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Ausgabe:

1986

Spalte:

136-137

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Sinding-Larsen, Staale

Titel/Untertitel:

Iconography and ritual 1986

Rezensent:

Strohmaier-Wiederanders, Gerlinde

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 2

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ältere, sondern auch aktuelle Sekundärliteratur. (Die ältere bezeichnet
Vf. als Vertreter einer neuen Generation auch als „Klassiker"!)
Sch. versteht es, nicht nur flüssig, sondern auch verständlich zu schreiben
, soweit das bei dieser Materie überhaupt möglich ist. Das zeigt
sich z. B. bei der Entfaltung der historisch und theologisch sehr komplizierten
und kontroversen Fragen des Ikonoklasmus. Für ganz
besonders gelungen halte ich den Abschnitt über Maximus Confessor
(1. Teil, 2. Kap.. IV), abgesehen von dem bereits monierten und mir
nicht verständlichen Ausfall der Maximus-Interpretation des Areopa-
giten. Hier geht, wie mir scheint, Vf. noch über das bekannte Werk
von H.-U. von Balthasar hinaus, indem er intensiv auf das Problem
der Willensfreiheit des Christus in Verbindung mit seiner „zusammengesetzten
Hypostase" eingeht. Entgegen einer nicht selten anzutreffenden
Pseudo-Ontologisierung stellt Sch. fast lapidar fest: „Daher
ist die hypostatische Union in Christus auch nicht ein natürlicher
.Bestandteil' der Weltordnung, auch nicht als deren natürliche Krönung
" (S. 116). Auf dem schmalen Grat dieser Proklamation bewegt
sich, mit mehr oder weniger Balancefertigkcit, der Vf. während seiner
gesamten Darstellung. Aufs Ganze gesehen ist die Darstellung gelungen
. Jedenfalls, was ihre theologische Seite anbetrifft. Ihre Fragwürdigkeit
wird offenbar, wenn man ihre „intentio actualis" vom Titel bis
zu den letzten Seiten und - nicht zu übersehen! - ihre Bildbeilagen
beachtet und verfolgt, so wie sie Sch. im oben zitierten Vorwort
formuliert hat. Vf. hat die vor zehn Jahren erschienene Arbeit von
H.-G. Beck „Von der Fragwürdigkeit der Ikone", München 1975
(= Bayer. Akademie der Wissenschaften, Philosoph.-hist. Kl„ Sit-
zungsber.. 1975, H. 7) weder zur Kenntnis genommen, geschweige
sich mit ihr auseinandergesetzt. Im letzten Falle hätte er auch die
Schwächen dieser glänzend geschriebenen Studie feststellen können.1
Ein solches Studium hätte Sch. vor einer Reihe von Voreiligkeiten
bewahren können. Was so aus seiner Feder entstand, ist das, was Beck
eine „emphatische Bildertheologie" nennt, die sich nach seiner Meinung
innerhalb der kirchlichen Lehre nur mit Zurückhaltung hat
durchsetzen können, um so mehr allerdings beim Kirchenvolk, weil
die Ikone „der Volksfrömmigkeit, dem Bedürfnis zu sehen und zu
betasten, entspricht" (Beck, S. 44). Heute kommen noch Ikonen-
Enthusiasten aller Konfessionen und außerhalb derselben hinzu.
Diese, ein größtenteils ungeschütztes Lesepublikum, werden nach der
Lektüre des Buches von Sch. mit Begeisterung feststellen, daß es
Ikonen wohl schon seit früh kirchlicher Zeit gegeben hat, und, daß sich
diese Tradition ungebrochen bis zum Turiner Grablinnen fortsetzt,-
wobei es mir fraglich erscheint, ob Orthodoxe dem Vf. bis hierin zu
folgen bereit sein könnten (vgl. Schönborn, S. 229). Bei einer solchen
Position braucht Vf. natürlich nicht auf die sehr diffizilen Zusammenhänge
zwischen Bildertheologie und ihrer Ästhetik einzugehen, weil
ersieh statt dessen mit einer schlichten Dircktinterpretation begnügt.
Probleme wie die einer Ikonen-Semiotik2, oder gar die Tatsache, daß
in Moskau ein ausgezeichnetes Buch über die Bilderästhetik erschienen
ist, scheint er genauso wenig zur Kenntnis zu nehmen, wie die
Arbeit von Beck. Die Dialektik zwischen Kultusbild und Kunstbild in
der Ikone kann auf diese Weise nicht zum Tragen kommen.4 Gegenüber
einer nicht zu unterschätzenden Front von Ikonen-Emphatikern
wird es der schwer haben, der die Ikone aus der „babylonischen
Gefangenschaft" einer nur konfessionsfixierten Kunst befreien
möchte. Als Kunstbild gehört sie schließlich der ganzen Menschheit
.

Rez. legt das Buch des gelehrten Vf. mit zwiespältigen Empfindungen
fort: Mit Dank Für die Aufarbeitung des patristischen Materials,
mit entschiedener Ablehnung der Art und Weise, wie ihre Anwendung
auf die Ikone praktiziert und ein mit den Fragen unbekannt
gebliebener Leser den Auffassungen des Vf. gegenüber ungeschützt
bleiben wird.

