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Ausgabe:

1986

Spalte:

102-103

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Müller, Karlheinz

Titel/Untertitel:

Das Judentum in der religionsgeschichtlichen Arbeit am Neuen Testament 1986

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 2

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v. Chr. gegeben sind" (S. 28). Die Tatsache, daß annähernd die Hälfte (z. B. Makk 1,7.1 für 1 Makk 7,1 bzw. Makk 2,11,24 für2Makk 11,24)

aller Datierungen des lMakk mit jüdischen Monatsnamen, die von in Kauf nehmen.

einem Jahresbeginn im Frühjahr abhängig sind bzw. mit Rückbezie- Ros(ock Klaus-Dietrich Schunck
hangen auf diese Monatsnamen oder überhaupt mit Monatszählungen
, die im Frühjahr einsetzen, verbunden ist, erklärt er aus einer

Übernahme dieser Monatsangaben aus dem auf den Vorschriftendes ^Iöller- Karlheinz: Das Judentum in der religionsgeschichtlichen

ifiH»/.i._ i/i. u j -j- u c .i i a a „ Arbeit am Neuen Testament. Eine kritische Rückschau auf die

jüdischen Kultgesetzes basierenden judischen Festkalender, dem " . ,, .. ...... " . _ ,

i/„, , ....... ..... Entwicklung einer Methodik bis zu den Qumranfunden. Frank-

Kalender des judischen .Kirchenjahres . furt/M.-Bern: Lang 1983. 227 S. 8" = Judentum und Umwelt. 6.

Ist es aber glaubhaft, daß der jüdische Autor des 1 Makk (bzw. schon sfr 58 —
seine jüdischen Quellen) Jahreszahlen der westlich des Euphrats

gebräuchlichen Seleukidischen Ära, der ein Jahresbeginn im Herbst In der 1979 begründeten Reihe Judentum und Umwelt erscheint
zugrunde lag, mit auf dajs jüdische .Kalenderjahr', das mit einem erstmalig die Arbeit eines Neutestamentiers. Karlheinz Müller,
Jahresanfang im Frühjahr rechnete, bezogenen Monatsangaben Inhaber des Lehrstuhls für Biblische Einleitungswissenschaft an der
kontaminierte? Der Vf. meint: „Die Fähigkeit, die Daten des jüdi- Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Würzburg, der
schen Kaiende rs in solche des makedonischen umzurechnen, besaß er diese Untersuchung als philosophische (judaistische) Dissertation
wegen des Fehlens entsprechender Hilfsmittel nicht, und er hätte unter Betreuung von Johann Maier erarbeitet hat. geht es um die forgewiß
auch kein Interesse für derartig feine chronologische Untersu- schungshistorische und methodenkritische Darstellung eines reli-
chungen gehabt. Wahrscheinlich ging er sogar fälschlicherweise davon gionsgeschichtlichen Verfahrens. Er versucht die methodischen
aus, daß der jüdische mit dem Nisan beginnende Jahreskalender sich Voraussetzungen und sachlichen Konsequenzen aufzuweisen, die sich
bruchlos in die Jahreszählung nach der Herbstära von 312 v. Chr. ein- am Umgang neutestamentlicher Forscher mit dem Judentum und
hjge." (S. 28) Das aber ist doch eine Erklärung, die in keiner Weise seinen Zeugnissen ablesen lassen. Die Fülle des Stoffs ruft gebieteüberzeugender
ist als die vom Vf. gerade abgelehnte Auffassung, daß risch nach Konzentration. Diese wird dadurch erreicht, daß im
irn lMakk wie wohl auch im 2Makk neben der offiziellen seleukidi- wesentlichen nur die deutschsprachige protestantische Theologie vom
sehen Ära mit Beginn im Herbst 312 v. Chr. für innerjüdische Ereig- Beginn des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderls zu Wort kommt (mit
nisse auch noch eine im Frühjahr 312 v. Chr. beginnende jüdische gelegentlichen Seitenblicken auf die angelsächsische Forschung). Die
yariante, die in der Jahreszählung somit der offiziellen seleukidischen besondere kritische Aufmerksamkeit gilt dem seit den Tagen Well-
Ära folgte, Verwendung fand. Und lassen sich auch gegen diese hausens und der Religionsgeschichtlichen Schule häufig verwendeten
Lösung des chronologischen Prohlems - ebenso wie gegen die derzeit Begriff des Spätjudentums. So wirft die Arbeit einerseits methodolo-
vorherrschende These vom durchgängigen Gebrauch einer im Früh- gischc Fragen auf, spricht aber zugleich auch inhaltliche Aspekte an,
Jahr 311 v.Chr. beginnenden Ära - Einwände erheben, so kommt die einer gründlichen Nachfrage wert waren.

man beim gegenwärtigen Erkenntnisstand wohl nicht um die An- Das methodenkritische Panorama setzt mit religionsgeschicht-

lahme herum, daß bei irgendeiner Datierung des 1 Makk, vielleicht liehen Konzepten an, die für eine eigenständige Wertung des Juden-

