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Ausgabe:

1987

Spalte:

268-271

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eckstein, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Der Begriff Syneidesis bei Paulus 1987

Rezensent:

Wolff, Christian

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 4

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welch einen unmittelbaren Inhalt es für ihn hatte. Dem sind zwei der
drei Teile des Buches gewidmet.

Teil I analysiert, was das Neue Testament über „Paulus als Verfolger
" erkennen läßt. Sicher hat er in Damaskus die Gemeinde verfolgt,
vermutlich ausgestattet mit autorisierenden Briefen aus Jerusalem.
Vielleicht hat er bereits in Jerusalem aktiv oder passiv an der Verfolgung
der gesetzeskritischen Hellenisten teilgenommen, jedenfalls
dort dieses Christentum kennen und hassen gelernt.

D. rechnet damit, daß Paulus sich bei der Schilderung seiner Verfolgertätigkeit
weitgehend sprachlich der Tradition bedient, mit denen
die einst verfolgten Gemeinden über ihn sprachen. Daraus folgert er,
daß hinter dem „wir" bzw. „uns" in Gal 1,23 (so, nicht 1,13, muß es
S. 9, Z. 9 heißen) die Selbstbezeichnung ixxXraia roß i)eoö steht. Er
gewinnt damit „ein Dokument von besonderer Kostbarkeit. Hier wird
die Selbsttitulatur der frühesten Christenheit aufbewahrt" (9). Wäre
diese Konstruktion richtig, so hätte das freilich für D. die fatale Folge,
daß dann die verfolgte Gemeinde kaum (nur) die der Hellenisten sein
könnte. Er brauchte allerdings diese Folge nicht zu fürchten.

Der eigentliche Grund für die Verfolgertätigkeit des Paulus ist die
Zerstörung des Gesetzes durch die Christen. Das Gesetz ist ihm, wie
jedem Juden, der Existenzgrund Israels. In der Stephanusgruppe nun
begegnete ihm eine Gemeinschaft, „die dem Gesetz in grundsätzlicher
Distanz gegenübertritt" (29). Es ist aber doch fraglich, ob das in sich so
stimmt und ob sich die Hellenisten in dieser Frage wirklich fundamental
von der Gruppe um die Zwölf unterschieden. Damit dürfte
Act 8,1 eine zu große Last aufgebürdet sein. Vor allem aber in der
Verkündigung eines Gekreuzigten als des Christus mußte nach D.
Paulus die Zerstörung des Gesetzes erblicken. Denn ein Gekreuzigter
ist ein von Gott Verfluchter; Gal 3,13 zeigt, daß Paulus Deut 21,23 in
der Tat so verstand, und D. nimmt an, daß schon der vorchristliche
Paulus von dort her die christliche Predigt beurteilte. „Die Verkündigung
des gekreuzigten Jesus war also für den vorchristlichen Paulus
weniger ein Zweites neben der christlichen Gesetzeskritik, sondern
deren ins Unerträgliche gesteigerte Verschärfung." (39) Dann aber
wird vollends unverständlich, warum „Paulus nach allem, was wir
wissen können, nur die gesetzeskritischen, nicht aber die gesetzestreuen
Judenchristen verfolgt hat, obwohl doch auch diese den
Gekreuzigten verkündigten" (40). Zur Erklärung dessen auf die
„Feinde des Kreuzes" Phil 3,18 als einer christlichen Gruppe zu verweisen
(41 f; vgl. auch 130), ist ein mißlicher Ausweg. Aber es kommt
D. alles darauf an, die Beziehung des Paulus zur christlichen Verkündigung
radikal auf die Frage des Gesetzes zu konzentrieren.

Teil II beschäftigt sich mit dem „Vorgang der Berufung". Neben
den bekannten Texten (Gal l,15f, lKor9,l; 15,8-11) wird dafür
auch 2Kor 4,6 in Anspruch genommen. Paulus erfuhr bei Damaskus
nach D. eine Vision, die mit einer Audition verbunden war. Zwar ist
er bemüht, diese „Vision" nicht in der subjektiven Voraussetzung des
Paulus, als sei er bereits zuvor zum Glauben an den Gekreuzigten als
den Christus gekommen, zu begründen, bestreitet ihr aber doch die
fundamental-glaubenbegründende Bedeutung. Sie wird zum persönlich
gebundenen Weg, Jesus in seiner Wahrheit zu erfahren. Die pau-
linische Theologie und Verkündigung verdankt sich zwar biographisch
jenem Geschehen, ist inhaltlich aber nicht abhängig von ihm
(54)! Dadurch wird sachlich der Christologie der Primat genommen,
sie vielmehr zum Vehikel, die Wirklichkeit und Wahrheit des Gesetzes
zu erkennen.

' Der dritte Teil, der die „Konsequenzen der Berufung" behandelt,
setzt sogleich mit der Frage nach dem Gesetz ein. Denn hier fällt nach
D. die theologische Grundentscheidung, die aus dem Damaskusercig-
nis erwächst. Bemerkenswert ist, daß er für die Auffassung von der
Kirche gar keine, für die von der Eschatologie nur eine sehr
beschränkte Bedeutung des Damaskuserlebnisses erkennen kann (90).
Das ist besonders hinsichtlich der Eschatologie ein Urteil, das den
wahren Sachverhalt entscheidend verkennt.