Halle (Saale) Konrad Onasch

' Becks Bemühungen gehen darauf hinaus, zu zeigen, daß die orthodoxe

Kirche selbst, im Gegensatz zu den „Emphatikern" unter Theologen und
schlichten Verehrern, „von irgendeiner relevanten Überhöhung der Ikone stets
Abstand genommen hat" (S. 31). Auch hinsichtlich des Kultus „sieht es fast so
aus, als käme die byzantinische Liturgie im Wesentlichen ohne Ikonen zurecht"
(S. 32). Hier sind Zweifel angebracht. R. Stichel hat auf dem IX. Kolloquium
der Arbeitsgruppe für Byzantinische und Osteuropäische Kunst der DDR in
Altenburg 15.-17. Oktober 1984 darauf hingewiesen, daß nach Ausweis früher
Typika die Ikone während der Stundengottesdienste eine unübersehbare liturgische
Funktion crlüllt. Becks Einschränkungen allerdings für die Meßliturgie
gelten könnten. Hätte sich Sch. mit diesen und anderen Fragen in Verbindung
mit der Arbeit von Beck beschäftigt, wäre das seiner Arbeit keineswegs zum
Schaden geworden.

2 Eine Betrachtung über Recht und Grenzen der Ikonen-Semiotik wird Für
diese Zeitschrift vorbereitet (voraussichtlich: ThLZ III, 1986, H. 4).

' Ich nenne hier nur V. V. Byckov. Vizantijskaja Estetika, Moskau 1977
(erscheint demnächst in deutscher Übersetzung im Verlag der Kunst, Dresden);
ders., Estetika Avrelija Avgustina. Moskau 1978; S.S. Averincev. Poetika
Rannevizantijskoj Literatury, Moskau 1977. Auch L. Ouspensky, Theologie de
I'lcöne dans l'Eglise orthodoxe. Paris 1980, hält solche Literatur Für nicht relevant
, aber er setzt sich doch mit ihr auseinander.

" Die Dialektik von Kultusbild und Kunstbild besagt, daß die Dignität der
ersteren sich in ständiger Balance zur Qualität der letzteren verhält. Die Überbetonung
oder -bewertung eines von ihnen gefährdet die Ganzheit dessen, was
wir „Ikone" nennen. Entweder sie wird zu einer konfessionsfixierten Erscheinung
mit zweifellos hohen spirituellen Werten, oder zu einem Tafelbild, bei
dem sich das Verhältnis zum Betrachter, anders als beim Beter, nach völlig
anderen Kriterien richtet. Es kann aber kein Zweifel daran bestehen, daß das
Gedankenmodell „eikon" (nicht Ikone!) auch Für den Beter in dem Augenblick
crlcbbar wird, in dem es ein Kunstbild wurde. Man ist beinahe geneigt. Für das
Verhältnis beider zueinander die Formel von Chalccdon zu bemühen, - wozu
möglicherweise Schönborn bereit wäre.

Sinding-Larsen, Staalc: leonography and Ritual. A Study of Analyti-
cal Perspectives. Oslo-Bergen-Stavanger-Tromso: Universitets-
forlaget AS 1984. VI, 210 S. m. Abb. 8". geb. nkr 150.-.

Der Vf. widmet sich in dieser breiten, ausführlichen Studie den
Zusammenhängen von Ikonographie und Liturgie bzw. Ritual im
Verlauf der Kunstgeschichte, soweit sie vorzugsweise durch die
Römisch-Katholische Kirche geprägt worden ist. "A substantial part
of the research platform will necessarily consist in the study of
liturgy." Das ist ihm zum ersten wichtig. Doch will S.-L. die Zusammenhänge
zwischen Ikonographie und Liturgie unter Verwendung
der semantisch-analytischen Methode erfassen und systematisieren.
Auf ein System legt er von Anfang an großen Wert, und der Aufbau
eines Systems der Ikonographie wird in fast jedem Kapitel und
Abschnitt betont. Darum versucht er auch, sein Buch selbst so systematisch
wie möglich aufzubauen. Die Kapitel sind sehr klar, auch
optisch bemerkbar, strukturiert. Zuerst werden einige theologische
Aussagen von Thomas von Aquino, dem Konzil von Trient, dem
Lexikon für Theologie und Kirche zur Christologie und Meßlehre
vorgestellt, dann der Meßkanon und die gegenseitigen Wirkungen in
ein Schema gebracht, um dann die funktionalen Bezüge der Ikonographie
zu erfassen. Das dritte, längste Kapitel widmet sich "Empirical
Parameters". Diese werden nun sehr ausführlich und von verschiedenen
Seiten her erfaßt, beschrieben, analysiert und wieder systematisiert
. Das vierte Kapitel versucht darauf basierend "Systems in
Intcraction" aufzustellen. Ziel der ganzen Untersuchung beschreibt
der letzte Absatz des Buches: ". . . Computer science has caused the
mathematical sciences to engage themselves increasingly in the Problems
of the mind in its creative and symbol-claboratings aspekts.
Therc is a unifying force in present-day research, which gencrated by
the Systems idea and is directed by striving for analytical truth as the
only relevant one. Once more, we seem to enter an erea of unified
science. In this perspective . . . we will study 'art' rather than 'art
history'."(S. 180)

Soweit die abstrakte Beschreibung eines im Grunde sehr abstrakten
Buches über Ikonographie und Liturgie. Daß zwischen Ikonographie
und Liturgie sehr enge Zusammenhänge bestehen, ist eine lange