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Ausgabe:

1987

Spalte:

192-194

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hobbs, Edward

Titel/Untertitel:

Bultmann, retrospect and prospect 1987

Rezensent:

Schmithals, Walter

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 3

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Die einleitenden Teile enthalten u. a. gründliche Informationen
über Korinth in der Römerzeit (wobei auch die Zeit zwischen 146 und
44 v. Chr. berücksichtigt ist) und über die Entwicklung der christlichen
Gemeinde in dieser Stadt. - Hinsichtlich der Iiterarkritischcn
Probleme wird die Sicht Semlers, Windischs und Barretts geteilt, d. h.
Kapitel 1-9 werden als ein Brief verstanden (in Mazedonien, wahrscheinlich
Philippi, im Spätsommer oder Herbst 55 geschrieben), und
Kapitel 10-13 werden als ein späterer (!) Brief aufgefaßt (kurz vor
Aufbruch aus Mazedonien - Thessalonich oder Beröa - im Sommer
56 geschrieben), der aufgrund verschärfter Attacken in Korinth
gegen den Apostolat des Paulus nötig wurde und der Vorbereitung des
dritten Besuchs dienen sollte. Die häufige Identifizierung der letzten
vier Kapitel mit dem sog. Tränenbrief (2,4) wird ausführlich und gut
begründet abgewiesen. - Von den Kontrahenten, mit denen sich Paulus
auseinandersetzt und die, trotz 2,17 und I 1,18. als zahlenmäßig
gering angesehen werden ("there need have been no more than two or
three" S. 48), wird ein Bild gezeichnet, das allen Verlockungen zu
phantasievollen Kombinationen widersteht (dementsprechend wird
hernach im Auslegungsteil betonte Zurückhaltung geübt, 11,4 für
Details der gegnerischen Lehre auszuwerten) und das die Gegner des
Paulus als "Christian missionaries whose background was, like his
own, Hellenistic-Jewish" (S. 53) charakterisiert. Sie sind mit den 11,5
und 12,11 genannten „Super-Aposteln" identisch.

Die Auslegung erfolgt in der für die Anchor Bible bezeichnenden
Unterteilung "Notes", "Comment: General" und "Comment: De-
tailed". Die Übersetzung ist auf Verständlichkeit bedacht und trägt
deshalb des öfteren paraphrasierenden Charakter. In den "Notes"
werden die Übersetzungsprobleme reflektiert, die textkritischen Fragen
eingehend bedacht, religionsgeschichtliche Parallelen zitiert und
diskutiert und umfassende Begriffsexegesen geboten. Von informativem
Wert sind auch die eingearbeiteten Landkarten, Zeichnungen
und Fotografien, die das spätantike Korinth und seine Kultur betreffen
, und nicht zuletzt die umfangreiche, den internationalen Forschungsstand
widerspiegelnde Bibliographie.

Im "Comment: General" geht es um Kontext und Struktur der einzelnen
Abschnitte. Hier wird z. B. mit Recht daraufhingewiesen, daß
2,12f nicht Teil eines sog. Reiseberichts, der in 7,5-16 dann beendet
würde, sind, sondern den Abschluß des 1,12 beginnenden Abschnitts
darstellen, in welchem Paulus die Korinther seiner Verbundenheit
trotz des geänderten Besuchsplans versichert. - Auch wird 2,14-3,6
nicht als Beginn eines ursprünglich anderen Briefes verstanden, sondern
als Einleitung zu einem weiteren Hauptteil (2,14-5,19). Kontextgemäß
wird 7,4-16 primär als Vorbereitung für die in Kapitel 8f
behandelte Kollektenangelegenheit gewürdigt, wobei 9,1-5 "as a
meaningful extension of 8:16-24" und 9,6-15 "as a general con-
clusion to the whole discussion since 7:4" (S. 432f) angesehen werden
. - Hinsichtlich des umstrittenen Abschnitts 6,14-7,1 wird eine
ausführliche Diskussion pro et contra geführt mit dem Ergebnis: "The
origin of 6:14 - 7:1, its place in the context, and therefore its meaning
remain unclear"(S. 382).

Im "Comment: Detailed" werden die Aussagen der einzelnen
Verse unter ständiger und profunder Berücksichtigung der paulini-
schen Theologie herausgearbeitet. Dabei wird z. B. gut zur Geltung
gebracht, daß in 4,3 der gegnerische Vorwurf aufgenommen wird,
Paulus verhülle sein Evangelium durch seine Schwachheiten. Mit
Recht wird auch aus dem schwierigen Passus 5,1-10 keine Entwicklung
der paulinischen Eschatologie erhoben.