Die fundamentale Erkenntnis des Paulus ist - nach D. - diese: Der
vom Gesetz Getötete und Verfluchte ist in Wahrheit der Sohn; daran

wird sichtbar, daß die Tora grundsätzlich nicht Macht zum Leben ist.
„Im Geschick Jesu ist die verhängnisvolle Rolle an den Tag gekommen
, die die Tora immer und überall, in Israel und in der Welt,
gespielt hat." (96) Sie hat sich als Fluch- und als Todesmacht erwiesen
. Solches Urteil gipfelt in dem Satz; „Mit Recht wurde Jesus vom
Gesetz verworfen und vernichtet" (133). D. wird nicht müde zu wiederholen
, das Gesetz habe Jesus ans Kreuz gebracht, getötet, vernichtet
. Bei Paulus finde ich dergleichen Aussagen freilich nicht. Gewiß,
Jesus trifft der Fluch des Gesetzes (Gal 3,13), aber das ist die Folge der
Kreuzigung, nicht ihr.Grund! Dahingegeben (in den Tod) hat Gott ihn
(Rom 8,32; vgl. 4,25) bzw. Christus sich selbst (Gal 2,20); gekreuzigt
haben ihn die Archonten dieser Welt (lKor2,8; vgl. andererseits
1 Thess 2,140, zur Sünde gemacht hat ihn Gott (2Kor 5,21). Daher ist
für Paulus das Gesetz nicht zur „sinnzerstörenden Größe" geworden
(102), sondern es ist und bleibt „heilig", das Gebot ist „heilig, gerecht
und gut", „auf Leben ausgerichtet" (Rom 7,10.12). Daß es tatsächlich
nicht Leben zu schaffen vermag (Gal 3,21), das hängt allein an der
Sünde, die den Menschen unausweichlich gegen das Gesetz stellt. D.
sieht diesen Tatbestand gelegentlich durchaus (z. B. 111-113.1330.
will ihn aber doch immer wieder mit dem Wesen der Tora selbst in
Beziehung setzen. Er spricht dann etwa über die „von der Sünde in
Besitz genommene Tora . . ., die dadurch gegen ihre eigentliche
Bestimmung zur Unheilsmacht werden mußte" (111); Christus hat
„die Tora als die zum Funktionär der Sünde gewordene Größe offenbar
gemacht" (120); das Gesetz ist „in seinem Fluchcharakter an den
Tag gekommen", es ist „zum Instrument der Sünde geworden"
(133).

Diese Tora ist durch das Auftreten Christi außer Geltung gesetzt,
die Geschichte dadurch zu ihrem Ende, die Welt zur Wende gebracht.
Nicht die Totenauferstehung, die in der Erfahrung vor Damaskus für
Paulus sich als wirklich erwies, sondern die Aufhebung der Tora
durch Christus soll den neuen Äon nach D. heraufgeführt haben. Wie
auch immer man nun Rom 10,4 verstehen mag, in keinem Falle ist
gemeint, das Gesetz sei mit Christus einfach abgeschafft. Rom 3.21
sagt keinesfalls, Gott habe in Christus seine Gerechtigkeit „an der
Tora vorbei .. . und d. h. auch: gegen die Tora realisiert" (118), sondern
vielmehr: bezeugt von dem Gesetz und den Propheten.

Schließlich begreift D. auch die paulinische Christologie nur von
ihrer Bedeutung für die Gesetzesproblematik. Die Kreuzigung Jesu
erweist die absolute Todesmacht des Gesetzes, in der Auferweckung
„setzt Gott seinen weltumfassenden Segen durch gegen die Verfluchung
, die die Welt gegen "Jesus aufgeboten hatte (Gal 3,130"
(136).

Das Buch, eine späte Münchener Habilitationsschrift, ist mit Konsequenz
und bemerkenswertem Engagement geschrieben. Gelegentlich
hat man den Eindruck, als wolle das Engagement die Argumentation
verdrängen. Eine intensive exegetische Einzelarbeit wäre gewiß
dem Buch zugute gekommen, wie auch die Verarbeitung der wissenschaftlichen
Literatur nicht so umfassend und intensiv ist, wie man es
sich bei diesem wichtigen und gegenwärtig besonders aktuellen
Thema wünschte. In jedem Falle zeigt das Buch, daß die alternative
Entgegensetzung von Gesetz und Christus die paulinische Theologie
nicht erschließen kann; fundamental bleibt, daß sowohl Gesetz wie
Christus in dem Handeln des Gottes, der einer ist, ihren Grund haben.
Überzeugend freilich zeigt D., daß im Damaskusgeschehen in der Tat
die paulinische Theologie ganz begründet ist und daher als seine Entfaltung
begriffen werden muß. Nur ergibt sich daraus notwendig der
Primat der Christologie.

Halle (Saale) Traugott Holtz

Eckstein, Hans-Joachim: Der Begriff Syneidesis bei Paulus. Eine
ncutestamcntlich-exegetische Untersuchung zum „Gewissensbc-
griff". Tübingen: Mohr 1983. VII, 340S.gr. 8" = WUNT,2. Reihe.
10. Kart. DM64,-.