°ei 1 Makk 10,21, ein Fehler vorliegen muß. tums in seiner Beziehung zum Neuen Testament kaum Raum ließen:

Auf der Umrechnung der Datierungen nach der vom Vf. angenom- dem der „positiven Religion" im Unterschied zur Vernunftreligion in

menen Ära fußt seine Rekonstruktion der Abfolge der Ereignisse, und der Aufklärung, dem Evolutionismus bei Lessing und Herder, der

diese bietet wiederum die Grundlage für die Analyse der Sach- und typologischen Sicht Schleiermachers und der Mythentheorie der

Motivzusammenhänge sowie die damit einhergehende Aufhellung Romantiker Schelling und Heyne. Es zeigt sich, daß auch in diesem

der Ursachen und Hintergründe für die Rcligionsverfolgung unter Problemkreis ein tragfähiger Ansatz erst in der Nachfolge F. Ch.

Äntiochos IV. Das Ergebnis des Vf. ist: Das Religionsedikt Baurs gefunden wurde. Die Rolle A. Hilgenfelds, dem es um ein

Antiochos' IV. wurde im Dezember 168 v. Chr. im Zuge einer mili- Zwischenglied zwischen Altem und Neuem Testament zu tun war,

tarischen Straf- und Sicherungsaktion im Einvernehmen mit dem und der dabei auf die Apokalyptik stieß, wird gebührend gewürdigt.

Hohenpriester Menclaos erlassen; mit der daraus sich ergebenden Neben ihm kommt O. Pfleiderer zu stehen, der in der Hellenisierung

Keligionsverfolgung beabsichtigte der König, die Widersätzlichkeit des Christentums und somit in der Ablösung vom Judentum den Fort-

der Juden gegen den von ihm protegierten Menclaos und folglich schritt der Religionsgeschichte sah.

gegen seine Oberherrschaft zu brechen. Antiochos IV. wollte somit An dieser Stelle hätte der Versuch G. Dalmans und A. Schlatters.

mft dem Religionsedikt dem jüdischen Volk nicht griechische Reli- durch Rückgriffauf die Ursprache und die zeitgenössische Denkweise

8'on und griechische Lebensweise aufzwingen, und ebensowenig sich der jüdischen Wurzeln des Urchristentums zu.versichern, seinen

wollte er damit in einer innerjüdischen Auseinandersetzung Partei Platz gehabt. Beide Forscher verdienten eine ausführlichere als die

"greifen. „Vielmeh r erwuchsen hellenistische Reform und Religions- hier dargebotene Würdigung (vgl. S. 34), verstanden" sie sich doch als

Verfolgung aus Motivationsketten, die sachlich und genetisch vonein- Widerpart zur Tübinger und später zur Rcligionsgeschichtlichen

ar>der unabhängig waren. Erst ihr zufalliges Zusammentreffen führte Schule, eine Positionsbestimmung, die sich bis in die Fakultäts- und

ln der Zeit des Makkabäeraufstandes vermittels der Etikettierung der Verlagspolitik hinein auswirkte.

Kehgionsverfolgung als einer .Umstellung auf die hellenische Lebens- Die Religionsgeschichtliche Schule wird dadurch charakterisiert,
Weise' zur Behauptung eines inneren Zusammenhanges." (S. 14) daß sie einer Mitwirkung „fremder" Religionen bei der Herausbil-
Hieses Hauptergebnis der Untersuchung ist sorgfältig herausgearbeitet dung des Urchristentums Raum gab und andererseits (besonders bei
Worden; es darf als ein sehr beachtenswerter und überzeugender Bei- H.Gunkel) in Richtung auf die Überlieferungsgeschichte vorstieß.
trag zum Verständnis der Vorgeschichte und der Anfänge der makka- Ausführlich wird als nächster wichtiger Schritt R. Bultmanns Stellung
bäischen Erhebung gelten. zur religionsgeschichtlichen Arbeit auf dem Hintergrund des „Antire-
L>ie Arbeit erbringt darüber hinaus zahlreiche sehr nützliche Hin- ligionismus" der frühen dialektischen Theologie dargestellt. Die redu-
Weise und Überlegungen zu Detailfragen, so u. a. den Nachweis, daß zierende Wirkung der existentialen Hermeneutik gegenüber den reli-
Antiochos IV. das Religionscdikt bereits im Spätherbst 165 v. Chr., gionsgeschichtlichen Phänomenen kommt zur Sprache (freilich nicht
"■'h. noch 1 Jahr vor seinem Tode, widerrief. Dabei sind für den an einem im engeren Sinne jüdischen Gegenstand, sondern am einTheologen
zumal die umfassende Berücksichtigung und Auswertung drücklichen Paradigma des gnostischen Anthroposmythos), aber auch
von Quellen und Beiträgen aus dem Fächgebiet der Alten Geschichte das Überspielen der zeitlichen Distanz zwischen der antiken Religion
hilfreich. Bereitwillig dürfte er deshalb auch die ihm ungewohnte und der Gegenwart des Interpreten im Akt des auslegenden Verste-
Torm der Anführung von Belegstellen aus dem lMakk und 2Makk hens.