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Ausgabe:

1986

Spalte:

151-153

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Titel/Untertitel:

Luther in der Schule 1986

Rezensent:

Dienst, Karl

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151

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 2

152

gerade deshalb folgen hier die entscheidenden Aussagen über die theologischen
Grundlinien einer empirischen Homiletik.

Bezeichnet man mit Heribert von Mühlen den Geist als das „Wir-
in-Person", wird das Kriterium der Liebe insofern erfüllt, als Prediger
und Hörer, Wort und Situation in ihm zusammengebunden werden.
„Der Prediger bindet sich an den Hörer, um diesen an das Wort zu
binden. Und er bindet sich an das Wort, das ihn seinerseits an den Hörer
bindet. Die beiden Kriterien hängen inhaltlich aufs engste miteinander
zusammen. Es handelt sich nicht um ein Einerseits-anderer-
seits oder ein Sowohl-als-auch, um eine mühsame Balance gegensätzlicher
Gewichte. Sondern es handelt sich um einen inneren Zusammenhang
." (S. 108) Auch das entscheidende Ergebnis der Frage nach
dem Verhältnis von Heiligem Geist und Rhetorik wird hier bereits am
Ende des zweiten Drittels des Buches formuliert: „Rhetorik will vermitteln
und gewinnen. Der Heilige Geist ist die Seinsweise, in der sich
Gott dem Menschen vermittelt und ihn für sich gewinnt. Der Geist
kann daher auch die sich selbst vermittelnde Vermittlung genannt
werden. Der Heilige Geist und die Rhetorik rücken damit sehr eng zusammen
. Beide sind Vermittlung. Sie sind zwar nicht dasselbe. Denn
es gibt auch unchristliche Rhetorik, und der Geist vermittelt sich
nicht nur im Medium der Rede. Aber auf dem Gebiet der Verkündigung
gehören beide so eng zusammen, daß sie beinahe miteinander
verschmelzen." (S. 109)

In den nun noch folgenden Abschnitten werden weitere Konsequenzen
aus dem erreichten Ergebnis gezogen. Sie zeigen, daß der
gewonnene Neuansatz fruchtbar ist. „Empirische Homiletik", so stellt
Vf. abschließend fest, „hat daher die große Aufgabe, dem Wirken des
Geistes nachzuspüren und bei den Predigern die Bereitschaft zu fordern
, den Geist zu empfangen und seine Mitarbeiter zu sein." (S. 152)
Das ist nicht nur ein theologisches Programm. Homiletik wird hier zu
einem pastoraltheologischen Geschehen. Aber das ist wohl auch legitim
, wenn es ernsthaft um ein pneumatologisches Bemühen geht.

Der Leser möge nicht den Eindruck gewinnen, als wolle der Rezensent
von diesem Buche abraten. Im Gegenteil: Es wäre fatal, wollten
wir nicht einmal Geisterfahrungen in den Gemeinden und bei Predigern
aufnehmen und anwenden. Gilt es doch, die so einfache und doch
oft nur halb wahrgenommene Erkenntnis konsequent weiterzudenken
, daß der Geist die Predigt wirkt (1 Kor 2,4). Vf. hat das in einer
Weise getan, die nicht nur dem Prediger in seiner Praxis helfen kann,
manches besser zu verstehen und besser zu machen. Man kann hoffen,
daß sie auch in der theoretischen Diskussion den Weg freimacht, eine
sachgemäße, d. h. theologisch verantwortbare empirische Homiletik
zu entwerfen.

Berlin Johannes Althausen

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Goebel, Klaus [Hrsg.]: Luther in der Schule. Beiträge zur Erziehungsund
Schulgeschichte, Pädagogik und Theologie. Bochum: Brockmeyer
1985. V, 268 S. 8* = Dortmunder Arbeiten zur Schulgeschichte
und zur historischen Didaktik, 6. Kart. DM 19,80.

Das Lutherjubiläum 1983 hat an manchen Universitäten zu Ringvorlesungen
, auch mit interdisziplinärem Charakter, geführt. Daß
eine „Forschungsstelle Schulgeschichte" und eine „Gesellschaft für
Schulgeschichte" wie hier in Dortmund im WS 1983/84 ein solches
Unternehmen durchgeführt hat, dürfte selten sein. Dennoch ist gerade
auch im Interesse der Pädagogik ein solches Unternehmen geboten, ist
doch zu vermuten, „daß wir im erziehungswissenschaftlichen Durchgang
durch das historische Phänomen .Luther und die Reformation'
vielleicht Wichtigeres über einige Probleme, die wir heute in Erziehung
und Unterricht haben, erfahren als durch bloße gegenwartsbezogene
Erziehungsforschung und -planung" (50; vgl. 16,23).

