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Ausgabe:

1986

Spalte:

131-133

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Kierkegaard and the Church in Denmark 1986

Rezensent:

Kloeden, Wolfdietrich

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 2

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schaffen, die Überlegenheit der geoffenbarten Christus-Wahrheit
gegenüber der „praeparatio evangelica" (Euseb v. Caes.) zu betonen.
Dies wirkt etwas gezwungen, umsomehr erfreut es dann aber, daß die
folgenden inhaltlichen Darlegungen, in freier, schwungvoller Diktion
gehalten, als von dieser Sorgenlast nicht beschwert erscheinen.

Der erste Hauptteil ist dem Mysterion gewidmet. Nach einer behutsam
durchgeführten Unterscheidung zwischen dem heidnischen
Mysterienwesen und dem altchristlichen Mysterienverständnis wird
das Mysterium des Kreuzes, der Taufe, und schließlich das „Mysterium
von Sonne und Mond" dargestellt. Dieser letzte Abschnitt,
untergegliedert in die Kapitel Ostersonne (Sonntag und Ostertag),
Weihnachtssonne (Epiphaniefest und Weihnachtsfest) und Mondmysterium
(Weihnachtsmond und Ostermond, beides symbolisch mit
Maria und Kirche in Zusammenhang gebracht) wird vielen Lesern
überraschende Aufschlüsse über das altchristliche Fest-Verständnis
im Zusammenhang mit Kreuz, Auferstehung und Christgeburt vermitteln
, wobei der altchristlichen Eigenständigkeit bei aller Verwandtschaft
mit dem antiken Mysterienwesen gebührend Rechnung
getragen wird. Der heidnisch-antike Mythos spielt dabei jedoch nur
eine untergeordnete Rolle. •

Der zweite Hauptteil - „Seelenheilung" - zeigt eine etwas andere
Gewichtung: Er behandelt die „seelenheilenden" Pflanzen Moly und
Mandragore, „von denen der antike Mythos raunte und hinter denen
der Christ seine Wahrheit ahnte" (S. 161). Hier wird eine Fülle von
meist unbekanntem Wissensstoff dargeboten, angefangen beim botanischen
Sachverhalt (das erstmals in der Odyssee genannte Moly ist
bis heute nur allgemein als Zwiebelgewächs aus dem Kyllene-Gebirge
bestimmbar, die Mandragore oder der Mandragoras, in LXX mit der
Cant. 7,14 genannten Pflanze identifiziert, dagegen ist bis zur Alraunwurzel
des mittelalterlichen Volksglaubens genau bekannt). Das nicht
exakt bestimmbare Moly wurde dem Odysseus als Schutz gegen Kir-
kes Zaubermacht von Hermes überreicht, es ist im Grund eine Götterpflanze
; die Mandragore wurzelt im Chthonischen und bedarf göttlicher
Ergänzung, um heilsam zu werden: Diese beiden Linien werden
vom Vf. bis in die Neuzeit hinein verfolgt und durch erhellende Textbeispiele
veranschaulicht.

Der dritte Hauptteil heißt „Heiliger Homer". Hier erreicht die Darstellung
ihren Höhepunkt. Und doch läßt sich auch hier eine selbstgezogene
Schranke nicht übersehen, zumal es in den beiden Kapiteln
ausschließlich um den Deuterohomer der Odyssee geht: Man vergleiche
dazu etwa die Aufschlüsse, die Gerhard Nebel in seinem Buch
Homer (Stuttgart 1959) über das Tragische in der lliasdichtung zu
geben weiß. Wenn man an Rahners Griechenbild etwas vermißt, so ist
es eben das Tragische. Das hängt mit seiner Gesamtperspektive zusammen
, wonach der „christlich gedeutete Homer" zum Geleiter
wird in „die schöne Welt des Humanen als eine Heimat des Geistes"
(S. 244). Wenngleich diese Fahrt bis an die Pforte des Hades führt
und vorbei an den gefahrlich lockenden Sirenen - dies sind die beiden
Themen des dritten Hauptteils -, so bleibt die homerische Tragik
doch letztlich unberücksichtigt. Dies ist mein eigentlicher Einwand.
Er hindert mich nicht, dankbar zu bleiben für dieses herrliche
Buch.

Tutzing Ulrich Mann

Thulstrup, Niels: Kierkegaard and the Church in Den mark. Ed. by

N. Thulstrup and M. M. Thulstrup. Kopenhagen: Reitzel 1984.
276 S. 8" = Bibliotheca Kierkegaardiana, 13. Kart.dkr 183.-.

SK's1 Verhältnis zur Kirche seines Heimatlandes zu beschreiben,
beinhaltet die Berücksichtigung zweier Faktoren: 1. SK war ein Kind
seiner Kirche. Das zeigte sich in seinem ambivalenten Verhältnis zu
seinem Konfirmator, dem Seelsorger seines Vaters Bischof Jakob
Peter Mynster (1775-1854). Besonders in den ersten Jahren seiner
Schaffenszeit war ihm Mynster ein potentieller Ansprechpartner. 2.
SK war als dieses „Kind seiner Kirche" zugleich der schärfste Kritiker

derselben und ihrer Amtsträger, was durch die potenzierte Begründung
der „Kategorie des Einzelnen" mitbestimmt wurde.

