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Ausgabe:

1986

Spalte:

115-116

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Sturlese, Loris

Titel/Untertitel:

Dokumente und Forschungen zu Leben und Werk Dietrichs von Freiberg 1986

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Seite 1

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115

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 2

I 16

um 1200 sieht E.Probleme: „Eigentlich waren die katharischen
Lehren wenig geeignet, in einer prosperierenden Feudalgesellschaft
Resonanz zu finden. Passivität und Weltverneinung standen in
bemerkenswertem Gegensatz zum ökonomischen Aufschwung und
zur sozialen Mobilität in den Wirtschaftszentren Europas. Die rasche
Ausbreitung ist daher auch weniger aus den abstrakten Lehren zu
erklären, sondern aus der Tatsache, daß es dem Katharertum gelang,
sich innerhalb kürzester Zeit umzustellen" (99).

Neben direkten sozialen Bezügen gibt es auch weitreichende Übertragungen
geistiger Gedanken. E. hält es für möglich, daß „Reste der
paulikianischen Häresie den Entslehungsprozeß des Bogomilentums
beeinflußt haben" (51). Das erste Auftreten von Ketzern im Abendland
im 1 I. Jahrhundert wird überwiegend zurückgeführt auf „ein
Übergreifen der Balkanhäresie", obwohl direkte Belege fehlen (71).
Leider übergeht E. jene geistige Fernwirkung, die quellenmäßig belegt
ist: Die Wirkung bestimmter Worte Jesu. Man sucht im Personenregister
vergeblich nach „Jesus" oder „Christus". Der Begriff „Paupe-
res Christi" taucht auf (92), aber dem damit gegebenen Bezug zu Christus
geht E. nicht nach. Als einen Gedanken von Wyclif nennt E. beiläufig
, „Christus und die Apostel" hätten „Armut und Gleichheit vorgelebt
" (218). Besonders auffällig ist das Weglassen dieses Gesichtspunktes
bei Waldes, der unter Einwirkung von Jesusworten seine
Bekehrung erlebte. Dazu sagt E.: „Über seine Beweggründe wissen wir
wenig" und zitiert dann eine Quelle, läßt aber das dort überlieferte
Jesuswort weg: „Willst du vollkommen werden, so gehe hin, verkaufe,
was du hast, und gib's den Armen . . . und komm und folge mir nach"
(Mt 19,21). So bleibt der wichtige Impuls der Nachfolge Jesu, der
Mönche und Ketzer immer wieder angetrieben hat, fast ganz ausgeblendet
. Die Illustrationen sind instruktiv und technisch wohl
gelungen.

Rostock Gert Haendler

Sturlese, Loris: Dokumente und Forschungen zu Leben und Werk
Dietrichs von Freiberg. Hamburg: Meiner 1984. X, 187 S. gr. 8' =
Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi Beihefte, 3.

Seit etwa zehn Jahren wird an der Philosophie Dietrichs von Freiberg
(DvF), ja der deutschen Philosophie des Mittelalters starkes
Interesse gezeigt. Eine kritische Ausgabe seiner Opera omnia ist fast
abgeschlossen (in vier Bänden); 1979 wurde ihm ein internationales
Colloquium gewidmet. Die Literatur über DvF hat sich verdreifacht
.

St. hat in vorliegender Studie, die im Zusammenhang mit der Edition
der Opera entstanden ist, sämtliche vorhandenen alten Quellen
und Zeugnisse über sein Leben und Werk systematisch zusammengestellt
und untersucht.

Teil 1 („Zum Leben Dietrichs", 1-63): Im 13. Jahrhundert bewarben
sich nur zwei deutsche Dominikaner um die Pariser Magisterwürde
: Albert und DvF; 1302/03 folgte Eckhart. Obwohl es das
Kölner Studium generale gab, war das Prestige der Pariser Universität
so groß, daß man internationalen Ruf nur mit Übernahme eines ihrer
Lehrstühle erlangte. Waren es nur wenige, so waren es doch starke
Persönlichkeiten, durch die die Pariser Theologie den deutschen
Dominikanern vermittelt wurde.

