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Ausgabe:

1986

Spalte:

107-109

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Robbins, Vernon K.

Titel/Untertitel:

Jesus the teacher 1986

Rezensent:

Becker, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 2

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er im Zusammenhang mit den Perspektiven des Mt die kirchenkritischen
Implikationen der Texte (z. B. 89,273,296).

Neben sehr überzeugenden Skizzen der redaktionsgeschichtlichen
Debatte (Mk: 260ff; Mt: 272ff; Lk: 282flj fordern Einzelheiten die
Kritik heraus. So möchte Vf. die Differenz zwischen Lk 11,49 (... die
Weisheit Gottes hat gesprochen) und Mt 23,34 (siehe ich sende . . .)
zugunsten der Lk-Fassung so erklären, daß Jesus sich hier der Gattung
des AT-Botenspruchs bedient habe (152ff, 251 0- Das ist ebenso wenig
überzeugend wie alle Versuche der Rekonstruktion einer gemeinsamen
schriftlichen Vorlage für dies Wort, die nicht schon vorredaktionelle
Varianten berücksichtigt. So übernimmt Mt in 10,20 den
„Geist" als Subjekt aus Mk 13,11, während Lk 21,15 demgegenüber
das „Ich" Jesus setzt. Veranschlagen wir nur die geringste redaktionelle
Konsequenz, so kann Lk in der Vorlage für 1 1,49 kein „Ich" und
Mt in der Vorlage für 23,34 keinen Geist bzw. keine Weisheit eliminiert
haben. - Vf. behauptet, bei Mt werde nirgends von einer vorösterlichen
Mission der Jünger berichtet (29). Er muß dies, wenn auch
widerwillig, wegen 10,16 korrigieren (214). Vf. möchte Mt nicht in
einer doppelten Auseinandersetzung mit jüdischer Ablehnung Jesu
und laxen Gruppen in derGemeinde sehen (1920- Darum muß er Mt
in einen um so härteren Gegensatz zum Judentum bringen (z. B.
225fT, 244f). Aber für Mt gibt es ein breites Spektrum jüdischer Haltungen
zu Jesus, das im Guten wie im Bösen die Christen zur Vertiefung
ihrer Jesusbindung herausfordern soll. - Gegen Ende der Arbeit
neigt Vf. immer stärker dazu, für die Interpretation der ausgewählten
Texte den Nachfolgegedanken heranzuziehen (z. B. 183f. 239, 248,
254f, 262). Aber die Nachfolgeworte stellen einen eigenen Traditionsbereich
dar, der sich nicht mit den Verfolgungslogien Mk 13,9fT;
Mt 23,29 ff (jeweils parr) vermischt hat.

Insgesamt hat uns Vf. einen engagierten und oft weiterführenden
Versuch vorgelegt, den gegenwärtigen Leidenserfahrungen eine exegetische
Perspektive zu geben.

Schleswig Hans-Theo Wregc

Robbins, Vernon K.: Jesus the Teacher. A socio-rhetorical Interpretation
of Mark. Philadelphia, PA: Fortress Press 1984. XV, 238 S.
gr. 8°. Lw.S 23.95.

Seitdem W. Wrede dem Verständnis des Mk als einem unmittelbaren
Reflex des Lebens Jesu den endgültigen Todesstoß versetzt
hatte, sucht man nach einer angemessenen Deutung des ersten Evangeliums
. Da mit Mk die Geschichte der Textsorte Evangelium innerhalb
der urchristlichen Geschichte beginnt, wird naturgemäß dabei
zugleich über das Verständnis der Gattung mitentschieden. Die Regel
ist, daß man sich sein Verständnis des Mk im Spannungsfeld der
beiden Brennpunkte von Tradition und Redaktion aufbaut. Man fragt
also: Inwiefern ist Mk Sammler von kleinen Einheiten (R. Bultmann,
M. Dibelius u. a.) sowie kleineren vorgegebenen Sammlungen
(H.-W. Kuhn, J. Gnilka u.a.) und zugleich redigierender Theologe
dieser Materialien (W. Marxsen u. a.)? Man kann dann mehr die
Sammlertätigkeit betonen oder die theologische Bearbeitung in den
Vordergrund stellen, auch die Zuordnung beider Tätigkeiten durch
traditionelle Strukturen, die schon dem Traditionsprozeß inhärent
sind, geleitet sehen (H.-Th. Wrege). In jedem Fall orientiert man sich
am inneren Prozeß der Traditionsbildung und der Literarisierung der
Stoffe zum Evangelium. Man versteht dann das Produkt Evangelium
meistens als einzige neue Gattung, die das Urchristentum schuf
(K. L. Schmidt), selbst wenn die Analogielosigkeit neuerdings wiede.r
partiell eingeschränkt wird (D. Lührmann).

