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Ausgabe:

1987

Spalte:

179-181

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Miller, Patrick D.

Titel/Untertitel:

Interpreting the Psalms 1987

Rezensent:

Westermann, Claus

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 3

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geworden ist, vor allem aber Tendenzen und Spannungen in der Darstellung
deutlicher hervortreten. Ob sich freilich der literarische
Wachstumsprozeß von Dtr so schematisch auf drei inhaltlich und in-
tentional jeweils gleichgerichtete Redaktionen reduzieren läßt, ist
noch immer eine offene Frage. Foresti, der keinerlei Kritik an W.
Dietrich übt, übernimmt unbesehen die Dreischichten-Theorie und
überträgt die Bezeichnungen DtrP und DtrN fast willkürlich auf seinen
„Originaltext" und dessen sekundäre Erweiterungen. Damit erliegt
seine ganze Untersuchungsweise einer petitio principii, die ihm
wenig Spielraum läßt, den komplizierten Wachstumsprozeß des Kapitels
organisch und literarhistorisch überzeugend zu erklären. Der
Vf. hat viel Mühe darauf verwandt, den Ursprüngen der in lSam 15
verarbeiteten Traditionen nachzuspüren, vermag aber beispielsweise
nicht zu sagen, warum gerade Davids Krieg gegen die Amalekiter
lSam 30 in Kap. 15 literarisch adaptiert und zur Folie für Sauls tragisches
Schicksal gemacht wurde. Aber er schließt daran die gewichtige
Bemerkung, daß der historische Wert von lSam 15 zweifelhaft
sei.

Es liegt in der Natur literarischer Untersuchungen, die Frage nach
dem Quellenwert der Überlieferung zunächst zurückzustellen. Das
Literaturwerk soll aus sich heraus verstanden werden. In welchem
Umfang Literatur jedoch auch als Geschichtsquelle dienen kann, ist
vom Literarkritiker nur partiell zu entscheiden und muß letztlich dem
Historiker überlassen werden, der in noch anderen Bezugssystemen
denkt und arbeitet. Ob also der Feldzug Sauls gegen die Amalekiter
stattfand, hat nicht der Literaturwissenschaftler allein zu beurteilen,
sondern muß im Abwägen zwischen der literarischen Gestaltung des
Berichteten und den historischen Voraussetzungen und Möglichkeiten
der ganzen Epoche vom Historiker wahrscheinlich gemacht
werden. Forestis Studie ist für die literarische Beurteilung von
lSam 15 beachtenswert; ihr Resultat sollte jedoch nicht als letztes
Wort über den historischen Wert von lSam 15 mißverstanden werden
. Es sei hinzugefügt, daß W. Dietrich neuerdings vier Textebenen
in diesem Kapitel unterscheidet und dabei einige Anhaltspunkte zur
historischen Auswertung liefert: W. Dietrich, David, Saul und die
Propheten. Das Verhältnis von Religion und Politik nach den prophetischen
Überlieferungen vom frühesten Königtum in Israel (im
Druck).

Bochum Siegfried Herrmann

Miller, Patrick D., Jr.: Interpreting the Psalms. Philadelphia, PA:
Fortress Press 1986. X, 165 S. 8

Im ersten Teil des Buches führt der Vf. in die gegenwärtigen Strömungen
der Psalmenforschung ein (S. 3-17), ausgehend von der Bedeutung
der Psalmen allgemein: Die Psalmen im Gottesdienst und in
anderen Funktionen (H. Gunkel, C. Westermann, H. Schmidt, W.
Beyerlin, E. Gerstenberger, R. Albertz, W. Brueggemann u. a.), die
redaktionsgeschichtliche Sicht (J. Becker, B. S. Childs, M. Fishbane,
D. A. Knight); der Psalter als Sammlung (K. Seybold, P. Auffret, C.
Westermann, J. A. Sanders, P. W. Skehan); zur hebräischen Poesie (J.
Kugel, S.A. Geller, M. O'Connor, N.J. Ridderbos, L. Alonso-
Schökel, H. Gunkel). - Hier und im Folgenden ist der Vf. im Beurteilen
der Beiträge zur Forschungsgeschichte objektiv und zurückhaltend
; er hütet sich, dem Leser die eigene Meinung oder die eigenen
Vorbehalte aufzudrängen.

Zur Traditionsgeschichte und zum Inhalt der Psalmen S. 18-28:
Die Psalmen haben ihre Bedeutung in erster Linie darin, daß sie Antwort
sind (hierzu Calvin und Luther) und als solche Ausdruck
menschlicher Empfindungen. Diese Bedeutung für die Frömmigkeit
und den Gottesdienst haben sie durch die gesamte Geschichte ihrer
Tradition behalten; als solche sind sie in ihrer Geschichte und von
ihrem Inhalt her nicht zeitgebunden; sie reden vom Menschen, wie er
damals war und wie er heute ist.