Nur ganz wenige Quellen existieren. St. muß auf deren Grundlage
versuchen, richtige Schlußfolgerungen zu ziehen, die über Vermutungen
hinausgehen. In einem Rechnungsabschluß von 1274 taucht der
Name DvF zum ersten Male auf als „lector Vribergensis". Offensichtlich
hat der Provinzial Ulrich von Straßburg ihn 1273/74 zum
Studium nach Paris empfohlen. Deutlich wird. DvF hat den normalen
Bildungsgang eines Lesemeisters durchlaufen, im Konvent St. Pauli
zu Freiberg (um 1271) gelehrt, um dann als Stipendiat nach Paris zu
kommen. Dort geriet er mitten in die averroistischen Streitigkeiten,
die ihn geprägt haben. 1280 ist er Lesemeister in Trier und wohl bald
Prior. Schon 1286 finden seine Schriften sogar in Paris Anklang. 1293
ist DvF Provinzialprior der deutschen Dominikaner, 1294 Generalvikar
des ganzen Ordens. Vor 1293 wird er in Paris die Sentenzen gelesen
und 1296/97 promoviert haben. Aus dieser Zeit liegen einige
Briefe vor, die sich auf die übliche Verwaltungstätigkeit des Provin-
zials beziehen. In den drei Jahren seines Provinzialats sind elf neue
Niederlassungen gegründet worden. In dieser Zeit hatte DvF dienstlich
mit dem Thüringer Vikar Eckhart zu tun. Wichtige Ereignisse
seiner Ordenstätigkeit bleiben uns aber verborgen; doch kann wohl
gesagt werden, daß DvF sich in seinem Provinzialat als guter Ordenspolitiker
erwiesen hat.

1296/97 begann DvF seine Vorlesungen als magisteractu regens in
Paris auf dem nichtfranzösischen Dominikanern vorbehaltenen Lehrstuhl
. Welche Wirkungen seine Tätigkeit hatte, wissen wir nicht. 1303
begegnet DvF uns auf dem Provinzialkapitel als Diffinitor. Nach der
Teilung der deutschen Dominikanerprovinz (Teutonia und Saxonia)
verblieb DvF in Teutonia, Eckhart in Saxonia. 1310 war DvF Provin-
zialvikar.

In Teil II („Zur Überlieferung der Werke Dietrichs", 65-143)
beschreibt St. alle vorhandenen 16 Handschriften als Basis für die
Erforschung der Verbreitung des Denkens von DvF.

In den Codices stehen seine Werke zumeist neben den anderer
Autoren (z. B. Thomas, Albert, Heinrich v. Gent, Aegidius v. Rom, al
Farabi, Averroes, Proklos). Handschriften aus Basel, Berlin, dem
Vatikan, Erfurt, Leipzig, Marburg, München, Pommersfelden, Wien,
Wiesbaden und Stuttgart werden vorgestellt, doch kann nicht gesagt
werden, wer sie ursprünglich besessen hat. Einige weitere Handschriften
sind verloren gegangen. Bis jetzt sind 26 der 34 Einzelwerke des
DvF aufgefunden. Nur drei können datiert werden.

Zwei Anhänge (Über deutsche Dominikanerstudenten, Aus dem
Vikariat für den Oberrhein), Literaturverzeichnis und zwei Register
(Handschriften und Namen) fügt St. an.

Durch die wenigen Daten werden immerhin 35 Jahre des Lebens
von DvF belegt. Von anderen mittelalterlichen Philosophen wissen
wir zwar noch viel weniger, doch kein Vergleich etwa mit Nikolaus
von Kues, obwohl beide zu ihrer Zeit große Bedeutung in der wissenschaftlichen
, kulturellen, kirchlichen und (bei DvF eingeschränkt)
politischen Welt hatten. Bei DvF ist uns keiner seiner Studenten mit
Sicherheit bekannt. Obwohl die deutsche Ordensprovinz, ja der ganze
Orden kurze Zeit von ihm geleitet wurde, bleibt uns Wesentliches
seiner Tätigkeit unbekannt. Aber seine Ideen sind sofort (1286) in
Paris bekannt, Stellungnahmen für und wider seine Thesen sind erhalten
. Später sind seine Gesprächspartner in Köln, Straßburg und Erfurt
Eckhart, Picardi und die deutschen Thomisten. Die deutsche Philosophie
seiner Zeit stand vor der Alternative DvF und den communiter
loquentes. Neuerdings werden Gemeinsamkeiten von DvF und Eckhart
aufgewiesen.

St. hat in seinem Buch zusammengetragen, was über DvF heute
bekannt ist, ein erfreuliches Nebenprodukt seiner editorischen Arbeit
an den Opera omnia. In der Stadt, von der er den Namen hat und in
der die Rezension geschrieben wird, ist jede Spur von ihm verweht.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Lutz, Heinrich [Hrsg.], unter Mitarb. von E. Müller-Luckner: Das
römisch-deutsche Reich im politischen System Karls V. München-
Wien: Oldenbourg 1982. XII, 288 S. gr. 8° = Schriften des Historischen
Kollegs. Kolloquien, I. Lw. DM 78,-.

Kirchengeschichte im allgemeinen und Reformationsgeschichte im
besonderen können mit Erfolg nur betrieben werden, wenn sie im
Zusammenhang mit der allgemeinen Geschichte ihrer jeweiligen Zeit
gesehen werden. Gerade der Reformationshistoriker ist angehalten,
über die kirchlich-theologischen Sachverhalte im engeren Sinne
hinauszugehen, seitdem sich die Verknüpfung der Reformation nicht