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Ausgabe:

1987

Spalte:

210-211

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Subilia, Vittorio

Titel/Untertitel:

"Solus Christus" 1987

Rezensent:

Nagel, Walter

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 3

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Paulus näher, weil wir das Dunkel und die Unbegreiflichkeit der Geschichte
tiefer erleben als Bonaventura oder weil wir jedenfalls nicht
in der Lage sind, sie im bewundernden Glauben an die trotzdem wirkende
Liebe Gottes tätig-gelassen zu ertragen. Job erscheint uns oft
näher als Bonaventura" (S. 60f).

Kritische Bedenken werden sich auch gegenüber der „absteigenden
Analogie" Bonaventuras (S. 276ff; 291) anmelden, die in der Dreifaltigen
Gottheit die Exemplarursache für alle geschöpflichen Wesen
sieht, und zwar nicht nur im Hinblick auf ihr gnadenhaftes'Neusein,
sondern bereits in ihrem natürlichen Sein (S. 277f, Rückverweise auf
S. 164f. 2040- Dieser Analogielehre entspricht ein Begriff von der
Natur der menschlichen Person, deren Wesen sich für Bonaventura
erst in der vollendeten Gottesliebe und der mystischen Vereinigung
mit Gott erfüllt (S. 130f). Es liegt im Wesen der menschlichen Person,
über sich hinausgeführt zu werden (S. 196ff). Am schärfsten kommt
die Hinordnung des Menschen auf die vollendete Gottesliebe in der
Einordnung, die Bonaventura dem Rätestand gibt, zum Ausdruck.
Der Unterschied zwischen Rat und Gebot wird durch die Radikalisierung
des Gebotes der Gottesliebe innerlich aufgehoben. Damit ergibt
sich ein Verdikt über eine Welt, die an dieser für alle Geschöpfe natürlichsten
Berufung vorbeilebt (S. 2480- Dies macht eine in Bonaventuras
Mystik liegende unaufhebbare Dialektik offenbar. Man darf
nämlich nicht übersehen, daß bei Bonaventura selbst wie als ein
Gegenstück zu dieser höchsten Möglichkeit des Menschen: Vollendung
seiner Natur in Gott, eine Kreuzestheologie steht, die den
Menschen auf einen ganz anderen Weg verweist, will er zu Gott
kommen.5 Und dieser entspricht so gar nicht dem, wonach die
Menschennatur verlangt.'' In diesem Punkt regte schon vor vielen
Jahren Gottlieb Söhngen zu einem ökumenischen Gespräch zwischen
„Bonaventura mit seiner (im Itinerarium und noch mehr im Hexame-
ron) franziskanischen Kreuzestheologie" und „Luthers Kreuzestheologie
(in der Psalmenvorlesung 1513/1515 und in der Heidelberger
Disputation 1518)" an.7

Es ist dem Vf. hoch anzurechnen, daß er die hier zuletzt angesprochene
Problematik bei all seinem Verständnis und seiner Aufgeschlossenheit
für Bonaventura nicht verschweigt. Dadurch ist sein
Werk nicht nur wertvoll als Eruierung einer bedeutsamen Quelle
scholastischer Theologie, sondern auch als Impuls, sich immer wieder
jenen Problemen zu stellen, die in der Geschichte des christlichen
Glaubens selbst, seiner theologischen Reflexion und seiner lebendigen
Bewährung liegen.

Dank gebührt schließlich den Hgg. und dem Verlag fürdiesen in bewährter
Tradition erstellten Band der Baeumkcr-Reihe.

Erfurt Fritz Holtmann

' Vgl. Rudolf Haubst (Hg ): Der Friede unter den Religionen. Akten des
Symposions in Trier vom 13 -1 5. Oktober 1982. In: Mitteilungen und Forschungsbeiträge
desCusanus-Gcsellschafl. Bd. 16. Mainz 1984.273.

2 J. I^ang: Vermitteltes Heil. Strukturen und Anliegen des Krichenverständ-
nissesbei S. Bonaventura. In: Bonaventura'1974. IV. 387-420.

1 Theologische Unterscheidungen und Differenzierungen treten im Gebet
des Mystikers vor der Unmittelbarkeit der Gotteserfahrung zurück. Vgl. etwa
die Trinitarische Meditation der hl. Katharina von Siena im ..Dialogus sanetae
Cathannae Scncnsis virginis De Divina Providentia", cap. 167: Gratiarum
actioadTrinitatcm(cd. lat. Ingolstadt 1583f. 290v-291.

4 Vgl Reden der Unterweisung. In: Meister Eckchart. Deutsche Predigten
und Traktate. Hg. u. übers, von Josef Quint. München 1955. 99: ..Laß Gott in
dir wirken, ihm erkenne das Werk zu. und kümmere dich nicht darum, ob er mit
der Natur oder übernatürlich wirke: beides ist sein: Natur wie Gnade."

1 Vgl Bonaventura: Itinerarium ad deum. Prof n. 3: „Ad deum nemo intrat
recte nisi percrueifixum."

* Hcxameron.Coll. I n. 28 et 30: „Maior propositiotacterna generatio Vcrbi)
fuit ab aeterno: sed assumptio in crucc: conclusio vero in resurrectione .. .
Haec est logica nostra . . . Sed in assumptionc minoris est tota vis facienda, quia
nolumus pati. nolumus crueifigi. Tarnen ad hoc est tota ratiocinatio nostra, ut
simus similes dco."