Zur Einzelauslegung möchte ich folgende Bedenken äußern: 1. Das
Verständnis der ersten Person Plural bereitet gerade im 2Kor dem
Exegeten große Schwierigkeiten. F. ist sich dessen durchaus bewußt
und stellt dazu bereits im Einleitungsteil auf S. 43fgute Überlegungen
an. Zutreffend erblickt er im Gebrauch der ersten Person Plural innerhalb
des 2Kor "an aspect of solemn purposefulness and authority"
(S. 44). Aber in der Exegese, wo übrigens jedes ,,wir" eigens bedacht
wird, hält sich diese Sicht nur selten - am ehesten Tür die Kapitel
10-13 - durch; stattdessen wird die erste Person Plural zumeist auf

Paulus und seine Mitarbeiter bezogen. Dabei geht aber die unverwechselbare
apostolische Autorität des Paulus (vgl. IKor 9,1;
15,8-10) verloren. - 2. Für 2Kor 3 verneint F. - m. E. zu Recht - die
Verarbeitung einer gegnerischen Vorlage. Wenn er aber 3,7 ff lediglich
.als Entfaltung von 2,16b—3,6, insbesondere von 3,6 versteht und hier
keine bzw. eine nur geringe Polemik gegen die Kontrahenten des Paulus
wahrnimmt, so wird dies dem Abschnitt schwerlich gerecht. Der
Umstand, daß Paulus Aussagen aus Ex 34 sowohl überbiett-nd
(3,7-11.16-18) als auch ausgesprochen negativ (3,12-15) verwendet,
läßt eher eine abweisende Intention erkennen, die wohl daraus zu
erklären ist, daß die Gegner mit der Moscerzählung Ex 34 zugunsten
ihres gloriosen Selbstverständnisses argumentierten. - Daß in 3,14b
die Außerkraftsetzung des alten Bundes (und nicht der „Decke")
gemeint sei, ist u. a. wegen der Präsensform des Verbs unwahrscheinlich
. - 3,17 als exegetische Bemerkung zu V. 16 zu verstehen, so daß
mit „Kyrios" das Pneuma gemeint sei, wird dadurch in Frage gestellt,
daß Paulus sonst nicht von einer Bekehrung zum Geist spricht. Auch
legt sich von V. 14 her die christologische Deutung des ..Kyrios"
nahe. - 3. Hinsichtlich 5,1-5 wird zu Recht die Ansicht abgelehnt,
Paulus korrigiere hier (mißverstandene) gnostische Anschauungen. F.
wendet sich aber auch gegen eine anthropologische - auf die Leiblichkeit
bezogene - Deutung und verficht eine umfassende eschatolo-
gische Auslegung: Das „ewige Haus im Himmel" (5,1b) sei ein Bild
für den neuen Äon; „anziehen" in 5,2b bezeichne die Erfüllung der
Rettung, die Vollendung des in der Taufe (Gal 3,27) begonnenen
Bekleidetwerdens mit Christus. Bei dieser Interpretation scheint mir
der Kontext nicht ausreichend berücksichtigt zu sein: In 4,7-18 liegt
der Akzent auf der somatischen Existenz des Apostels; in 5,1a wird
das „Zelt" auch von F. auf den Leib bezogen, und in 5.6.8 ist vom
soma die Rede. Außerdem ist die Parallelität zwischen 5,2-4 und
IKor 15.53f höher zu veranschlagen, als dies bei F.s Auslegung
geschieht. Gerade zu 5,4 vermißte ich eine detaillierte Exegese.

Diese Einzelbeobachtungen betreffen bezeichnenderweise Probleme
und Abschnitte, die in der Exegese des 2Kor ohnehin kontrovers
sind; bei anderen Lesern wird F. gewiß auch in diesen Punkten
seiner Auslegung Zustimmung finden. Auf jeden Fall verdankt die
neutestamentliche Wissenschaft dem Vf. ein Werk, das aufgrund seinergründlichen
und umfassenden Erarbeitung den großen Kommentaren
zum 2 Kor zugerechnet werden darf.

Berlin Christian Wolfi"

Hobbs, Edward C. [Ed.]: Bultmann, Rctrospect and Prospect: The

Centenary Symposium at Wellesley. Philadelphia, PA: Fortress
Press 1985. XII, 113 S. m. 1 Taf. gr. 8B= Harvard Theological Stu-
dies, 35.

Aus Anlaß des 100. Geburtstages von Rudolf Bultmann lud das
Wellesley College im September 1984 zu einem Symposion ein, bei
dem sich etwa 50 Theologen vor allem aus den Vereinigten Staaten an
jenem Ort, der Bultmann während seines USA-Aufenthaltes 1951 als
.Hauptquartier' diente, zu Rückblick und Ausblick versammelten.
Man gedachte dabei zugleich an der Stelle, an der sie die meiste Zeit
ihres Lebens gewirkt hatte, Louise Pettibone Smith (1887-1981), die
1934 zum erstenmal eine Veröffentlichung Bultmanns in englischer
Übersetzung vorlegte, nämlich unter dem verständnisvollen Titel
"Jesus and the Word" sein 1926 erschienenes Jesusbuch. Paul Lehman
stellt diese auch Karl Barth verbundene Dame in ebenso geist-
wie liebevoller Weise vor, und Kollegen wie auch Schüler berichten
lebendig und anschaulich von ihrer eigenwilligen Persönlichkeit.

Vor allem aber erhält die vorliegende Veröffentlichung in zwei
Abteilungen die Vorträge, welche auf dem Symposion gehalten und
diskutiert wurden. Die erste Abteilung blickt zurück. Die älteste
Tochter Antje Bultmann-Lcmke berichtet aus dem Leben ihres
Vaters sowie über die verwirklichten und geplanten Veröffentlichungen
aus seinem Nachlaß, wobei sie ausführlich aus unveröffentlichten