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Ausgabe:

1987

Spalte:

221-223

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Gill, Robin

Titel/Untertitel:

A textbook of Christian ethics 1987

Rezensent:

Kreß, Hartmut

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I

221 Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 3 222

und wie es mit der Christologie Barths heute vorwärtsgehen soll oder formal (Im übrigen: Inwiefern ist Luthers Schrift über die Juden von
kann. So bleiben die Feststellungen des Vf. recht unvermittelt im 1543 mit ihren unerträglichen Beschreibungen der Juden als „deonto-
Raume stehen und man darf deshalb gespannt sein, ob diese Art der logisch" zu charakterisieren? Vgl. S. 459) und wird allenfalls eine
Interpretation eines wesentlichen Teils der Theologie Karl Barths . erneute Zusammenfassung von Hauptgesichtspunkten eines Autors
noch eine weiterführende Perspektive bekommt. geboten. Hingegen eine eingehendere inhaltliche Erörterung der verBerlin
WolfKrötke schiedenen Positionen tritt zurück.

Aktuellen Themen ist neben der Abteilung III „Krieg und Frieden"
besonders die Abteilung IV „Menschliches Leben und zwischen-

Systematische Theologie: Ethik menschliche Beziehungen" gewidmet. Das thematische Spektrum

innerhalb dieser Abteilung der Textsammlung ist recht disparat. Der
G'H. Robin: A Textbook of Christian Ethics. Edinburgh: Clark 1985. Hg sg|bst systematisiert die Beiträge der 4. Abteilung wie folgt (vgl.
XIII, 571 S. 8*. Kart. £ 9.95. S. 418): zunächst Tötung ("individual suicide"): hierzu ein Text von
Der in Edinburgh lehrende Hg. des Textbuches zur christlichen Augustin zum Thema Selbstmord, von J. Fletcher zur Euthanasie und
Ethik. Robin Gill, hat eine umfangreiche, vor allem Tür Studien- zwei Beiträge zur Abtreibung: sodann Sexualmoral: Thomas v. Aquin
zwecke gedachte Tcxtsammlung zusammengestellt, mit der man aus zur vorehelichen Sexualität und zur Ehe, ein Quäkertext zur „Neuen
der deutschen ethischen Literatur am ehesten den von Heinz-Horst Moral" und Paul VI. mit Humanae vitae zur Geburtenkontrolle;
Schrey zusammen mit H. Thielicke edierten Sammelband „Christ schließlich: Geschlechts- und Rassenvorurteile: hierzu Luther mit
'iche Daseinsgestaltung. Ökumenische Stellungnahmen zu Fragen der seiner- in der Tat erschreckenden - Spätschrift „Über die Juden und
Gegenwart" (1971) vergleichen kann. Während allerdings bei Schrey ihre Lügen" (1543) sowie kritische Stellungnahmen aus der Gegen-
die verschiedenen Textauszüge zu den einzelnen ethischen Themen wart mit A. Hastings zur Rassismusfrage und R. R. Ruether zur
unkommentiert nebeneinandergestellt sind, findet sich bei Gill stets feministischen Theologie. Diese Systematik und Themenzusammen-
ein recht ausführlicher Kommentar, in dem er Hintergrund, Inhalt Stellung wirkt jedoch ebenso unzusammenhängend, wie die Zuord-
und Wirkung eines Textes beschreibt. Sein "textbook" ist in vier Ab- nung des gesamten Themenkreises der 4. Abteilung zur Personalteilungen
aufgeteilt: Methodologie der Ethik; Politik und soziale anstelle der Sozialethik einen schematisierenden Eindruck erweckt:
Gerechtigkeit; Krieg und Frieden; Menschliches Leben und zwi- Sind Rassendiskriminierung und feministische Theologie als vor-
schenmenschliche Beziehungen. Zu diesen vier Fragenkreisen hat er nehmlich personalethische Themen (vgl. S. 4170 zu verstehen?
jeweils drei klassische Texte beigebracht, nämlich von Augustin, Im Unterschied zu Abteilung III und IV gehen die beiden ersten AbThomas
v. Aquin und Martin Luther, um daran anschließend dann . teilungen der Textsammlung weniger aktuellen Fragenkreisen als
Textauszüge jüngeren Datums anzufügen. Hierzu greift , er über- vielmehr Grundsatzproblemen der Ethik nach. Abteilung I. zur
hegend auf englischsprachige Autoren zurück, z. B. R. Niebuhr, „Methodologie" der Ethik, enthält schwerpunktmäßig besonders
W- Temple, P. Ramsey, J. Fletcher, R. R. Ruether. Als neuere Auto- Texte zum Naturrecht (ausgehend von Abschnitten aus Thomas'
fen aus dem deutschen Bereich sind lediglich D. Bonhoeffer und K. Summa theologica) sowie zur Situationsethik (hierzu J. Fletcher und
Bartn mit knappen Textabschnitten vertreten: Dies dürfte ein Indiz auch D. Bonhoeffer). Abteilung II soll dann das Thema der poli-
dafür sein, daß die deutschsprachige Ethik in der angelsächsischen tischen Ethik mit Textauszügen u. a. von K. Barth und R. Niebuhr,
Theologie überhaupt wenig Resonanz findet. Ähnlich hat sich ja auch vom für die ökumenische Bewegung bedeutsamen anglikanischen
auf der Ebene philosophischer Ethik eine Schere zwischen der ErzbischofW. Temple sowie von Papst Johannes XXIII. illustrieren,
deutschsprachigen normativen Ethik und der angelsächsisch-skan- Zu diesem Themenbereich benennt der Hg. drei interpretatorische
dinavischen Metaethik geöffnet. Leitfragen: ob politische Strukturen direkt vom Evangelium abgelei-
Besonders in der zweiten Hälfte des Sammelbandes zeigt sich das tet werden können; ob das Christentum mit bestimmten politischen
Bemühen des Hg.s, aktuelle und auch brisante ethische Themen vor Regimen, Idealen oder Programmen identifiziert werden kann; und
Augen zu rühren. Dies gilt zunächst Tür die Abteilung III des Buches ob dem Christen völliger Gehorsam gegenüber politischen Macht-
uber „Krieg und Frieden". Vorgegeben durch Augustin und Thomas habern oder Programmen geboten ist (S. 172, 2870- Freilich: Diese
<S. 304ff, 315ff), wird die klassische theologische Frage nach einer drei Leitfragen lassen die konkreten und faktischen Probleme gegen-
Theorie des gerechten Krieges dokumentiert und anschließend mit wärtiger politischer Ethik - z. B. Fragen des Rechts- und Sozialstaats.
Hilfe verschiedener neuerer Texte problematisicrt: Während in den der Menschenrechte oder der Gewissensfreiheit -, mithin die empi-
60er Jahren E. Welty unter Berufung auf Pius XII. einen bestimmte risch und soziologisch relevanten Aspekte politischer Ethik kaum in
Werte- nämlich politische Ordnung, Grundrechte und besonders den das Blickfeld des Lesers geraten. Allerdings greifen die vom Hg.
christlichen Glauben - schützenden gerechten Krieg durchaus noch ausgewählten Texte dann im einzelnen weiter aus, als die drei Leit-
zu legitimieren suchte (vgl. bes. S. 367), werden demgegenüber unter- fragen es erwarten lassen.

