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Ausgabe:

1987

Spalte:

223-224

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Christsein gestalten 1987

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Seite 1

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223

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 3

224

der Vernunft im Blick auf „weltliche" Fragen kaum zur Geltung. Die
Bedeutung von Luthers Arbeits- und Berufsethik wird hingegen vom
Hg. knapp erwähnt (S. 92). Vor allem aber der Textauszug aus Barths
Römerbriefkommentar (zu Rom 12,21; 13,1, S. 235ff) vermag Barths
politische Ethik nicht hinreichend zu kennzeichnen. Aufgrund dieses
Textauszugs charakterisiert der Hg. Barths Denken als neuorthodox,
unpolitisch (S. 226, 233) sowie als obrigkeitshörig (S. 288). Ohne
berechtigte Kritik an Barth abzuschwächen und sein Defizit an
ethischen Überlegungen in den 20er Jahren zu beschönigen, wäre
gleichwohl zu fragen, ob Barths politische Ethik durch Auszüge aus
der Kirchl. Dogmatik 1II/4 oder „Christengemeinde und Bürgergemeinde
" (1946) nicht deutlicher hätte herausgestellt werden können
- und zwar gerade auch in ihren Aporien. Mit seinen auf Luther
und Barth (z. B. S. 343, 288) bezogenen Hinweisen auf eine Ethik des
Obrigkeitsgehorsams scheint der Hg. im übrigen eine grundsätzliche-
und geistesgeschichtlich durchaus berechtigte! - Kritik an der
deutschsprachigen Staatsethik zu intendieren.

Insgesamt verdeutlicht die Textsammlung den Pluralismus, ja sogar
die inneren Widersprüche gegenwärtiger theologisch-ethischer Diskussion
. Dies entspricht insofern der Absicht des Hg.s, als er einleitend
betont, seiner Textsammlung hätte der Untertitel "Unity and
Diversity in Christian Ethics" beigegeben werden können (S. XI).
Dem Gesamteindruck zufolge treten dann allerdings die Differenzen
in der Grundsatzbegründung und in den Einzelfragen der Ethik sehr
viel deutlicher zutage als eine gedankliche Einheit. Die gegenwärtige
geistige Lage der theologischen Ethik dürfte hierdurch in der Tat
zutreffend widergespiegelt sein. Instruktiv ist es, daß die Textsammlung
neben den neueren Äußerungen der theologischen Ethik
mit Augustin, Thomas und Luther auch Belege aus der christlichen
Tradition bietet: Hierdurch wird dem Leser ein plastischer Eindruck
von Kontinuität, v. a. aber vom vielfältigen Traditionsbruch in der
christlichen Ethik vermittelt: etwa in der Sexualethik, der Lehre vom
gerechten Krieg oder der Staatsethik. Hierdurch macht die Textsammlung
sichtbar, -daß theologische Ethik nicht nur durch die
aktuellen ethischen und politischen Themen der Gegenwart, sondern
darüber hinaus in grundsätzlicher Weise durch die Aufgabe einer gedanklichen
Bewältigung von Säkularisierung des Christentums, Wertewandel
und gewandelter soziologischer Stellung von Kirche und
Christentum in derGegenwart herausgefordert ist.

Wachtberg-Niederbachem Hartmut Kreß ■

Praktische Theologie: Allgemeines

Christsein gestalten. Eine Studie zum Weg der Kirche. Hg. vom
Kirchenamt im Auftrag des Rates der Evang. Kirche in Deutschland
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1986. 128 S.
8*. Kart. DM 8,80.

Die Studien- und Planungsgruppe im Kirchenamt der EKD unter
Leitung von OKR R. Schloz erarbeitete die vorliegende Studie, die
dazu helfen will, Erkenntnisse aus der zweiten Kirchenmitgliedschaftsumfrage
(„Was wird aus der Kirche?", 1984, vgl. ThLZ 110,
1985, 260f) für den Gemeindeautbau fruchtbar zu machen. Unter
Bezug auf die Befunde und deren Interpretation in der genannten Veröffentlichung
werden im 1. Teil die auf das Verhältnis zur Kirche einwirkend
gesellschaftlichen Wandlungsprozesse in der BRD und im
2. Teil die „Strukturen der Kirchenbeziehung" der Mitglieder in der
Volkskirche beschrieben. Der Widerspruch zwischen kirchlich-theologischen
Normerwartungen und faktischem Bewußtsein der meisten
Kirchenmitglieder nötigt dazu, den für die ganze Studie wesentlichen
„intensiven Zusammenhang von Kirchlichkeit und lebensweltlicher
Verankerung zu verdeutlichen". Um „theologische Verantwortung"
dieses Zusammenhangs geht es im 3. Teil, der die Wechselbeziehung
zwischen dem christlichen Glauben und der jeweiligen geschichtlichen
Lebenswelt bedenkt. Ernst Langes Motiv der „Kommunikation
des Evangeliums als Verständigung über unser Leben im Licht
der Botschaft von Jesus Christus" wird mit der Vorstellung der
„konziliaren Gemeinschaft" verbunden, die einem „differenzierten
Gemeindeaufbau" dient.