•' Gottlieb Söhngen: 6. Kapitel Die Weisheit der Theologie durch den Weg

der Wissenschaft. In: Mysterium Salutis 1 (Hg. von Johannes Feiner und
Magnus Löhrer) Einsiedeln/Zürich/Köln 1965.905-977; 913 f.

Subilia, Vittorio: „Solus Christus". II messaggio cristiano nella
prospettiva protestante. Torino: Claudiana 1985. 162 S. 8' = Sola
Scriptura. 10.

Der.Waldenser Theologe Vittorio Subilia beendet mit dem allen
Respekt heischenden „Solus Christus" seine seit 1948 erschienenen
Veröffentlichungen. Das Buch ist in Stil, Rahmen und Aufriß parallel
zu den Bekenntnisschriften des 16. Jh. abgefaßt. Schon die Einteilung:
solus Christus, sola scriptura, sola gratia, sola fide. dazu abschließend
zwei Kapitel „Überdieguten Werke" (l'etica) und „die letzten Dinge"
gebieten dieses Urteil. S. ist bewußt Protestant im Sinne der Proteste
vom Reichstag zu Speyer 1529. Er bestreitet dem Protestantismus
aller Konfessionen das Recht, sich so zu bezeichnen. Er wiederholt die
Feststellung von Paul Tillich. „das Christentum hat alles konsekriert,
aber in allem versagt", und damit ist der moderne Protestantismus besonders
seit Lessing gemeint (S. 6, 7, 23). Die notvolle Geschichte der
Waldenser wird nirgends erwähnt. Nur einmal findet sich beiläufig
das Wort „valdese" (S. 62). Polemik gegen Rom. die zunächst erwartet
wird, fehlt. Vielmehr wird gesehen, daß Rom die Belagerung
von vier Jhn. aufgebrochen hat (S. 7).

Mit dieser Distanzierung von aller Instanz, sogar von der Geschichte
, ist S. frei, in erbarmender und zugleich rücksichtsloser Deutlichkeit
der gesamten Christenheit und zugleich der gesamten
Menschheit rechts und links zu bescheinigen, daß „sie ihren Auftrag
nicht erfüllt haben" (S. 5). S. nennt seine Helfer, die ihm zu seinem
Denken verholfen haben. Es sind neben Paul Tillich, Gerhard Ebc-
ling, Jacques Ellul vornehmlich die Vordenker der dialektischen
Schule Karl Barth, Emil Brunner und Rudolf Bultmann. Allerdings
setzt sich S. damit auch aller gegen die Genannten geschriebenen
Kritik aus. Unverkennbar verlagert sich das Gewicht seiner Argumente
auf die „Guten Werke" und die „letzten Dinge" mit einer deutlichen
Häufung von Zitaten aus Luther. S. ist rundherum Zeuge und
Ankläger einer Welt und Kirche, die sich von einer unguten Vergangenheit
und Gegenwart lösen müssen, um frei zu werden für ein Ziel,
das Gott setzte.

Das Vokabular der Waldenser bedarf nicht vieler Worte: sie sind
eine „Bewegung" (movimento), die auf die Befolgung der Botschaft
sich verpflichtet hat (messagio). Diese Botschaft ist das Evangelium,
und der Inhalt desselben ist Christus als das „einzige Wort Gottes"
(J 1,14), häufig wiederholt. „Gott als Widerspruch zu aller Welt" (dio
del contrasto) (S. 22) darf als Grunderlebnis im Glauben eines Wal-
densers bezeichnet werden. Die Bibel wird nur von weiter Sicht als
heiliges Buch angesehen. Man weiß oft nicht, welchen Unterschied S.
zwischen dem Evangelium und der heiligen Schrift macht (S. 63). Dabei
fehlt eine Wertung der Selbstoffenbarung Gottes, wie sie z. B. den
Pensees von Pascal zugrunde liegt, also mit einem Wort, das ganze
Alte Testament. S. wehrt sich gegen die moderne Manie, im Kanon
des NT einen eigentlichen Kanon zu finden. Für ihn ist die heilige
Schrift, wie sie besteht, unantastbar, und zwar als Ganzes. (S. 64 u.
100) Einschränkungen, z. B. hinsichtlich der Apostelgeschichte, des
Jakobusbriefes lassen ihn sagen, daß die Bibel kein unfehlbares Heiligtum
sei (S. 57 u. 58). Die Unklarheit in den Urteilen zur Schrift
nötigen zur Suche, wo in der Schrift Für S. die Hauptsache zu finden
ist. Sündenerkenntnis hin, Sündenerkenntnis her, und davon herrührend
das ganze Bußsakrament, sind Für ihn Reste der rabbinischen
Urteilsfindung, also nicht fundamental fürdas NT.

Jedoch ist das vierte Ev. und der Rom, wie generell Paulus, bestimmend
. Joh 3,3-6 und Röm 6.1-1 I gehören fürS. inhaltlich zueinander
. Hier ist der „alte Mensch" zum Tode bestimmt und zum „neuen
Leben" berufen. Man mag in der Verknüpfung des vierten Ev. mit
dem Römerbrief mit Recht eine Verengung der umfassenderen Anrede
Gottes sehen. „Si non resurrectuntur" (S. 28) zerstört die Hoffnung
auf eine Änderung oder Besserung dieser irdischen Welt. S.