Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1986

Spalte:

114-115

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Erbstößer, Martin

Titel/Untertitel:

Ketzer im Mittelalter 1986

Rezensent:

Haendler, Gert

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

113

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 2

114

NvK ist in ihm homo religiosus. Er unterstreicht die Bedeutung der
varietas rituum in der göttlichen Ordnung und ist überzeugt, daß es
..eine (irundgestalt von'Religion, einen Wesenskern, einen gemeinsamen
Grundbestand aller Religionen [gibt], weil Gott einer ist". Zur
Vielzahl der Religionen „ist es in der geschichtlichen Entwicklung der
Menschheit gekommen", aber es wird „eine Vpllendungsge statt von
Religion" geben (66-68).

E. Colomer erläutert „Die Vorgeschichte des Motivs vom Frieden
im Glauben bei Raimund Llull" (82-107) und deckt seine Entwicklung
von anfänglich dialogischer Mission bis zum Aufruf zum Kreuzzug
gegen den Islam auf. Mit NvK teilt Llull „das gleiche Ideal einer
universellen Religion im christlichen Sinn"(105).

Anschaulich schildert R. Klibansky „Die Wirkungsgeschichte des
Dialogs .De pace fidei'" (1 13-125), d. h. die starke Wirkung auf seine
Zeitgenossen, auf Semler und Lessing; im Dreißigjährigen Krieg
erschien eine deutsche Übersetzung als Flugblatt.

K. Kremer referiert „Die Hinführung (manuduetio) von Poly-
•heisten zum Einen, von Juden und Muslimen zum Dreieinen Gott"
(126-159), wobei der Titel im Inhaltsverzeichnis falsch angegeben ist.
Manuduktorisch zeigt NvK auf, daß es „bei allen Menschen die
Grundvoraussetzung einer impliziten Anerkennung des einen Gottes
" gibt (133). Um Juden und Muslimen den Weg zum „Glauben an
den Dreieinen Gott zu zeigen", sucht er Anknüpfungspunkte im AT
und Koran. Ihm erweist sich der Urgrund des Universums als einer-
drei-einer (unitrinum). NvK ist schon davon überzeugt (was die
moderne Islamistik bestätigt), daß Muhammed nicht die orthodoxe,
sondern eine häretische, nämlich tritheistische Trinitätslchrc abweist
('42, 1571'; vgl. 190. 2801T). Über eine innergöttliche Dreieinigkeit
scheint Muhammed nicht nachgedacht zu haben.

R. Haubst entfaltet „Die Wege der christologischen manuduetio"
(164-182) und führt so zum inhaltlichen Höhepunkt des Dialogs.
•.Von unten" her versucht NvK, Juden und Muslime zum Christusglauben
zu führen: „Die, die zugeben, daß das Wort fleischgewordcn
°der menschgeworden ist, müssen auch bekennen, daß der Mensch,
den sie Wort Gottes nennen, auch Gott ist" (166; De pace 11, N. 29).
NvK sah in den christologischen Aussagen des Korans nestorianisch
vertalschtes christliches Glaubensgut (167); er ist davon überzeugt,
daß Christus es ist, „der von allen vorausgesetzt wird, die die letzte
Glückseligkeit zu erlangen hoffen" (181; De pace 13, N. 44).

M. de Gandillac stellt „Das Ziel der una religio in varietate rituum"
dar (192-204). NvK möchte „ohne Zweifel die volle Verwirklichung
religiösen Friedens in der ganzen Menschheit". Durch die qualifizier-
•en Sprecher der verschiedenen Religionen soll der allgemein gewordene
Glaube bereichert werden (197, 200). Zweifellos ist sein abstrakt
bleibender Unionsplan „von außerordentlicher Nachgiebigkeit"
(204).

A. Peters trägt „Zum christlichen Menschenbild: Freiheit, Erlösung
u"d Rechtfertigung, Glaube und Werke" vor (214-242) und resümiert
: „Der Evangeliumscharakter der Christusbotschaft sowie die
Deilsdimcnsion des lebendigen Christusglaubens treten in De pace
f|dei nicht klar heraus" (234).

Auf die jeweils engagiert geführte Diskussion, in der manche theologische
und religionsphänomenologische Fragestellung, auch von
Juden und Hindus, weitergeführt wurde, kann hier nur nachdrücklich
verwiesen werden.

Einen Höhepunkt des Symposions stellte das Podiumsgespräch dar.
bei dem vor allem auch die Vertreter der nichtchristlichcn Religionen
ZU Wort kamen. Ben Chorin wandte sich gegen das Bild vom Juden bei
NvK („Papierjude") und dagegen, „die Trinität würden sie leichter
annehmen als die Inkarnation. Gerade das Gegenteil ist der Fall!"
(267tT).