Wenige Ansätze zum Verständnis des Mk gehen andere Wege, die
außerhalb dieses Verfahrens liegen. Zu diesen besonderen Ansätzen
kann man schon die These von R. Bultmann zählen: Wenn er im Mk
die Vermittlung zwischen Jesustradition und hellenistischem
Kerygma verwirklicht sieht, hat er das erste Evangelium auf eine
außerhalb des inneren Zusammenhanges von Tradition und Redaktion
liegende Größe bezogen. Das Evangelium ist nicht mehr aus sich
heraus Evangelium, sondern dient einem ihm nicht unmittelbar innewohnenden
Zweck. Wenn neuerdings H.-Th. Wrege aus der späteren
Wirkungsgeschichte des Evangeliums Rückschlüsse auf das Wesen
dieser Gattung zieht, hat auch er den üblichen Bezugsrahmen überschritten
.

In diese Reihe andersgearteter Ansätze gehört auch das Werk von
R., wenn er eine sozio-rhetorische Interpretation des Mk liefert, wie
sie auf Thesen von K. Burke und Cl. Geertz aufbaut (S. 5): Er verläßt
das Orientierungsfeld von innerurchristlicher Tradition und Redaktion
und fragt, davon absichtlich unabhängig, nach den in der antiken
mediterranen Kultur überhaupt bereitgestellten Strukturen der Verständigung
und ihrer Geltung für die Konzeption des Mk. Natürlich
können dabei nur solche literarischen Zeugnisse der Antike befragt
werden, die auch eine Nähe zu Mk besitzen. Hierbei dürfen nach R.
keinesfalls nur alttestamentlich-jüdische, sondern müssen vor allem
hellenistische Texte Berücksichtigung finden. Dabei spielen
Xenophons Apomnemoneumata und die Vita Apollonii von Philo-
stratus eine besondere Rolle. Man sieht: K. L. Schmidts Material aus
dem Eucharisterion für H. Gunkel (1923) kommt unter neuer Fragestellung
wieder auf die Tagesordnung. Das Ergebnis ist: "Mark's
Gospel does not look especially stränge among all the different kinds
of biographical compositions during the Hellenistic erea." (S. 4) Im
Gegenteil: Eine sozio-kulturelle Analyse zeigt, daß die typischen Strategien
der Kommunikation („Formen"), die den Leser zu einer aktiven
Teilnahme am Verstehensprozeß veranlassen (S. 7), erhoben
werden können und sich gut aus der Umwelt heraus verstehen lassen.
Dazu lautet die Grundthese: "Mark partakes of the form of a biogra-
phy that depicts a disciple-gathcring teacher - from the high point of
hiscareertothedeath."(S. 10)

In einzelnen Arbeitsgängen werden dann diese Formen analysiert.
Als Beispiele mögen hier die Beobachtungen zu den "repetive forms"
dienen, die zur Einsicht in die formale Struktur des Mk führen. Dabei
erkennt R. "the series of three" (S. 20ff) als auffalliges Strukturelement
. "Three Step progressions" in 1,14-20;- 3,7-19; 6,1-13;
8,27-9,1; 10,46-11,11; 13,1-37 gliedern den mk Stoff. Diese dreigliedrigen
Stücke variieren das Thema des Mk, wie es in 1,1 steht,
indem sie die Identität Jesu unter sich ändernden Bedingungen thematisieren
. Dieses formale Verfahren wird als sozio-rhetorisch typisch
beschrieben (S. 29). Allerdings hat die Durchführung ihre Schwächen:
Der Vergleich und die Argumentationsgänge werden relativ grobmaschig
vorgenommen. Die Dreiteilung der aufgezählten Stücke
. gelingt oft nur mit Mühe, ist am ehesten beim ersten und vierten Text
wirklich diskutabel und hat sonst ernste Probleme. Nimmt man noch
hinzu, daß geographische, zeitliche, motivische oder stichwortartige
(usw.) Textsignale für die Struktur nicht berücksichtigt werden,
kommt man zu dem Schluß, daß man über die "three step progressions
" allein die Strukturdes Mk wohl kaum beschreiben kann.

Nach der Untersuchung der verschiedenen Formen wird als Ergebnis
festgehalten: "The Gospel of Mark was perserved because it per-
petuated an image of Jesus, an understanding of discipleship and a
teaching/learning cycle compatible with ideology in Mediterranean
society." (S. 209) Ruft man dazu noch einmal den Titel des Buches:
Jesus the Teacher, in Erinnerung und akzentuiert mit seiner beabsichtigten
Signalwirkung dieses Ergebnis, wird man fragen dürfen, ob so
Mk schon präzise genug beschrieben ist. Sicherlich wird eine sozio-
kulturelle Interpretation nur strukturell Typisches als Ergebnis zeitigen
können, so daß man nicht gleich die einzelnen Besonderheiten des
Mk dagegen ausspielen sollte, jedoch warum nennt Mk sein Werk
„Evangelium" und warum nimmt in ihm Jesu Geschick einen so umfangreichen
Raum ein? Warum ist sein leitendes Interesse nicht
einfach die Erinnerungan Jesus als Lehrer und Initiator eines Schülerkreises
, sondern die Stärkung des Glaubens der Gemeinde an das im
Evangelium bezeugte Heil? Hat diese Ausrichtung nicht etwas zu tun
mit dem Charakter der vormarkinischen Tradition? Kann man aber
dann wirklich von der Spannung zwischen Tradition und Redaktion