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Ausgabe:

1987

Spalte:

189-190

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Pohle, Lutz

Titel/Untertitel:

Die Christen und der Staat nach Röm 13,1-7 in der neueren deutschsprachigen Schriftauslegung 1987

Rezensent:

Rohde, Joachim

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 3

i

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Hinsichtlich Mk 13 geht D. in der Bestimmung einer Struktur, die z. B. zur Frage nach dem Rahmen des Textes (S. 29-87), nämlich zu
die ganze Rede beherrscht, nicht weit (genug?). Ob je ein vormarki- seinem Verhältnis zum Kontext, nach dem aktuellen Anlaß der Mah-
nisches Gleichnis vom „Feigenbaum" (vgl. V. 28-29) existierte, nung, nach der Herkunft der vorkommenden Motive und dem Verscheint
mir unsicher. Die Untersuchung der aus zwei langen Kapiteln hältnis zur Paränese und ihrer Begründung sowie nach der Haltung
bestehenden matthäischen Rede fiel im Vergleich zu den anderen Jesu als Vorbild für die paulinischen Aussagen zum Staat. Sodann
etwas kurz aus. Wahrscheinlich werden nur wenige bereit sein, D.s werden die Aussagen über das Wesen des Staates und über das Verdoppelten
Vorschlag zur Struktur dieser Apokalypse (vgl. S. 92-95) hältnis des Christen zum Staat bei den Vertretern der vier Interpreta-
zu akzeptieren. Mir scheint, daß D. in Lk 21 zwischen den Verfolgun- tionstypen vorgeführt (S. 88-158) und schließlich das Problem von
gen und dem Fall Jerusalems und dem Weltende andererseits einen zu hergebrachten Vorverständnissen bei diesen Interpretationstypen
großen Zeitabstand annimmt (es geht um dieselben Personen; „das erörtert (S. 159-170).

Ende kommt noch nicht sofort" [V. 9] setzt dennoch ein nicht allzu Als das Wesen der naturrechtlich-ordnungstheologischen Interpre-
fernes Ende voraus; die „Zeit der Heiden" in V. 24 darf wahrschein- tation gilt das Verständnis des Textes unter der Voraussetzung einer
'ich nicht als unbestimmt lang angesehen werden; und vgl. vor allem vorgegebenen Ordnung, während die konkret-charismatische Inter-
^- 32). pretation dadurch gekennzeichnet sei, daß sie den Text unter der Vor-
Diese kritischen Anmerkungen sollen auf keinen Fall die zahl- aussetzung einer situationsethisch-pneumatischen Konzeption beziehen
Qualitäten der vorliegenden Untersuchung verdunkeln. Nur trachte. Die eschatologisch-realistische Interpretation suche den
ein kompetenter Exeget, der durch jahrelange Forschungsarbeit mit Text aus sich selbst ohne systematisch-theologische Voraussetzungen
der Materie vertraut ist, ist imstande, in einem kurzen Aufriß durch zu erklären, und schließlich die christokratisch-politische Interpreta-
eine sorgfältige Lektüre der Texte auf so schlichte und unauffällige tion negiere durch einen theokratischen Totalitätsanspruch das
Weise gut fundierte und präzis formulierte Einsichten vorzulegen. Selbstverständnis des Textes. Leitsätze zum exegetisch-systema-

•... , . tischen Verständnis unseres Textes schließen die Untersuchung ab
Leuven Jan Lambrecht

(S. 170-176), in denen versucht wird. Hinweise zum rechten Verhal-

p , ten den Christen zugeben und Abwege zu vermeiden,

roh e Lutz: Die Christen und der Staat nach Römer 13. Eine typolo- Mjr dje tematische Typisierung der Auslegungen jedoch

gisene Untersuchung der neueren deutschsprachigen Schnftaus- . . _ ... , , ... „ . ,

lf>oi,„„ w • - u ,noA ioi o o. v _ r->»« -.o nicht vor Fehldeutungen bewahren zu können, so wertvoll auch der

iegung. Mainz; Grunewald 1984. 183 S. 8 . Kart. DM 28,-. "

Versuch zu werten ist, Pfade durch das fast unentwirrbare Dickicht

Das Verhältnis von Christen zum Staat, in dem sie lebten, ist durch eines tropisch wuchernden Urwaldes (der unterschiedlichen Deutun-

die Jahrhunderte hindurch von vielen Schwankungen gekennzeichnet gen) zu schlagen. Solche Fehldeutungen beziehen sich m. E. vor allem

gewesen. Das war nicht nur davon abhängig, wie sich der jeweilige auf den sog. christokratisch-politischen Typ der Interpretation, also

Staat zu den Christen verhielt, sondern auch davon, welche gesell- auf Karl Barth und seine Freunde. Mir scheint, daß bei der Beurtei-

schaftliche und politische Stellung der jeweilige Christ in einem lung der Äußerungen Barths nicht ihr historischer Kontext berück-