Falaturi betont, daß im Koran Mohammed keine Mittlerrolle
Annimmt und daß keine Koranstelle irgendwie im Sinne einer Trinität
verstanden werden könne. Dagegen hat der Hinduismus eine Affi-
n'tät zum Trinitätsglauben (Panikkar); Trimurti ist „eine Form von
Jrinitäl im Hinduismus", wobei „die Religion der Vedas grundsätzlich
monotheistisch" sei (Athavale). Konkordanz oder auch Konvergenz
brachte das Gespräch nicht. Gegensätze sind nicht verschleiert
worden, doch manch Versöhnliches wurde ausgesprochen.

Erstaunlich bleibt, daß das Skandalon des Kreuzes nicht zur
Sprache kam (296. aber 184). Ist es kein Skandalon mehr oder haben
auch wir Christen es schon so an den Rand gedrängt, daß auch wir es
nicht mehr in das Gespräch bringen?!

Ergänzende Beiträge bringen W. Dupre („Menschsein und Mensch
als Wahrheit im Werden", 313-324); H. Meinhardt („Konjekturale
Erkenntnis und religiöse Toleranz", 325-332); K. Otte („Rechtfertigung
aus Glauben als Religionsgrenzen übersteigende Kraft".
333-342) und M. Lederle („IN bei Cusanus - OM in den Veden".
343-346).

Trotz der intensiv geführten Diskussionen bleibt das Thema nicht
abgehakt. Im ökumenischen Gespräch der Kirchen geht es heute um
die sich ergänzenden Modelle „Versöhnte Vielfalt" und „Konziliari-
tät" (vgl. auch 210, 264). Inwieweit können sie auf das interreligiöse
Gespräch ausgeweitet werden? NvK hatte wohl (so Stallmach mit
Recht, 208) eine eindeutig christliche „ecclesia una in ritum varietate
" vor Augen. Die una jides wird immer festgehalten, aber nicht der
unus cultus (78, 205). Inwieweit „De pace fidei" Anlaß gibt, im Vergleich
mit CA VII neu über das Einssein der Kirche (oder gar der Religion
?!) nachzudenken, möchte Rez. an anderer Stelle noch darlegen
.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

Erbstösser, Martin: Ketzer im Mittelalter. Leipzig: Edition 1984.
235 S. m. 106 Abb. i. Text u. aufTaf. z. T. färb. 4 Lw. M 68.-.

Die Darstellung beginnt mit dem Kapitel „Bäuerliche Häresien im
frühen Mittelalter". Nach Hinweisen auf die Gnosis und Mani geht es
um „Die Paulikiancr - eine häretische Bewegung von Bauernkriegern
" (20-46) sowie „Die Bogomilcn - eine frühmittelalterliche Häresie
" (46-63). Anders als im Osten vermochte im Westen „das agrarisch
orientierte frühmittelalterliche Europa keine Volksbewegung
mit häretischer Ideologie hervorzubringen" (65). Kapitel 2 wird übersehrieben
„Städtische Häresien im hochmittelalterlichen Westeuropa
" (65-113). Nach ersten Nachrichten über Ketzer im I I. Jahrhundert
kommen die Katharer und Waldenscr in den Blick. Kapitel 3
„Die Gegenoffensive der katholischen Kirche" ist untergliedert: „Das
Entstehen der Bettelordcn" (117-119). „Der Albigenscrkrcuzzug"
(I 19-143) sowie „Der Sieg der Inquisition und der Untergang der
Katharer" (144-152). Das letzte Kapitel „Häresien und soziale
Konflikte im späten Mittelalter" (153-227) geht näher ein auf die
Apostelbrüdcr unter Fra Dolcino, auf häretischen Chiliasmus bei den
südfranzösischen Begincn, auf die Häresie des freien Geistes, die wal-
densische Volksbewegung sowie die Lollardcn in England. Die Hussi-
ten werden nicht mehr dargestellt: „Obwohl in einer Reihe von historischen
Darstellungen die Hussiten noch in der Ketzergeschichte des
Mittelalters eingeordnet werden, sehen wir hier doch grundlegende
Unterschiede, sowohl in ideologischer Hinsicht als auch in den Zielen
und KampIFormen, und betrachten die Ereignisse in Böhmen als
Beginn einer sich von den mittelalterlichen Häresien abhebenden
Zeit" (II).

Erwartungsgemäß legt Erbstösser, der schon durch mehrere Veröffentlichungen
zum Thema Häresie hervorgetreten ist. auf den sozialen
Kontext größten Wert. Den Anläng des Kctzertums im Abendland
vor 1 100 nennt er „städtische Ideologie" mit folgender Begründung:
„Die Ketzer setzten der von der katholischen Kirche verkündeten
Religiosität zwei Grundmotive entgegen. Einmal propagierten sie das
Wissen um das Wesen Gottes und wandten sich damit gegen Wunderglauben
und äußerliehe Kultformen. Zum anderen stellten sie gegen
das Priesterprivileg das Prinzip der Leistung, das durch Askese.
Armut und innere Frömmigkeit ständig erbracht werden müßte.
Wissen und Leistung entsprachen grundsätzlich den von den Städten
ausgehenden neuen Ideologien und Gewohnheiten" (71). Für die Zeit