrenworten über Apophthegmata bis zu
Wundergeschichten und Legenden umfasse (159). Die Exegesis bei
Papias sei also keine Auslegung in unserem Sinne, also kein Kommentar
zu Herrenworten, denn sonst müßten sich irgendwelche Jesusgeschichten
aus dem Papiaswerk erhalten haben. Man dürfe also nicht
Logia und Hermeneia identifizieren. Die Exegesis des Papias meine
eine auslegende Darstellung der Herrenlogoi (163), ähnlich den Verfassern
der synoptischen Evangelien, die durch Auswahl und Akzentuierung
gleichzeitig Auslegung getrieben hätten (164). Gattungsgeschichtlich
sei das Papiaswerk ein Unicum, den Hypomnemata des
Hegesipp um 180 vergleichbar, die sich auch nicht gattungsgeschichtlich
einordnen ließen. Das Papiaswerk gehöre zu keiner der uns
bekannten Gattungen und zeige lediglich in Einzelzügen Verwandtschaft
mit den ntl. Evangelien, sei also durch eine gattungsgeschichtliche
Einzigartigkeit ausgezeichnet (167).

In der Bewertung der polemischen Funktion des Papiaswerkes
kehrt der Vf. die Erwägung Lightfoots, Papias kämpfe vielleicht gegen