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Ausgabe:

1987

Spalte:

234-236

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kimura-Andres, Hannelore

Titel/Untertitel:

Mukyokai 1987

Rezensent:

Hamer, Heyo E.

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 3

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(vgl. S. 101). Durch dieses Subjekt geschieht „Ekklesiogenesis". Es Weise näher bestimmt: 1. „das Reich Gottes verkünden", 2. „in prokonkretisiert
sich in der mehrheitlich von Laien getragenen „Basis- phetischer Weise das anklagen, was der Würde des Menschen und
Gemeinde-Bewegung" (Piepke übersetzt das portugiesische Wort dem Plan Gottes widerspricht" und 3. „das ganze Leben der Gesell-
"Comunidade de base" freilich mit „Basisgemeinschaft", um jeden schaft erneuern, und zwar von innen heraus" (S. 152). Zentrum von
Anschein eines Ausscherens aus der Pfarrgemeinde zu vermeiden - Evangelisation ist „die liturgische Feier in Wort und Sakrament"
vgl. S. 21 Off). Sie geht zurück auf das Ende der 50er Jahre und umfaßt (S. 159). Darum herum bewegen sich die Erneuerung der Spiritualität,
^zwischen an 150 000 Gruppen mit mehr als vier Millionen Mitglie- das lebenslange Katechumenat aller Getauften und die „Evangelisie-
dern allein in Brasilien (die Angaben S. 101 Anm. 89 sind über- rung der Volksreligiosität" (S. I68ff). Denn die erneuerte Kirche ist

holt).

die Kirche der Wenigen „inmitten der Vielen", die sich durch, die

Das „Originelle" der brasilianischen „Ekklesiogenesis" besteht Volksreligiosität in der schlechten Wirklichkeit beruhigen oder aus

zum anderen in einer „Dimension", die, so Piepke, „in der neueren ihr wegstehlen (S. 122ff). Zur Evangelisation gehört andererseits das

Kirchengeschichte", besonders aber in Brasilien „einmalig" ist: die Engagement im sozialen und politischen Raum, in dem „Beteiligung"

nationale „Bischofskonferenz als hierarchische Repräsentanz der Kir- (S. 181) des Volkes erst noch gelernt werden muß und wo es inhaltlich

che entscheidet sich für eine Kirche des (armen) Volkes" (S. 11). Und vor allem um die „Verteidigung der universalen Menschenrechte"

dlese Entscheidung hält sich durch bis zum Papst (vgl. S. 231 ff). (S. 182 ff), die Forderung einer „wirksame(n) Bodenreform" (S. 187)

Aus diesem doppelten Charakteristikum wird die „Ekklesiogene- mitsamt der Sicherung des Rechtsauf Erziehung (S. 190ff). Arbeit und

Sls zu einer die gesamte Kirche Brasiliens erfassenden Reformation, Lohn (S. 187ff) und des Rechtes „eines jeden Bürgers, jenes Land zu

deren Kriterien die solidarische Existenz mit den Armen und die besitzen, das er bebaut und von dem er lebt" (S. 187). Die typisch bra-

Anstrengung zur Überwindung ihres Elends sind. silianischen Passionsgeschichten von Landbesetzungen und

Die Ausrichtung der Kirche auf die Armen hin und von ihnen her, -Vertreibungen stehen hinter dieser befremdlich klingenden Forderen
„Weg der Kenosis" genannt (S. 294), besteht im einzelnen darin, rung.

daß die Versammlungen der Basisgemeinden und deren „nationale Den Abschluß von Piepkes Darstellung der „Ekklesiogenesis" in

Kongresse" (S. 103) im Mittelpunkt kirchlichen Lebens stehen. Vom Brasilien bilden „Anfragen und (eine) kritische Würdigung" (Kap. 5:

e'nfachen Volk selber wird dort in Überwindung seiner traditionellen S. 235-300) sowie eine „Zusammenfassung" der Ergebnisse

■ Kultur des Schweigens" (P. Freire) die Bibel als Buch der Befreiung (S. 301-312). Darin werden umsichtig die Grenzen des Gebrauchs der

^'ederentdeckt, in welchem der „Weg in die wirtschaftliche und poli- marxistischen Gesellschaftsanalyse in der Theologie (u.a. Ge-

■sche Freiheit. . . zugleich der theologische Ort göttlicher Offen- Schichtsdeterminismus, Entpersonalisierung des Bösen, apriorischer

arung" (S. 71) ist. Nicht im Sinn eines direkten politischen Aktions- Ausschluß der Gottes- und Heilsfrage aus dem Gesellschaftsbegriff

Programms. Wie Israel muß die Kirche lernen, daß es kein „politi- etc. - S. 236ff) sowie die Gefahren des Praxisvorranges in der

sche(s) Projekt des Bundessehl usses" gibt (S. 73) und daß der Weg aus Befreiungstheologie (reines Effizienzdenken - S. 247ff) und der

der Gefangenschaft oft genug der des leidenden Gottesvolkes (Dtrjes, hermeneutischen Vermittlung der christlichen Offenbarung (Schrift

Kreuz und Auferstehung Christi) ist. Aber die Wiederentdeckung der als Beweismatcrial für den eigenen Emanzipationswillen - S. 263ff)