Schulgeschichte entzieht sich monokausalen Erklärungsversuchen;

sie ist eher ein Geflecht mannigfacher Ursachen und Verursacher.
Dennoch kommt Klaus Goebel in seinem Beitrag „Luther als Reformer
der Schule" (7-26) mit Recht zu dem Ergebnis: „Luthers Beitrag
wird man selbst unter solchen Voraussetzungen nicht verkleinern
können. Katechismus und Ratsherrnschrift allein reichen aus, ihm
einen bedeutenden Platz in der Schulgeschichte zuzuweisen" (24).

Freilich: Luthers Beitrag zu Erziehung und Schule ist aus theologischen
, anthropologischen und auch pädagogischen Gründen „dialektisch
", wie es z. B. H. Kittel formuliert hat: „Ein großer Erzieher
und Feind der Pädagogik" (Das Parlament 3, 1983, 7). Auch Erich
Schwerdtfegers Aufsatz „Luther als Lehrer. Didaktische Überlegungen
im Kontext einer historischen Biographie" (213-246) kann dies
verdeutlichen: „In der Konzeption von Schule, wie sie sich aus
Luthers Denken als Idee ergibt, gibt es nichts in unserem Sinn zu
.lehren', es geht immer nur um die Disposition, etwas zu empfangen,
was nicht lehrbar ist" (243). Ähnlich weist Erhard Wiersing („Martin
Luther und die Geschichte der Erziehung. Überlegungen zum erziehungsgeschichtlichen
Interesse an Mittelalterund früher Neuzeit, dargestellt
am Beispiel Luther"; 27-54) auf die „für die Pädagogik provozierende
" Anthropologie Luthers hin (vgl. 44ff).

Es ist ein Vorzug des vorliegenden Sammelbandes, daß er auch
regionale Themen berücksichtigt. So untersucht Günther Wartenberg
„Visitationen des Schulwesens im albertinischen Sachsen zwischen
1540 und 1580" (55-78): „Zu den Ergebnissen der Reformation
gehört es, die Verantwortlichkeit und Fürsorgepflicht in den Territorialstaaten
und den Städten für die Ausbildung der Jugend gestärkt
und vielen Obrigkeiten erst bewußt gemacht zu haben . . . Religiöse
und weltlich-praktische Motive verbanden und ergänzten sich. Nur
wiederholtes Eingreifen der Obrigkeit, wozu auch das Instrument der
Visitationen gehörte, konnte einigermaßen befriedigende Schulverhältnisse
. . . schaffen" (68). Damit ist aber ein Thema aufgegriffen,
das über der sonst vorherrschenden „gymnasialen" Perspektive leicht
vergessen wird: „Kirchspiels- und Küsterschulen in der Reformationszeit
. Das niedere Schulwesen im Spiegel von Visitationsberichten
des 16. Jahrhunderts" aus der Feder von Hans Georg Kirchhof!
(127-147). Da heißt es: „Die Schulen der Reformationszeit waren
wohl kaum imstande, eine breite Schicht von Lesefähigen und
-begierigen hervorzubringen" (140). Auch die „Ursachen des katholischen
Bildungsdefizits in Deutschland seit Luthers Auftreten", das
Michael Klöcker (173-211) untersucht, sind weitaus komplizierter,
als es manche kulturpolitischen Parolen und der törichte Vergleich
von Abiturientenzahlen vermuten lassen. Peter Mencks Aufsatz
„August Hermann Francke - der erste .Erzieher' in Deutschland?"
(149-172) macht die Ambivalenz von Erziehung deutlich, die nicht
nur für den Pietismus gilt: „Francke hat als erster in Deutschland
einen umfassenden Begriff von Erziehung im modernen Verstände
entwickelt, und zwar sowohl praktisch realisiert als auch theoretisch
legitimiert-thematisch in der Spannweite von der Bildungspolitik bis
zum Erzieher-Zögling-Verhältnis. Erziehung erscheint bereits in derjenigen
Widersprüchlichkeit, die dann in der Folge charakteristisch
wird: Sie ist einerseits gezielte Aufklärung. . . Andererseits und
zugleich dient Erziehung der Einbindung der Jugend in den entstehenden
feudal-absolutistischen Staat durch die Ausstattung mit nützlichen
Kenntnissen ebenso wie durch die Vermittlung von herr-
schaftssichernden Orientierungen" (1680- Daß diese Dialektik auch
in anderen Situationen und Zeiten vorhanden ist, zeigt - zumindest als
Nebenprodukt - Ulrich Michael Kremers Beitrag „Die Bildungsidee
der sächsischen Fürstenschule und ihre Erneuerung durch die Evangelische
Landesschule zur Pforte in Meinerzhagen" (79-95).

Humanismus und Reformation sind im Blick auf das Schulwesen
eine zuweilen spannungsreiche Ehe eingegangen. Auch werden
Unterschiede hinsichtlich des Anteils, den beide Geistesmächte hier
geleistet haben, zuweilen kontrovers beurteilt (vgl. z. B. Gerhard
E. Sollbachs Ausführungen über „Die Einrichtung des Gymnasiums
in Dortmund 1543 - Schulpolitik zwischen Humanismus und Reformation
"; 97-119).