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Ausgabe:

1987

Spalte:

202-204

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Claussen, Regina u. Schwarz

Titel/Untertitel:

Siegfried [Hrsg.], Vom Widerstand lernen 1987

Rezensent:

Nowak, Kurt

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201 Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 3 202

ralogen Hans Himmel, von 1933 Vizekanzler und Vertreter der NS-
fosiiion) ausgewertet werden.

Die Heidelberger Universität galt dem Führer der NS-Dozenschaft
Dr. Schlüter als „das Zentrum des weltanschaulichen Liberalismus"
(17). Die allgemeine Studentenvertretung wurde schon seit 1924
von rechtsradikalen Gruppen majorisiert, die 1931 auch durch
spektakuläre Aktionen (Fall Gumbel) auf sich aufmerksam machten.
Zu Beginn der NS-Machtergreifung hatten die verbündeten NS und
Nationaler Block bereits 26 von 30 Sitze im ASTA errungen. Im Lehrkörper
dagegen konnte sich der NS nur auf eine verschwindende
Minderheit stützen, obgleich die Mehrzahl der Professoren national
orientiert war und der Weimarer Republik kritisch gegenüberstand.
Entscheidend für die Durchführung der NS-Hochschulpolitik wurde
die Einsetzung eines Reichskommissars in Baden am 8. März 1933,
der bereits drei Tage später die Exekutive des Landes der Reichsregierung
unterstellte. Die personellen Gleichschaltungsmaßnahmen
begannen mit dem badischen Judenerlaß vom 5. April 1933 (Beurlaubung
aller Juden), der schon am Tag darauf auf die Universität
angewandt wurde und somit eine Vorreiterfunktion für das berüchtigte
„Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums"
übernahm. Unter Führung des derzeitigen Rektors (W. Andreas)
bemühte sich die Mehrzahl des Senats, Widerstand genauso wie eine
forcierte Durchführung zu vermeiden. Verhängnisvoll wirkten sich
Uneinigkeit in der taktischen Einstellung und mangelnde realistische
Einschätzung der Situation aus. Ende August 1933 gehörten nur noch
23 von 43 „Nichtariern" zum Lehrkörper, 5 weitere Professoren (u. a.

Radburg, G. Anschütz, A. Weber) wurden aus politischen
Gründen entfernt. Strukturelle (Aufhebung aller körperschaftlichen
Rechte) flankierten die personellen Gleichschaltungsmaßnahmen,
^uch nach der Neubildung der akademischen Gremien bildeten die
uberzeugten NS nur eine Minderheit unter den Ordinarien. Unter
dem Rektorat des Juristen Wilhelm Groh wurde der Versuch unternommen
, durch die Verwirklichung des Führerprinzips (Gründung
eines Führerstabes) die Situation zu verändern. In dergleichen Weise
w'rkte sich die Zentralisierung durch die Übertragung aller Länder-
boheitsrechte auf das Reich (30. I. 1934) aus: Zentrale Entscheidung
der Berufungsverfahren, Emeritierung mit 65 Jahren, neue
Habilitationsordnung (Habilitation nur als Voraussetzung für Bewer-
ung um die venia legendi), Neuformierung der politischen Organisation
des Lehrkörpers, Neuernennungen der Rektoren, Verwaltungsvereinfachung
und Eingliederung der Handelshochschule Mannheim
als wirtschaftswissenschaftliche Fakultät. Lediglich die ebenfalls vorgesehene
zentrale Ernennung von Prorektoren und Dekanen wurde
n'cht durchgeführt.

Eine genauere Darstellung widmet die Autorin den weiteren
Schritten zur „Säuberung" des Lehrkörpers ab 1935 sowie, aufgegliedert
nach Fakultäten, der Neubesetzung der Lehrstühle. Von
den 19 Lehrkräften der jur. Fak. des Jahres 1932/33 mußten 8 aus
■tischen und politischen Gründen der Gewalt weichen; von den 63
'ler phi|. pak vvaren es 22 (u. a. Goebbels' Doktorvater M. Freiherr
von Waldberg und K. Jaspers), von den 77 der med. Fak. 19 und von
den 19 der nat.-math. Fak. 6. Allein der theol. Fak. blieb ein solcher
Substanzverlust erspart. Ihr drohte allerdings zeitweilig (1940) die
Auflösung. Bei der Neubesetzung der Lehrstühle konnten vielfältig
Einflußmechanismen wahrgenommen werden, um den NS-Einfluß
unter den Hochschullehrern zu vergrößern (z. B. Berufung des
NS-Pädagogen und späteren Rektors Ernst Krien). Die „Gleichschaltung
" sollte durch besondere NS-Veranstaltungen vorangetrieben
werden. In den ersten Jahren beteiligten sich, wie anderswo auch.
Professoren daran, die nicht dem Kreis der NS-Dozenten angehörten,
z- B. der Historiker W. Andreas (Thema: Volk, Führertum und Staat
lm Wandel der Geschichte) und der Theologe K. Beer (Thema: Der
Einfluß des Ariertums auf Geschichte und Kultur Israels). Neu
ernchtet wurde bereits Anfang 1934 ein Lehrstuhl für Volkskunde.
Daneben wurden eine Reihe von speziellen NS-Lehraufträgen vergeben
.

