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Ausgabe:

1987

Spalte:

261-263

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Collins, John Joseph

Titel/Untertitel:

Daniel 1987

Rezensent:

Koch, Klaus

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 4

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mord, Ham, so jedenfalls nach N., durch ein geschlechtliches Vergehen
an seinem Vater-, und es kommt in beiden Fällen zur Aussonderung
des Übeltäters und damit zur Fortsetzung des Schöpfungs-
Prozesses der Definierung und Differenzierung (S. 45).

Wenn auch die Herausarbeitung eines "rivalry/separation pattern"
uberzeugt, so irritiert doch die Teilüberschrift "The Underrating and
Overrating of Family Members" (S. 45), die im Anschluß an C. Levy-
Strauss(Structural Anthropology, 1967) gewählt worden ist. Während
Underrating" als Umschreibung eines Brudermordes (so S. 48 u. ö.)
n°ch angehen mag, kann von dem Gegenteil hiervon, "Overrating",
beim geschlechtlichen Vergehen am Vater (so S. 51 u. ö.) doch nicht
die Rede sein.

Der zweite Teil der Arbeit, überschrieben mit "Genesis 1-11: The
Re-creation of Themes", behandelt zunächst Gen 1-11 als Ganzes,
um dann das Schöpfungs- und Paradiesthema in den Propheten-
büchem, der zwischentestamentlichen Literatur und in der frühen
Christenheit zu untersuchen.

Gen 1-11 in der jetzt vorliegenden Gestalt ist nach Meinung der
Vfh. durch einen "composer" der nachexilischen Zeit entscheidend
geprägt, Tür die die auch in Gen 1-11 vorliegende Betonung der Sündhaftigkeit
typisch sei (S. 66f)- "Genesis 1-1 1 finds its home in the
thought-world of the sixth Century B. C. priestly establishment,
Wemplified by the prophet Zechariah" (S. 68). Lassen sich dagegen
auch Einwände erheben - das Bild des Anwachsens der Sünde dürfte
bereits das Werk der P vorausgehenden Zusammenfassung der Urgeschichte
sein -, so ist doch die Beobachtung richtig, daß die alten
Mythen, die an sich keine Wertungen enthielten, erst durch ihren Einbau
in einen linearen Erzählungszyklus das Gefälle zu einem "de-
Pressing pattern of increasingevil" (S. 66) bekommen haben.

Die Wiederaufnahme des Schöpfungsmotivs wird besonders in
Dan 7 und äthHen nachgewiesen, wo die Geschichte als Chaos verstanden
wird und (so in äthHen) eine neue Paradieshoffnung aufseheint
; dazu in Jes 11,1-9 und Jes65,17-25, wo das vorgestellte
Zukunftsbild an Eden gemahnt, wenn es auch nicht ganz den Gedanken
einer völligen Umkehr zur communitas erreicht (S. 83-84).

Doch im frühen Christentum erlebt, wie im abschließenden Abschnitt
ausgeführt wird, die communitas-Vision "a füll and genuine
renaissance" (S. 84). Belegt wird das vor allem mit paulinischen
Texten (Rom 8,18-22; Gal 3,23-26; Gal6,15; 1 Kor 7,29-31) und
bellen aus den Synoptikern (Mk 3,31-35; Lk 8,19-21; Mt 6,31-33
u- a.). Es wird dabei deutlich gemacht, daß das Ideal der communitas
mit Schwierigkeit und nur so lange durchgehalten werden konnte, wie
die Aufrichtung des Gottesreiches in der Glaubensvorstellung unmittelbar
bevorstand. Bald setzte sich die Tendenz des Menschen
nach Strukturen, Einteilungen und Aufstellen von Regeln wieder
durch, was u. a. am 1. Timotheusbrief aufgezeigt wird.

Das Büchlein ist gedankenreich und anregend, besonders dadurch,
daß es den religionsgeschichtlichen Vergleich von einem einheitlichen
ubergreifenden Gesichtspunkt aus vornimmt, von dem aus das Neue
Testament in gleicher Weise wie das Alte Testament beleuchtet
wird.

Berlin Ludwig Wächter

Collins, John J.: Daniel with an Introduction to Apocalyptic Litera-
ture. Grand Rapids. MI: Eerdmans 1984. XII, 120S. 8' = The
FormsoftheOld Testament Literature, 20. Kart.L 12.95.

Die amerikanische Kommentarreihe, die seit einigen Jahren erscheint
, bietet eingehende lörmkritische Untersuchungen zu jedem
alttestamentlichen Abschnitt, bestimmt genau Textstruktur, Gattung,
Sitz im Leben und Intention, bietet aber keine ausführliche Einzel-
exegesc. Für das Buch Daniel haben die Hgg. einen Bearbeiter gefunden
, der auf diesem Gebiet ausgewiesen ist wie kein Zweiter in den
Vereinigten Staaten.

