Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1987

Spalte:

260-261

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Niditch, Susan

Titel/Untertitel:

Chaos to cosmos 1987

Rezensent:

Wächter, Ludwig

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

259

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 4

260

auch diese werden hier sorgfältig gesammelt und gesichtet. Die
wichtige Frage, die im letzten Absatz dieses Kapitels zur Sprache
kommt, lautet, wie die Suffixe -jh beziehungsweise -jhw eigentlich in
alter Zeit ausgesprochen wurden. Da die Schrift ursprünglich rein konsonantisch
war, schreibt der Vf., müssen wir uns denken, daß das Suffix
■jh die Aussprache -jahu repräsentieren konnte. Falls die Form -jahu,
defektive -jh geschrieben, die älteste Form des Suffixes ist, wurde sie im
Nordreich zu -jaw/-jw kontrahiert. Als die plene-Schreibung der Endvokale
eingeführt wurde, ergab sich im Südreich die Schreibweise -jhw,
die wiederum in nachexilischer Zeit zu -jh/ -ja verkürzt wurde. Das
Ganze faßt dann der Vf. in einem anschaulichen Schema zusammen:
jahu . . . Nordreich: -jaw/-jw

Südreich: -jahü/-jh . . . -jahü/-jhw ... -jä/-jh

(9. Jh.) (nachexil.)

Dazu bemerkt der Vf.: „Da sich diese Kurzformen nicht als Produkt
einer nachexilischen Verfasserschaft erklären lassen, müssen wir
vielmehr annehmen, daß wir es hier mit erhaltenen defektiv geschriebenen
Formen mit dem Suffix -jahu/-jh zu tun haben. In der Zeit,
welche die Samuelbücher schildern, kamen keine matres lectionis
vor." Das klingt überzeugend.

Was weiter kommt, ist eigentlich nur die Überprüfung dieser
Behauptung. Im Kap. II kommt das deuteronomistische Geschichtswerk
, im Kap. IV Jeremia, im Kap. V das chronistische Geschichtswerk
an die Reihe. Es sind hier interessante Exkurse, z. B. über die
Redaktionsgeschichte der Königsbücher (S. 74-78), über die theo-
phoren Frauennamen (S. 108-114), über die Vermischung der kurzen
und langen Formen, die besonders im Jeremia vorkommt. Der Vf. behauptet
, daß das Buch Jeremia seine endgültige Gestalt durch einen
nachexilischen Redaktor erhalten hat zu einer Zeit, als die kurzen
Namensformen die allgemein üblichen waren. Der Endredaktor hatte
jedoch eine Tendenz, die theophoren Namen überall in archaisierender
Weise in der langen Form zu schreiben, wo nicht klare Gründe
dafür vorlagen, dies nicht zu tun, besonders bei den Personen, die
außerhalb der regulären jüdischen Gesellschaft standen oder sogar
Widersacher des Propheten und damit auch von Jhwh selbst waren.
Ähnlich ist es bei dem Chronisten, der eine offenkundige Tendenz
zeigt, kurze Formen der Königsbücher in lange zu ändern. In seinem
eigenen Material hat es aber der Chronist nicht getan. Warum? Der
Vf. erklärt es so, daß der Chronist eine Version der Königsbücher benutzt
hat, die durchweg lange Formen aufwies. Dazu der Rez.: Das ist
zwar ein logischer Schluß, doch nur eine von mehreren Möglichkeiten
. Einen andere erwähnt der Vf. selbst auf der S. 194: Die
genealogischen Listen enthalten überwiegend Kurzformen. Dazu sagt
er wörtlich (S. 194): „Da liegt die Schlußfolgerung am nächsten, daß
wir es hier mit mündlich tradiertem genealogischen Material zu tun
haben." Esra und Nehemja verwenden fast durchweg Kurzformen.
Die Namenandersartigkeit ist laut Vf. kein wichtiges Argument gegen
eine gemeinsame Verfasserschaft, weil die langen Formen des Chronisten
auf seine Quellen zurückzuführen sind. - Wohl gut möglich,
aber nicht sicher.

Kap. VI „Schlußwort" erwähnt zuerst noch kurz das Material der
sonstigen Bibelbücher und legt das Ergebnis derganzen Untersuchung
dar. Im allgemeinen stützt das Material der Kap. III—V die schon im
Kap. II vorgelegte Hypothese. Durch die vermutliche komplizierte
Redaktionsgeschichte bleibt aber manches noch offen. Um hier die
neu entstehenden Fragen zu beantworten, wäre eine breiter angelegte
Untersuchung nötig, in erster Linie ein ausführlicher Vergleich der
Personennamen mit jhw und mit el. Die ältere These von Vorländer,
Jhwh sei ursprünglich der persönliche Gott des judäischen Königshauses
, findet hier, sagt der Vf. ausdrücklich, „keinerlei Bestätigung,
doch lassen sich die von uns gefundenen Indizien, die in eben diese
Richtung weisen, schwerlich übersehen". Sehr vorsichtig!