Dichterische Form und Interpretation S. 29-47: In der dichterischen
Form der Psalmen gehören Inhalt, Form und Wirkung,

Schönheit der Form und Tiefe des Sinnes unlösbar zusammen. Wie
das Wahrnehmen und Werten der dichterischen Form zum Prozeß
des Verstehens gehört, das zeigt der Vf. insbesondere am Parallelismus
, dem Gleichgewicht der Halbverse. Er gehört nicht nur zur Form
des Psalms, er drückt auch Inhaltliches aus und dient so dem Verstehen
. Neuere Untersuchungen des Parallelismus (T. Collins, M.
O'Connor, J. Kugel, S. Geller) haben gezeigt, daß die konventionelle
Dreiteilung (synonym, synthetisch, antithetisch) nicht ausreicht, es
gibt vielmehr eine Fülle von Varianten der Funktion des Parallelismus
(unterstützend, betonend, verstärkend, entfaltend, ein Ganzes in
zwei Punkten darstellend und andere). Der Vf. führt das am Beispiel
des 24. und 29. Psalms aus. Auch Wiederholungen (Kehrverse) dienen
niemals nur der Form, sondern immer auch dem Inhalt, das zeigt Ps
42/43.- Diese Beobachtung zur Form der Psalmen, besonders zum
Parallelismus, sind eine wertvolle Hilfe zu deren Verstehen.

In den beiden nächsten Abschnitten charakterisiert der Vf. die beiden
Hauptarten der Psalmen, die Klage- und Lobpsalmen, die er nach
Westermann in polarer Entsprechung zueinander sieht (S. 8; 25). Die
Klagepsalmen (S. 48-63): Die Gliederung der Klage in die drei
Aspekte Gott-Klage, Ich- (Wir)-Klage, Feind-Klage ist zwar zutreffend
, aber die Situation, aus der der Psalm gesprochen ist, können sie
meist nicht erklären, auch bleibt die Beziehung insbesondere der Ich-
Klage zur Feind-Klage meist nicht erkennbar. In der neueren Forschung
wurde vor allem versucht, die Frage zu beantworten, wer mit
den Feinden gemeint sei (S. Mowinckel und viele andere nach ihm).
Aber die stereotype Sprache der Psalmen legt nahe, daß man die
Feinde gar nicht auf eine bestimmte Gruppe festlegen kann; sie können
vielmehr vielerlei Identität haben. Man muß sie offen halten, weil
die Klagen aus vielerlei Leid zu Gott erhoben wurden. Die stereotype
Sprache der Psalmen ermöglicht verschiedenartige Aktualisierung
schon im mündlichen Gebrauch und dann in der Geschichte ihrer
Auslegung. Deutlich wird das, wenn man die Klagepsalmen in Beziehung
zu dem Kontext der geschichtlichen und prophetischen Bücher
bringt und nach Situationen fragt, in denen sie gesprochen sein
könnten. Das ist schon in den redaktionellen Überschriften der Psalmen
geschehen, vgl. besonders Ps 51, der dem Bericht 2Sam 12 entspricht
. Wenn die Psalmen über den Spott der Gegner klagen, so entspricht
das vielen Situationen in den Geschichtsbüchern wie Ri 8,15;
lSam 25; 2Kön 19 u. a. In der Erzählung von Hanna lSam 1 treten
deutlich die drei Aspekte der Klage heraus; hier stehen sie in einer klar
erkennbaren Beziehung zueinander. Ebenso ist es in den Klagen
Jeremias. Wenn im Neuen Testament das Leiden und Sterben Christi
von den Worten des 22. Psalms begleitet wird, so setzt dies auch ein
offenes Verständnis der Sprache der Klagen voraus.

Zum Verständnis der Lobpsalmen S. 64-78: In den Lobpsalmen
hat Israel den stärksten und reichsten Ausdruck dessen geprägt, was
Gott ist und wer Gott ist, hier liegen die Fundamente der Theologie
und der Frömmigkeit des Alten Testaments. Denn die Lobpsalmen
sind Antwort; was das Volk von Gott hört und von Gott erfährt, findet
hier seinen Widerhall. Klage und Lob in ihrer Polarität und der Bewegung
vom Flehen zum Gotteslob machen die Psalmen so lebendig wie
es das schöne Beispiel des 107. Psalms zeigt. Diese Bewegung hat ihre
Entsprechung in vielen Zusammenhängen des Alten Testaments: in
Ex 1-15; lSam 1-2; Jes40-55 und oft. Zum Loben Gottes gehört
auch der universale Aspekt: der Ruf zum Lob ergeht an die Völker
und an die Kreatur. Dabei kann Loben (tehilläh) und Danken (tödäh)
unterschieden werden; im Entscheidenden aber gehören sie zusammen
als zwei Weisen des Gotteslobes. Besonders ist es der Gott, der
Wunder tut, der in den Psalmen gelobt wird und der im Vollbringen
der Wunder seine Freiheit bewahrt (W. Brueggemann).

Im zweiten Teil S. 81-153 gibt der Vf. Hinweise zur Auslegung
einiger Psalmen (1; 2; 14; 22; 23; 82; 90; 127; 130; 139). In diesen
Auslegungen ist ein bezeichnender Zug, daß vom Psalm als einer
Ganzheit ausgegangen und das Einzelne vom Ganzen her gesehen
wird; ein anderer, daß Form und Inhalt des Psalms nicht voneinander
getrennt werden. In Ps 1 z. B. ist der ganze Psalm bis in jeden Satz von