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Ausgabe:

1986

Spalte:

122-123

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Borg, Daniel R.

Titel/Untertitel:

The Old-Prussian church and the Weimar Republic 1986

Rezensent:

Nowak, Kurt

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 2

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anderen Konfessionen. Auch die politische und wirtschaftliche Entwicklung
dieser Länder scheint große Ähnlichkeit zu zeigen. Und
doch gibt es Unterschiede, die die Einwohner selbst als wichtig
erleben.

Dieses Verhältnisses ist sich auch Prof. Lindhart bewußt, wenn er
sich hemüht. hinter die historischen Geschehnisse zu hlicken, um ihre
tieferen Ursachen bloßzulegen. Er betont deshalb auch, daß die
Durchführung der Reformation in Dänemark vorzüglich auf sozialen
KlassL-ngegensätzen in der dänischen Gesellschaft beruht. Frederik [.
hatte deshalb die Reformation durchführen lassen, weil er der Forderung
der Bürger und Bauern nach einer Rückkehr Christians II. nicht
nachkommen konnte oder wollte. Stattdessen suchte er sie auf der
kirchlichen Ebene für das zu entschädigen, was er ihnen auf der politischen
versagte. Innenpolitisch hatte nämlich Christian II. den Adel
und die hohe Geistlichkeit zugunsten der Bürgerschaft der Städte
zurückdrängen wollen. Die sozialen Klassengegensätze sind also
wichtig wie auch die ökonomische Seite. Lindhart betont die Aussage
C hristians HL. daß die Reformation gekommen sei. ..damit Dänemark
und sein König umso vermögender würden".

In Schweden dagegen wurde die Reformation eher als ein Teil der
nationalen Sclbständigmachung des Landes durchgeführt. Die hohe
Geistlichkeit mit dem Erzbischof an der Spitze war dänischfreundlich
gesinnt und hatte für das nationale Freiheitspathos kein Verständnis.
Wer sich der dänischen Herrschaft entgegensetzte, konnte deshalb
schwerlich Billigung von der Seite der katholischen Bischöfe des Landes
erwarten. Sten Sture hatte es erfahren und Gustav Vasa wollte es
nicht erleben. Deshalb hat ersieh für die Durchführung der Reformation
in Schweden eingesetzt. Weil seine Beweggründe nicht primär
religiös waren, wird es verständlich, daß ihre Durchführung so lange
^eit dauerte.

Als die Reformation in Skandinavien um 1600 erst durchgeführt
War, bekam sie .eine große politische Bedeutung für die folgenden
200 Jahre. Bündnisse sowie kulturelle und wirtschaftliche Kontakte
wurden nur mit Staaten von gleicher oder ähnlicher Religion geschlossen
. Eine große Ausnahme sind jedoch die Relationen zwischen
Schweden und Dänemark. Während der hier behandelten Periode
waren sowohl die theologischen wie die politischen Kontakte
zwischen den beiden Ländern von geringer Bedeutung. Anregungen
kamen eher von deutscher oder sogar anglikanischer Theologie her.

Erst im 19. Jahrhundert entsteht mit Grundtvig und Kierkegaard
eine bodenständige dänische Theologie. In Schweden begegnen wir
erst im 20. Jahrhundert einer echt schwedischen Theologie mit
Namen wie Billing. Aulen und Nygrcn. Warum es so geworden ist, ist
nicht einfach zu sagen, aber durch Prof. Lindharts besonnene Ubersicht
werden diese Probleme wenigstens angedeutet.

Auch die Erweckung im 19. Jahrhundert hat nicht denselben Verlaufin
Schweden wie in Dänemark. In Dänemark-Norwegen ist die
Leitung der Kirche zu dieser Zeit schwach, was bewirkt, daß die
Erweckung innerhalb der Kirche bleibt. In Schweden-Finnland
bekämpfen staatliche Behörden und Kirchcnleitung die Frweckung
mit der Folge, daß sie sich außerhalb der Kirche als Freikirchen
etabliert.

Auch in dieser komprimierten Ubersieht kann man sich über die
stilistische Begabung und die treffenden Bemerkungen des Verfassers
freuen. Doch gibt es einige beschämende Schönheitsfehler, die der
Verlag wahrscheinlich hätte tilgen können. Um nur einige davon zu
nennen. Seite 237. Zeile 21 ist die Fortsetzung des Satzes weggefallen.
Seite 262. Zeile 7 das Wort Arhus ist falsch geschrieben. Seite 293,
Zeile 13. der Historiker hieß Harald Hjärnc, Zeile 27 Söderblom ist
falsch geschrieben. Ein bißchen ärgerlich ist ferner, daß nicht alle
Personen auch mit Vornamen angegeben sind. Hier wechselt es von
nichts über Initiale bis vollständigen Vornamen. Sowas zu systematisieren
wäre nicht schwer gewesen. Auch die große Menge von Druck-
fehl ern in der Bibliographie ist bedauerlich. Eine Hilfskralt hätte auch
che Titel in dcrOrdnungdes Alphabets aufführen können.