„Typen gegenwärtiger Praxis" stellt der 4. Teil vor. Idealtypisch
werden lebenswcltbcstimmte und kirchenbildbcstimmte Zielvorstcl-
lungen unterschieden.1 Unter Letzteren versteht die Studie „be-
kehrungsorientierte" (Schwarz/Schwarz; Seitz/Herbst/Beckcr), „gc-
meinschaftsorientierte" (EKU-Votum „Kirche als Gemeinde von
Brüdern"; Strunk) und „anknüpfungsorientiertc Ansätze" (Matthes,
Lange, Dahm; mit Einschränkung das VELK-Programm der „missionarischen
Doppelstrategie"). Solche Typisierungen sollen wohl die
Stärken und Schwächen der verschiedenen Ansätze zeigen und damit
eine Orientierungshilfe geben, aber sie wirken hier vergröbernd, und
besonders die Vertreter der „bekehrungsorientierten Ansätze" werden
sich kaum ganz verstanden fühlen.

„Christsein als Gestaltungsaufgabe" ist Thema des 5. Teils, der
angesichts nachlassender Traditionslenkung Hilfen zur selbstverantwortlichen
Gestaltung von Christsein sucht. Im Sinne der Konziliari-
tät plädiert die Studie für eine nichtautoritäre Einstellung, in der alle
voneinander lernen, so daß die Vielfalt der Erkenntnisse und Aktivitäten
eine gegenseitige Bereicherung statt der Abgrenzung bewirkt. Die
„Entdeckung und Entwicklung neuer missionarischer Formen" muß
„zu einer zentralen kirchlichen Zukunftsaufgabe werden". Dazu gehört
„die Stärkung der .missionarischen Kompetenz' aller Kirchenmitglieder
im Sinne des allgemeinen Priestertums". Wenn die
Autoren behaupten, es sei „Kennzeichen wirklichen Dienstes", „daß
damit keine Zwecke verfolgt werden", so meinen sie wohl unangemessene
Zwecke, denn Zwecklosigkeit wollen sie sicher nicht zum
Kennzeichen wirklichen Dienstes erklären. Die Zusammenhänge
von Mission und Diakonie sind jedenfalls mit der Forderung zweckfreien
Dienstes nicht erfaßbar.

Der 6. Teil bietet eine Fülle von Beispielen für „Gestaltungsschwerpunkte
" der kirchlichen Arbeit unter dem Aspekt der Verflechtung
von Christsein und Lebenswelt. Jeder Praktiker kann hier Anregungen
dafür finden, wie bei Erwartungen und Erfahrungen der Menschen
anzuknüpfen ist. Konvente und andere Mitarbeiterkreise
sollten das Buch durcharbeiten. Vieles läßt sich auf eine nach-volks-
kirchliche Situation übertragen.

Weiterer Überlegungen bedarf die Frage, wie eine „konziliare
Gemeinschaft" konkrete Gestalt annehmen kann. Die Kritik von
Schwarz/Schwarz an einer Theorie des Gemeindeaufbaus, die nicht
klärt, was sie unter Gemeinde versteht, ist berechtigt. Es genügt nicht
zu sagen, die christliche Gemeinde sei die Gemeinschaft aller Getauften
, und jede nähere Bestimmung sei theologisch und faktisch fragwürdig
(S. 87). Wenn es darum geht, daß die Getauften ihr „Christsein
gestalten", dann müssen auch Zielvorstellungen für dieses Gestalten
des persönlichen und gemeinsamen Lebens möglich sein. Die Autoren
wehren sich mit Recht gegen autoritär gesetzte, totale Zielvorstellungen
, aber auch in einer konziliaren Gemeinschaft muß es
Leitbildergeben, auf die hin Christsein Gestalt gewinnen kann.

Gutenberg bei Halle (Saale) Eberhard Winkler

Foitzik, Karl, u. Elsbe Goßmann: Gemeinde leben. Zusammenarbeit
pädagogischer und theologischer Mitarbeiter. Unter Mitarb. von
Ch. Alefeld, I. Baibach, E. Bendig, H. Frost, I. Huneke, H. Janzen u.
R. Rogall. Mit Bildern von B. Scheluga u. M. Foitzik. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1986.136 S. m. Abb. 8' = Gemeindepädagogik
. Arbeitshilfen, Materialien, Studien, 2. Kart.
DM 9,80.

Die Glaubwürdigkeit einerGemeinde hängt u. a. davon ab, wie ihre
Mitarbeiter miteinander umgehen, zusammenarbeiten und ihre Konflikte
lösen. Exemplarisch wird dieses Problem hinsichtlich der
Zusammenarbeit von Pfarrern und Kindergärtnerinnen bedacht. Fünf