Staatswesen einnahm. Er konnte sein Staatswesen problemlos und so- sichtigt worden ist, nämlich die spezielle Frontstellung gegen den

gär enthusiastisch bejahen, er konnte es aber auch ablehnen und ihm faschistischen Staat. Dadurch kann es zu solchen Fehldeutungen

Widerstand entgegensetzen. Diese unterschiedliche Haltung hat auch kommen wie: „Die christokratisch-politische Interpretation sucht

ln der Exegese ihren Niederschlag gefunden, besonders in der Aus- den Auftrag des Staates allein unter der Rücksicht seines Nutzens für

legung des Paulustextes von Römer 13,1-7. die Kirche" (S. 137). Wäre das richtig, dann müßte man in Barth

'n seiner Dissertation, die 1983 von der Universität Freiburg im einen eingefleischten Klerikalisten sehen, was er doch gewiß nicht
Breisgau angenommen wurde, geht der katholische Vf. den wichtig- war. Zeitgeschichtlich aus der gegebenen Situation müßte man beiden
Auslegungen dieser Stelle in der deutschsprachigen Forschung spielsweise auch die sog. angelologische Deutung der „übergeordneten
. In Modifizierung einer von Ernst Käsemann versuchten Her- ten Gewalten" von Rom 13,1 werten, wie sie in den dreißiger Jahren
ausstellung von Interpretationstypen bei der Auslegung der betreffen- von Günther Dehn und Karl Ludwig Schmidt, zeitweise auch von
den Paulusstelle möchte der Vf. die hermeneutischen Voraussetzun- Martin Dibelius vertreten worden ist (vgl. dazu S. 89-99). Vom
gen klären, also den Grenzbercich von Exegese, Dogmatik und Sozial- Selbstverständnis des Textes her ist die angelologische Deutung sicher
ethik betreten, dadurch auch die unterscheidbaren Auslegungsweisen nicht zu halten, aber angesichts des faschistischen Staates hatte sie
ordnen und ihre Stimmigkeit mit dem Skopus des Textes überprüfen sehr wohl die Funktion, durch Hervorhebung einer möglichen dämo-
'S- 19). nischen Seite des Staates vor dem faschistischen Staat indirekt zu war-

Er unterscheidet vier Haupttypen von Interpretationsarten: 1. nen, ihn deutlich abzuwerten und seine Geltung als eine Autorität
Einen naturrechtlich-ordnungstheologischen Typ, wobei vor allem beanspruchende Macht in Frage zu stellen, indem er als lediglich prokatholische
Exegeten naturrechtlich interpretieren (wie z. B. Barden- visorische und mögliche dämonische Erscheinung gedeutet wurde,
hewer. Sickenberger, Kürzinger. Schelkle), lutherisch bestimmte Magder Versuch, die vorliegenden Deutungen von Rom 13.1-7 auf
Theologen wie Zahn, Nygrcn und Althaus dagegen ordnungstheolo- vier Grundtypen zurückzuführen, mit Fragezeichen zu versehen sein
gisch. 2. Eine konkret-charismatische Interpretation, vertreten etwa - sicher sind auch noch andere Zusammenordnungen möglich -, so
durch M. Dibelius, Käsemann, Michel oder Stuhlmacher, richte ihr gibt das Buch doch eine gute Orientierung über die mannigfaltigen
Interesse auf das rechte Verhalten des Christen in der Welt, verstehe Deutungen. Als Nachschlagewerk zur Information über die Diskus-
den Staat als Zulassung Gottes, der von ihm in Dienst genommen sei. sionslage ist es freilich nur schwer verwendbar, weil dazu ein

• Eine eschatologisch-realistische Interpretation, vertreten etwa Sach-und Namensregister nötig gewesen wäre,
durch Schlier, Campenhausen, Goppelt, Delling und Schräge, rede
davon, daß der Staat Stiftungscharakter trage und Diener zum Guten

des Menschen sei. aber nicht Schöpfungsordnung. 4. Schließlich eine _ , , ... _ , _„, „ , , ,

rtrirt , • , .. . , , . Furnish, Victor Paul: The Anchor Bible: II Corintnians, transl. with

"-"nstokratisch-po itische Interpretation, vertreten durch Karl Barth , , . ,■ XI , , „ „ .__XT

. . K Introduction, Notes and Commentary. Garden City, N. Y.:

"nd die dialektische Theologie, betone die Einheit der Herrschaft Doubleday 1984. XXII, 621 S. m. Abb. u. Ktn gr. 8' = The Anchor

Christi über Kirche und Staat, der nur ein Werkzeug Christi ohne Bible, 32a. geb. $ 18.-.
Eigenrecht sei.

Irn Verlauf der Darstellung dieser vier Interpretationstypen wird Das Kommentarwerk "The Anchor Bible" ist mit der von V. P.

nun dargelegt, welche Antworten ihre Vertreter auf die verschiedenen Furnish besorgten Auslegung des 2Kor um einen wichtigen Band

Eragen gegeben haben, die an den Text herangetragen worden sind, bereichert worden.

Berlin Joachim Rohdc