schiedliche pazifistische oder im Blick auf nukleare Abschreckung Zur Textauswahl selbst ist zu bemerken, daß der Sammelband mit

britische Stimmen u.a. durch Ch. Raven (S. 35500 und P. Ramsey der Aufnahme evangelischer, katholischer, anglikanischer, ortho-

<S. 372ff) sowie durch den orthodoxen Theologen Gregorius (S. 400ff) doxer und freikirchlicher (Quäker) Autoren eine bemerkenswerte

repräsentiert; letzterer formulierte seine Überlegungen im Kontext ökumenische Offenheit aufweist und aus diesem Grund lesenswert ist.

der Vollversammlung des ORK in Vancouver 1983. Darüber hinaus Auffällig ist jedoch, daß neuere Texte zur Wirtschaftsethik in dem

klangen im Rahmen der Abteilung über „Krieg und Frieden" thema- Sammelband fehlen: Besteht in der angelsächsischen Theologie im

tisch so unterschiedliche Fragestellungen wie - anhand eines Text- Blick auf diesen Themenbereich ein ähnliches Defizit wie in der

auszuges von Thomas v. Aquin (S. 321 ff) - das traditionelle theolo- deutschsprachigen Theologie? Man mag es ferner bedauern, daß

8'sche Problem des Kriegsdienstes von Geistlichen oder die aktuelle wichtige, z. T. auch ältere Texte zur medizinischen Ethik abgedruckt

Diskussion zur Gewaltanwendung in der Befreiungstheologie sind (z. B. J. Fletcher zur Abtreibung S. 141 ff), jedoch die Diskussion

(J- M. Bonino S. 390ff) zur Sprache. In seiner eigenen kritischen zur Gentechnologie nicht dokumentiert ist, die v. a. in den USA ja

Stellungnahme ("critique" S. 41 Off) bietet der Hg. dann allerdings nur schon früher als in Deutschland einsetzte. Im übrigen lassen sich die

nochmals ein Resümee der bereits in den Texten genannten Argu- dem deutschsprachigen Raum entnommenen Abschnitte der Text-

mente, ohne seine eigene Position prägnant herauszustellen. Über- Sammlung nicht unbedingt als repräsentativ bewerten. In Auswahl

haupt bleiben in weiten Teilen die Kommentare innerhalb des Text- und Kommentierung der Luthertexte kommt die sozialethisch rele-

handes mit ihrer Zuordnung der einzelnen Texte v. a. zum Schema vante Position der Zweireichelehre mit ihrer Annäherung an das für

deontologische/teleologische/personalistische Argumentation recht neuzeitliche politische Ethik maßgebende pragmatische Verständnis