Was ich hier angeführt habe, hängt ausschließlich von technischen

Mängeln ab und beeinträchtigt in keiner Weise den Wert dieser vorzüglichen
Übersicht der Kirchengeschichtc Skandinaviens.

Uppsala Ingun Montgomery

Borg, Daniel R.: The Old-Prussian ( hurch and the Weimar Kepublic.

A Study in Political Adjuslment, 1917-1927. Hanover-London:
Clark University by University Press of New England 1984. XVII,
369 S. m. 1 Kte gr. 8'. Lw. £ 35.-.

Der Autor, Associate-Professor für Geschichte an der Clark -
University/USA. ist in der kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung kein
Neuling. Insbesondere sein Aufsatz "Volkskirche, 'Christian State',
and the Weimar Republic". In: Church History 35. 1966, 186-206.
ist in der Disziplin bekannt geworden. Da sich seine Monographie
weniger durch die Bereitstellung neuen archivalischen Materials
empfehlen möchte - eingesehen wurde ein Teil der EOK-Generalia
im EKU-Archiv Berlin (West), heute inkorporiert im Evangelischen
Zentralarchiv - und auch sonst überwiegend bekannte Quellen zu
Rate zieht, muß ihrem Interpretationsansatz, um so größere Aufmerksamkeit
geschenkt werden.

Vf. sieht "the small but growing monographic literature" (IX) über
die evangelischen Kirchen in der Weimarer Republik von zwei Interpretenparteien
geprägt, den ..Optimisten" und den „Pessimisten".
Den „Optimisten", genannt werden C. Motschmann und J. R. C.
Wrighl. hält er eine Überpointierung des kirchlichen Vernunft-
repuhlikanismus vor, die nach seiner Auffassung auf mangelnde
Distanz der Autoren zu den archivalischen Quellen zurückgeht. Als
„Pessimisten", d. h. als Forscher, welche die Realität eines republik-
oflfenen Kurses im deutschen Protestantismus verneinen oder in
starker Einschränkung sehen, gelten G. Mehnert, H.Christ. K.-
W. Dabin, J. Jacke und auch der Rez... wenngleich ihm eine Doppelperspektive
in der Wahrnehmung von Antirepublikanismus - Vernunftrepublikanismus
bescheinigt wird.

Viel tragen derartige Etiketticrungen nicht aus. Sie vermögen dem
differenzierten Forschungsstand nur in ungelährer Annäherung gerecht
zu werden. Die nun immerhin aufgebaute Erwartung, jenseits
der Positionen von Optimisten und Pessimisten einen neuartigen
historiographischen Zugang zum komplexen Phänomen Protestantismus
in der Weimarer Republik angeboten zu bekommen, wird
schwerlich eingelöst. Verbleibt man innerhalb der Nomenklatur des
Vf.s. müßte man ihn selbst wohl als ..Überpessimisten" bezeichnen.

Seine Hauptthesc ist festgemacht am Begriff Volkskirche bzw. (laut
Diktion des Vf.s) in der „Volkskirchen-Ideologie". Im volkskirchlichen
Leitbild und seinen strukturellen Affinitäten zum „christlichen
Staat" und zur „christlichen Gesellschaft" ist dem Vf. zufolge
Antidemokratismus genuin konzeptualisicrt. Allerdings zeichnen
sich dabei auch Transformationen ab. Während sich vor allem in der
Zeit zwischen 1917 und 1921 das Kartell Volkskirche - aktiver Antidemokratismus
ausbildete und zu geschichtlicher Auswirkung gelangte
, seien die Jahre nach 1927 von der kirchenofTiziellen Fixierung
eines „politischen Quietismus" bestimmt gewesen. Jedoch sei diese
"legaey" der Kirchenmänner im Spannungsgefüge eines politisierten
Protestantismus in der Niedergangsphase der Republik nicht genügend
beachtet und oft genug beiseite gedrängt worden. Die Stillegung
des Politischen, verstanden als prinzipielle Absage an jede Art von
Bindestrich-C hristentum, sei dann erst 1934 in der Barmer Theologischen
Erklärung zum Tragen gekommen und nach 1945 in einer Art
von volkskirchlichem Neutralismus den politischen Entwicklungen
der Nachkriegszeit gegenüber geübt worden. Andererseits sei mit
Barmen V - Erinnerung der Regierenden und Regierten - eine politisch
aktive Kirche nicht notwendig als verdammenswert hingestellt
worden.