Nur ein so glänzender Kenner des Lebenswerks SK's und zugleich
der dänischen Staatskirche in der damaligen Zeit, wie der Autor des
vorliegenden Bandes, ist in der Lage, die angezeigte Doppelbeziehung
zur Staatskirche auszuloten. Gleich in der Einleitung wird auf SK's
Kampf mit der Kirche als Institution hingewiesen. Es wird betont, daß
SK's Angriff auf die „Christenheit" in einem „partikulären Milieu"
stattgefunden hatte, nämlich in dem des kulturellen Protestantismus
in seinem kleinen Heimatland (vgl. S. 9f). Dabei sind vor allem neben
den Aussagen in dem schriftstellerischen Werk die Reflexionen in den
Tagebuchnotizen („Papirer")2 zu berücksichtigen.

Die eigentliche Untersuchung setzt dann ein mit der Darstellung
der „Kirche als Institution" (S. 12-17). Hingewiesen wird auf das
große dänische Gesetzwerk Christians V. von Dänemark (1663). Dieses
grundlegende Werk hatte das „Kirchenritual" (1685) und das
„Buch der Hymnen" (1694) zur Folge.

Bindend für die dänische Staatskirche war die Confessio Augustana.
SK selbst bekam durch den Streit um den Pfarrer A. P. Adler in den
Jahren 1843-1845 wichtige Einblicke in die Kirchenordnung seines
Landes. Adler berief sich auf eigene Gottesoffenbarungen. Dagegen
mußte die kirchliche Obrigkeit vorgehen. Dazu kam der „Baptistenstreit
", in welchen SK's Bruder Peter Christian verwickelt war. Auch
diesen Streit verfolgte SK mit großer Aufmerksamkeit (vgl. S. I 7,
23).

Besonders in SK's letzten Lebensjahren wurde immer wieder die
Pseudoreligiosität des dänischen Bürgertums attackiert (vgl. S. 25).
Die Reflexionen in den Tagebüchern bieten dazu eine Fülle von
Material. Auch die theologischen Neuansätze N. F. S. Grundtvigs
konnten für SK an der desolaten Situation der dänischen Staatskirchc
nichts ändern. Nach SK würde Grundtvigs Christentum nur aus
„Lehrsätzen", nicht aber in der Nachfolge bestehen (vgl. Pap. X, 4
A 56; X, 4 A 296 und Thulstrups Grundtvigabschnitt im vorliegenden
Buch.S. 198-226!). Den Anhängern Grundtvigs würde es nur um
äußere Begeisterung, nicht aber um die innere Vertiefung des Christlichen
gehen. Die Bewegung des Grundtvigianismus würde daher ein
typisches Zeichen für den Verfall der Staatskirche sein. Damit wird
zugleich auf den besonderen Einzelnen hinzuweisen sein, der allein
das Christliche durch seine Entscheidung im Gegensatz zur Expansion
garantieren kann (S. 27).

Interessant ist die von Thulstrup trefflich herausgearbeitete Ansicht
SK's zu den offiziellen Büchern der Kirche. Der Besitz einer Fülle von
Bibclausgaben von der Biblica Hebraica über die Septuaginta bis hin
zu den verschiedenen dänischen Bibelausgaben dokumentiert die
Entdeckerfreude und Orientierungsbereitschaft. Außerdem wies SK's
Bibliothek eine umfassende Sammlung lutherischer Lehrschriften auf
(vgl.S. 28-38).

Verdienstvoll sind Thulstrups sorgfältig herausgearbeitete Hinweise
auf das Verhältnis des großen Dänen zum Liedgut des Protestantismus
. Das „Evangelisch-christliche Gesangbuch" in der Bearbeitung
von 1798 konnte SK's Freude an bestimmten dänischen
Liederdichtern wie K. Kingo (1634-1703) und H. A. Brorson
(1694-1764) stützen. Verschiedene Liedverse dieser beiden Dichter
wurden in die „Erbaulichen" wie „Christlichen Reden" hineingearbeitet
.

Der umfassende Abschnitt „Der Klerus und seine Funktionen"
(S. 72-106) bietet tiefe Einblicke in die damalige „persönliche Situation
des Pfarrers" und seiner Familie. Die Herausarbeitung der Konfirmationsordnung
und der sie begleitenden Volkssitten verdeutlicht
erst die Hintergründe der scharfen Polemik SK's gegen Taufe und
Konfirmation. Dieser Abschnitt zwingt auch heute noch dazu, über
gewisse Konfirmationspraktiken nachzudenken.

Die Abendmahlsordnung und das Problem der geistlichen Schulaufsicht
zeigen den damaligen großen Einfluß des Klerus auf das
öffentliche Leben. Beispielsweise ergab die vorgeschriebene Visitation
jeder Schule innerhalb der Pfarrgemeinde durch den Geistlichen im