Die Autorin gelangt zum Ergebnis, daß der bis 1939 durch die
Gleichschaltungsmaßnahmen herbeigeführte wissenschaftliche Substanzverlust
(mehr als 40 % der amtierenden Ordinarien) nicht wieder
ausgeglichen werden konnte. Im strukturellen Bereich wurde mit dem
Führerprinzip die körperschaftliche Universitätsverfassung aufgehoben
. Es hing jedoch „von der Person des jeweiligen Dekans ab,
„in welcher Zahl und in welchem Umfang Fakultätsmitglieder in
Angelegenheiten der Fakultät herangezogen wurden" (174f). Das
ideologische Endziel jedoch, „die Umgestaltung der traditionellen
Universität von innen her durch Schaffung eines neuen, auf völkisch
-rassischen Grundlagen beruhenden Wissenschaftsbegriffs,
haben die Nationalsozialistischen nicht erreicht" (175). Die Ergebnisse
der flüssig geschriebenen materialreichen Arbeit können durchaus
exemplarische Geltung beanspruchen, wenngleich sich die
Konturen der NS-Machtergreifung an den verschiedenen Universitäten
jeweils etwas anders ausnahmen. Die Unterschätzung der Situation
und die Unsicherheit im taktischen Verhalten, verbunden mit
betont nationaler Einstellung, kennzeichnet wohl den Großteil der
deutschen Hochschullehrer zu Beginn der dreißiger Jahre. Nur wenige
spürten, wie Reinhold Schneider bei seinem Besuch 1931 in Heidelberg
, die „Ungelöstheit, Gefährlichkeit der inneren Lage" (Verhüllter
Tag). Für eine eindringende Aufarbeitung der Geschichte der Heidelberger
Unversität und ihrer Fakultäten hat B. Vczina eine solide
Grundlage geschaffen. Gleiches gilt für die wissenschaftliche Würdigung
vieler von ihr erwähnter Hochschullehrer. Anstelle des Kurzbio-
graphienverzeichnisses wäre ein Namensregister hilfreicher gewesen.
Bei den Stichwort-Viten wünschte man sich eine konsequentere Berücksichtigung
der späteren Jahre der Dargestellten.

Sinnentstellender Druckfehler: 141 Bcrufungsverhandlung statt Verufungs-
verhandlung.

Berlin Siegfried Bräuer

Claussen, Regina, u. Siegfried Schwarz [Hg.]: Vom Widerstand
lernen. Von der Bekennenden Kirche bis zum 20. Juli 1944. Bonn:
Bouvier 1986.210 S. 8'. Pp. DM 38,-.

Das Jahr 1984, Jubiläumsdatum der Barmer Bekenntnissynode und
der Widerstandsbewegung des 20. Juli, hat Anlaß zu einer kaum noch
überschaubaren Fülle von Vorträgen, Kolloquien und Diskussionspodien
gegeben. Diesen Gedenkaktivitäten korrespondiert eine Vielzahl
von Publikationen, die allmählich in Forschungsberichten
aufgearbeitet werden. Der vorliegende Sammclband ist aus der Vortragsreihe
„Begegnung mit dem Widerstand" hervorgegangen. Veranstalter
waren die Evangelische Erwachsenenbildung in den
Kirchenkreisen Bonn und Bad Godesberg, die Volkshochschule der
Stadt Bonn und das Katholische Bildungswerk Bonn in Zusammenarbeit
mit anderen Einrichtungen. In spartenorientierter Einteilung
präsentiert sich der Band in einer Vermittlungsbewegung von Geschichte
und Gegenwart in drei Abteilungen.

In der ersten Abteilung „Der deutsche Widerstand und seine Bedeutung
für den Staat. Urteile von Historikern" kommt Hans-Adolf
Jacobsen mit einer Problemskizze zum Widerstand gegen das
NS-Regime zu Wort. Jacobsen schiebt die gesellschaftsgeschichtlichen
Einsichten der neueren und neuesten Widerstandsforschung
(H. Mommsen, M. Broszat, P. Hüttenberger u. a.) nicht beiseite, läßt
aber doch die ältere Sichtweise dominieren: „der Kern des Geschehens
und der Schlüssel zum Verständnis für den deutschen Widerstand
(liegen) in den Gewissensgründen ihrer Mitglieder" (19).
Richard Löwenthal breitet Gedanken über Widerstand im Un-
rechtsstaat und in der Demokratie aus. Sein Fazit lautet. Widerspruch
gegen eine falsche Politik sei in der Demokratie geboten. Widerstand
aber gegen Institutionen, die dieses Recht schützten, sei „Zerstörung
von innen" (39). Der niederländische Historiker Ger van Roon berichtet
über den deutschen Widerstand aus ausländischer Perspektive.
Er verbindet seine Typologie des Widerstandes in seinen jeweiligen
Entwicklungsstufen und handlungspraktischcn Ausformungen mit