Bibel erschließt den eigentlichen Sinn der christlichen Offenbarung: diskutiert. Vieles liest sich wie eine vorweggenommene Apologie der

^e>l als sakramentale Vermittlung ganzheitlicher Befreiung des Men- „Ekklesiogenesis" gegenüber den „Instruktionen" aus Rom. Dabei

Sehen. Solche Vermittlung ist in Jesus Christus geschehen und wird noch einmal der „Gegensatz zur europäischen Geschichte" deut-

Seschieht weiter in dem und durch das-Volk Gottes. lieh, „in der soziale Bewegungen für eine gerechtere Welt oftmals an

'n alledem hat die vorrangige Identifikation des Volkes Gottes mit der Kirche vorbei verliefen" (S. 298), während sich hier geistliche und

der armen Bevölkerung keine exklusive Wirkung (vgl. S. 114ff). Aber weltliche Erneuerung in der Kirche getroffen haben und dabei eine

alle Begüterten und Reichen müssen sich jetzt permanent fragen, wie Transformationskapazität entwickeln, die die Regierenden Brasiliens

Sle ihre berufliche Stellung, ihren gesellschaftlichen Einfluß, ihr Ein- respektieren, ja fürchten. Die „Ekklesiogenesis" hat nicht nur

kommen, ihren Grundbesitz vor Gottes Option für die Armen verant- überhaupt Fidel Castro zu einer Neuentdeckung der Religion geführt

w°rten. In Brasilien verfügt weniger als ein Prozent der landwirt- (Buchtitel: Fidel y la religion), sondern ist ein wichtiges Modell für

schaftlichen Erzeuger über ca. 45 Prozent der Nutzfläche. Davon wie- den Katholizismus in der sog. Dritten Welt überhaupt geworden,

derum liegen riesige Flächen - mehr als ein Drittel der 567 Millionen Berlin (West) Wilhelm HüfTmeier
Hektar Ackerland - brach. Das „Minimum" an praktischer Bewahrheitung
des kommenden Reiches Gottes für die Armen besteht darin,

S|ch ihre „Sache ... zu eigen zu machen" und ihre „Rechte ... zu ver- Kimura-Andres, Hannelore: Mukyokai. Fortsetzung der Evange-

teidigen" (S. 119). Das „Maximum" bewähren die Ordensleute, die liums-Geschichte. Erlangen: Verlag der Evang.-Luth. Mission

den Armen freiwillig gleich werden (vgl. 119-121). Man fragt sich hier 1984. IX, 362 S. 8" = Erlanger Monographien aus Mission und Öku-

■ndessen, ob es von einer Logik der Befreiung her nicht umgekehrt sein mene, 1.

müßte, und was würde, wenn alle Maximalisten wären. In dem ganzen Seit 1962 zuletzt an der Theologischen Fakultät der Universität
Zusammenhang wird freilich kein Mehr oder Weniger an Heiligkeit Marburg die Mukyokai (Nicht-Kirche-Bewegung) Thema einer theokonstruiert
, entsprechend etwa der Lehre von den consilia evangelica. logischen Dissertation war (Hagiwara Itsue: Non-Church Movement.
Auch wird die Überlegung nicht mit der Meritum-Auffassung ver- Ein Vergleich des Kirchenbegriffs von Sebastian Franck und Kanzo
knüpft. Aber diese grundlegenden katholischen Dogmen stehen zwei- Uchimura. Marburg 1962), sind 24 Jahre vergangen, in denen unter
feilos ebenso im Hintergrund der Befreiungstheologie (vgl. S. 310), wie anderem die gesammelten englischsprachigen Schriften des Begrün-
das scholastische Axiom „fides caritate formata" ganz offensichtlich ders der Mukyokai in sieben Bänden erschienen sind (1960-1973) so-
die häufige Polemik gegen die protestantische Theologie prägt (vgl. wie eine neue Herausgabe seines Gesamtwerkes in japanischer
e,vva S. 130 Anm. 171 und S. 60ff). Dazu hätte evangelische Theolo- Sprache erfolgt ist (1980-1984).

8'e freilich ihrerseits mit Gegenfragen an die Befreiungstheologie zu Die neue Quellenlage rechtfertigt allein schon den Versuch von H.

antworten, z. B.: Dient es der Wirklichkeit der Liebe, wenn man die Kimura-Andres, das Bild von Uchimura erneut zu zeichnen und zu-

des Glaubens abwertet? gleich in die reichhaltige Mukyokai-Literatur einzuführen (5-19).

Kapitel 3 stellt das neue Volk Gottes unter dem Gesichtspunkt sei- Das Ziel ihrer Arbeit ist es, „ein klareres Verständnis von Mukyokai"

ner „Sendung in die Welt" dar (S. 149-206). Sendung bedeutet zu gewinnen und zu zeigen, wie das Mukyokai (das Wort bleibt in der

-Evangelisierung". Und Evangelisierung wird entsprechend der Maß- Arbeit bewußt ohne Übersetzung!) - Christentum von Uchimura

gäbe der brasilianischen Bischofskonferenz von 1979 in dreifacher Kanzo ausging, ohne ein Uchimura-Christentum zu werden. So ist das