Ungefähr ein Viertel des Buches nimmt eine Introduction to

Apocalyptic Literature ein (1-24). Collins unterscheidet hier - wie
schon in früheren Veröffentlichungen - zwei Unterarten von Apokalypsen
: einmal "'historical' (die Anführungszeichen im Original)
apocalypses" wie Dan 7f; lHen 83-91; 4Esr 11-13; im Mittelpunkt
steht meist eine „symbolische Traumvision" mit allegorischer Deutung
. Daneben stehen "otherwordly journeys", wo der Seher in den
Himmel entrückt wird, um dort, geleitet von einem Engelwesen,
mythisch-realistische (nicht allegorisch gemeinte) Phänomene zu
schauen, so lHen 1-36; 37-71; 72-82 u.a. Beide Unterarten werden
mit ihren bezeichnenden Strukturen, Motiven und Absichten mit
zahlreichen Stellenverweisen knapp, aber mustergültig skizziert.
Durchgängig legt Collins darauf Wert, den Bezug zu nichtbiblischen
Sprachen und Literaturen bis hin zu persischen und griechischrömischen
Parallelen aufzuweisen. Weder die symbolische Traumvision
noch auch die Jenseitsreise sind auf hebräischem Boden gewachsene
Gattungen, beide - wie viele ihrer Motive - entsprechen
altorientalischen Mustern und sind vermutlich aus Babylonien übernommen
. Bei Daniel treten im ersten Buchteil außerdem Erzählungen
hinzu. Sie ordnet Collins als Hofgeschichten ein und als Legenden
zugleich, da ihnen eine erbauliche Abzweckung zukommt. Andere
Einordnungen wie Märchen oder Midrasch werden abgewiesen
(40-43). In der Endgestalt des Buches bildet die Erzählungssammlung
die Einleitung zu den wichtigeren Visionen.

Die nächsten 13 Seiten (27-39) charakterisieren das Buch als
Ganzes. Collins macht sich die verbreitete Auffassung zu eigen, daß
Dan (1)2-7 eine ältere aramäische Vorlage, wohl aus dem
3. Jh. v. Chr., darstellt, Kap. 7 hingegen in der Makkabäerzeit hinzugefügt
worden ist und Kap. 8-12 ein wenig später dann in hebräischer
Sprache. Die Gattung des Buches ist diejenige der „historischen"
Apokalypse, die auch das Muster für die Gliedgattungen und ihre
Unterteile bereitstellt, so Kap. 7f für die allegorische Vision oder
Kap. 9; 10-12 den "angelic discourse".

Das Muster der Gattung findet sich sonst nicht im protokano-
nischen Schrifttum, sondern in pseudepigrafischen Werken wie
lHen; 4Esr; 2Bar. Daraus folgt, was nicht alle erfreuen wird, die sich
gegenwärtig für einen Hochschätzung des Kanons und eine entsprechende
biblische Theologie begeistern: "Daniel cannot be ad-
equately interpreted within the context of the canon alone" (S. 34).

Im Blick auf den Sitz im Leben äußert sich Collins außerordentlich
vorsichtig. Die Legenden stammen vermutlich von "upper-class jews
in the eastern diaspora", die von der mantischen Weisheit Babylo-
niens beeinflußt sind. Die hebräischen Teile hängen mit einem Kreis
von pazifistisch gesonnenen maskilim in Palästina zusammen, dessen
übliche Zuordnung zu den (kriegerischen) Chassidim aber zweifelhaft
bleibt.

Was die einzelnen Kapitel erläutert, ist außerordentlich gerafft und
umfaßt nur zwischen vier und zehn Seiten. Etwa ein Drittel davon
wird jeweils auf die Aufschlüsselung der Struktur verwendet, die bis
ins „vierte Glied" unterteilt wird und dann oft nur noch Halbvcrse
betrifft. Leider erlaubt der Raum nicht, einen solchen Aufriß genauer
zu begründen. Übersetzung und Textkritik bleiben außer Betracht. Im
Blick auf literarkritische Operationen zeigt der Vf. eine (erfreuliche)
Zurückhaltung. Selbst bei den Hinweisen auf die (seleukidisch-
ptolemäischen) Eheschließungen 2,41-43, die fast durchweg als
sekundär ausgeschieden werden, bleibt Collins bei einem "may be"
(49). obwohl er einräumt, daß im selben Kapitel größere Abschnitte
wie 2,13-23. 29f erst auf die Endredaktion zurückgehen mögen. Im
Blick auf das häufig literarkritisch „gerupfte" 7. Kapitel wird die Einheitlichkeit
betont und eine "highly purposed strueture" herausgestellt
(78). Rahmen- und Gliedgattung werden für jedes Stück mit
plausiblen Begründungen beschrieben. Erstaunlich ist, wieviel religionsgeschichtliche
Verweise sich trotz des geringen Raumes vorfinden
. Daraus folgt zum Beispiel, daß die Traumvision von Kap. 2 aus
dem hellenistischen Babylonien stammen wird und ursprünglich eine
hcilvolle Zukunft babylonischen Königtums im Auge hatte. Kap. 7
wird das Nebeneinander vom „Alten der Tage" und dem „wie einem