Das Literaturverzeichnis bringt zuerst die Bibelausgaben, dann un-
publizicrte Bibeltexte und zuletzt sehr ausführliche Literatur. Es folgen
Abkürzungen. Addendum und alphabetische Register der hebräischen
Namen, diesmal nicht in Umschrift.

Zur Wertung: Es ist eine fleißige und präzise Arbeit. Klare Sprache,
übersichtliche Schichtung des vielen Materials und methodische
Vorsicht führen zu einem überzeugenden Ergebnis, das besonders in
dem Entwicklungsschema dargelegt wird. Die Exkurse und redaktionsgeschichtlichen
Überlegungen orientieren sich gut an der
modernsten Literatur und konfrontieren diese sachlich mit den neu
gewonnenen Ergebnissen. Die offen gebliebenen Fragen sind anregend
und nützlich. Natürlich bleibt die Bedeutung dieser Arbeit durch ihre
monographische Fragestellung und Ausgangspunkt zuerst auf ein
enges Feld begrenzt. Solche präzisen und verläßlichen Untersuchungen
sind aber für das Fortschreiten der Forschung wesentlich wichtiger
als vorschnelle, verwischende und doch von manchen gelobte
Synthesen.

Prag Jan Heller

Niditch, Susan: Chaos to Cosmos. Studies in Biblical Patterns of
Creation. Chico, CA: Scholars Press 1985. IX, 114 S. 8" = Scholars
Press Studies in the Humanities, 6. Kart. $ 9.25; Lw. $ 13.95.

Die Vfn. möchte durch eine Verbindung der Methoden der vergleichenden
Literaturwissenschaft (von ihr "literary critical" genannt
) und der "cultural anthropology ", Anregungen Victor Turners
(The Ritual Process, 1977) aufnehmend, neue Einblicke in die
biblische Urgeschichte gewinnen. Bei einem Überblick über
Gen 1-11 ergeben sich ihr, wie in der "Introduction" (S. 2-7) ausgeführt
wird, zwei größere, mehrfach wiederkehrende Themenketten.
Die eine schildert den Durchgang (passagc) von einem anfänglichen
Stadium des Chaos zu einem idealen Kosmos, die andere den Durchgang
von diesem idealen Stadium zur Realität mit ihren sozialen
Strukturen. Die beiden Themenketten sind in der Einleitung des
ersten Teils der Untersuchung in fünf Schöpfungsthemen untergliedert
(S. 11-12): Chaos; Order and Paradise; The Emergence of
Reality; The Overrating or Underrating of Family Members; The
Genealogical Catalogue.

Im folgenden wird jedoch, da die Themen ineinander übergehen,
mit einer Dreiteilung gearbeitet, wie die Überschriften des ersten Teils
der Untersuchung zeigen: I. Initial Creation and Ordcring. 2. Tales of
Emergence: The Passage from Ideal to Reality. 3. Shaking up Reality
and Setting it down: Relations in the Family and Genealogies.

Zu den biblischen Erzählungen bzw. "patterns" wird manches
religionsgeschichtliche Vcrgleichsmaterial geboten. Breit gestreut ist
es in Abschnitt I: Die Schöpfungsmythologie der Edda, chinesische
und indianische Schöpfungsmythen, Hesiods Theogonie, das babylonische
Weltschöpfufigsepos Enuma elisch. Zu den alttestamentlichen
Schöpfungstexten wird neben Gen 1,1 —2,4a und Gen 2,4b-25 auch
der Sintflutbericht gerechnet (Gen 6,5-9,19), was damit begründet
wird, daß die Flut ein neues Chaos bringt (Gen 7,1 1), in dem eine
kleine Insel kosmogonischer Ordnung, die Arche, enthalten ist
(S. 22).

Der 2. Abschnitt wird mit einem australischen Märchen eröffnet,
das eindrucksvoll den Übergang von einem Idealzustand zur Wirklichkeit
schildert, bevor auf die Paradieserzählung eingegangen wird.
Eden verkörpert für N. das, was V. Turner als „communitas" bezeichnet
, eine sozial noch nicht strukturierte Welt der"pre-reality" (S. 31).
Mit dem Fall und seinen Konsequenzen geschieht der Durchgang zur
Realität. Zu den Erzählungen der Genesis über "Emergence" werden
auch Gen 6,1-4 (Engclehen) und Gen 11,1-9 (Turmbau und Zerstreuung
) gerechnet. Als Beispiel aus dem alten Orient wird auf den
"rite de passagc" Enkidus im Gilgamesch-Epos hingewiesen.

Der 3. Abschnitt "Shaking up Reality.. . " konzentriert sich auf die
Geschichte von Kain und Abel (Gen 4,1-16), womit der Mythus von
Romulus und Remus verglichen wird, und die Erzählung von Noah
und seinen Söhnen (Gen 9,20-27), zu derdic Geschichte von Lot und
seinen Töchtern in Beziehung gesetzt wird. Sowohl Kain als auch
Harn zerbrechen ihre Familienstruktur - Kain durch den Bruder-