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Ausgabe:

1986

Spalte:

72-73

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Burbach, Hartmut

Titel/Untertitel:

Das ethische Bewusstsein 1986

Rezensent:

Beintker, Horst

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 1

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dung in Gott" abzielenden Lebensprozeß (131 f, 143), „die Einheit mit
sich selbst" als Bedingung der Nächstenliebe (1490 im Zusammenhang
mit der Hoffnung (160), den konstitutiv-dialogischen Charakter
von Gottes- und Nächstenliebe (168 f, 171), den Zusammenhang von
Gemeinwohl und persönlicher Entfaltung (171 ff). Zusammengefaßt:
„Diese Ich-Werdung bedeutet. .., daß der Mensch die Entfaltung und
die Vollendung in allen zu seiner Natur gehörigen Bereichen bzw. in
allen zu seinem Menschsein von Gott bestimmten Wirklichkeiten
erfährt" (1850-

Die Würdigung der Arbeit muß aber vom ausdrücklich gestellten
Ziel ausgehen: „Wir wollen einzig aufzeigen, wie der Zweckgedanke,
der vom finis ultimus als dem den Menschen beglückenden Moment
ausgeht, die ganze thomanische Moral in ihrer Grundstruktur
beherrscht und wie gerade deswegen der Glücksgedankc entscheidend
istfürdie Beurteilung sittlichen Handelns" (340- Die drei Kapitel der
Arbeit: „Die Zielausrichtung des menschlichen Handelns", „Die
zentrale Stellung der beatitudo innerhalb der thomanischen Ethik",
„Die Stellung der Caritas in derbeatitudo-Lehre" bilden nicht nur eine
einsichtige Systematik, sondern arbeiten auch bisher nicht im
Gesamtzusammenhang dargestellte Bestimmungsmomente der
Thomas-Ethik auf. Für den Kenner dürften begründete Stellungnahmen
zu Einzelfragen wie die Überwindung der Intellektualismus-
Voluntarismus-Diskussion (44LT, 52ff, 58ff; im Zusammenhang mit
der Struktur des desiderium naturale: 971T), die Darstellung der
Natürlichkeit des desiderium naturale und der Übernatürlichkeit seiner
Erfüllung (108ff), des Slrukturzusammenhanges von Gottes-,
Selbst- und Nächstenliebe (149IT) lehrreicher sein als die (durchaus
begründete, aber auch Bekanntes bringende) Systematik. Nur eine
genaue Durcharbeitung läßt den Gesamtertrag ermessen.

Einige Schwächen mindern den Wert der Arbeit nicht wesentlich.
Ihre Benennung stellen Vorschläge zur Weiterarbeit dar. Die Rolle
des Willens bei Thomas läßt sich schwer in unmittelbarem Vergleich
zu Aristoteles ohne Hinweise auf die Geschichte des Willensverständnisses
(Neuplatonismus, Augustinus) klären (vgl. 45f, 56AT). Die Frage
nach der genauen Bedeutung des transzendentalen bonum und ihrer
Vermittlung zur Ethik hätte durch eine Untersuchung der Lehrentwicklung
des Thomas genauer beantwortet werden können (941T) -
wie B. es in anderen Fragen (Integrierung der geschaffenen Güter: 80;
Ansatz des desiderium naturale: 97ff; zunehmende Zusammenschau
der ethisch bedeutsamen inneren Vollzüge: 45; zunehmende Herausstellung
der ethischen Relevanz des Zieles: 45ff) unternimmt. Wenn
die .klassischen Kommentatoren' des 16.-18. Jh. solche lehrgeschichtlichen
Überlegungen auch kaum anstellen, so hätte ihre Hilfe
zur systematischen Durchdringung doch benutzt werden können. Nur
Cajetan wird einmal erwähnt (67).

Ein besonderes Verdienst scheint mir darin zu liegen, daß B. die
apologetische Haltung mancher Thomisten überwindet, die den
Angriffen aufden eudämonistischen Charakter der Thomas-Ethik mit
der Abweisung .psychologischer' Betrachtung und dem Rückzug auf
.ontologische' Strukturen zu begegnen suchen. Er betont, daß Streben,
Ziel, Glück und Lust bei Thomas immer auch seelische Zustände und
Bewegungen betreffen, also auch „psychologisch' zu verstehen sind.
Zugleich zeigt er etwa am Verhältnis von Selbst-, Gottes- und Nächstenliebe
, daß die ontologische Grundausrichtung auf die eigene Vollendung
nicht als psychologisch-egoistische Motivation mißverstanden
werden darf (z. B. 143, 1500- Allerdings hätte ich mir in dieser
Deutung eine intensivere Auseinandersetzung mit der biblisch orientierten
Entgegensetzung von Eros und Agape gewünscht (vgl. 1 77f).

B. faßt seine Ergebnisse selbst zusammen. Das erste, den Eudämo-

nismus betreffende, führt er etwas zu vorsichtig ein (187: .....eine

gewichtige Rolle . .. spielt"), klärt dann aber: „Der thomanische
Eudämonismus umfaßt das sittliche Subjekt in seiner gesamten
Schöpfungswirklichkeit, d. h. der Mensch, der das Glück erfahrt und
der zur Selbstwerdung in Gott gebracht werden soll, wird als leiblichgeistiges
Wesen betrachtet und ernst genommen, und als Ganzer soll
er Gott begegnen." Dieser Eudämonismus umfaßt die Caritas als

Freundesliebe. Diese „schließt jegliche Form des Egoismus aus. Sie ist
aber nicht die Aufhebung des amor coneupiscentiae, sondern die Integrierung
desselben" (186). Damit unterstützt Thomas in der heutigen
Diskussion eine teleologische Ethik. Aber „das Telos, das Gott ist,
steht für ihn deontologisch fest als objektives Kriterium aller innerweltlichen
Werte" (188). Aus dem Charakter des thomanischen Eudämonismus
folgt für eine Gesetzesethik, die sich im katholischen
Bereich oft auf Thomas beruft: „Das Gesetz läßt sich nur von der
Caritas aus zum Wohl des Menschen und, allem voran, zum Wohl des
Handelnden selbst interpretieren" (ebd.).

Bottrop Paulus Engelhardt

Burbach, Hartmut: Das ethische Bewußtsein. Studien zur Systematik
der theologischen Ethik Schleicrmachers. Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1984. 129 S. 8" = Göttinger theologische
Arbeiten, 31. Kart. DM 26,-.

Diese Studien, als Göttinger Dissertation 1983 angenommen,
versuchen in fünf Kapiteln „die integrale Funktion der Theorie des
ethischen Bewußtseins für das ethisch-theologische Denken Schleiermachers
einer konstruktiven Kritik zugänglich zu machen, die zwar
die zeitliche Abständigkeit ihres Gegenstandes zu respektieren vermag
, gleichzeitig aber auch den Ursprung gegenwärtigen Bewußtseins
von Christentum in seiner historischen Genese vermittelbar
macht" (S. 11). Für diese thematische Konzeption der Studien gibt
„besonders für systematische Verschränkung des Verhältnisses von
kultursoziologischer und christologischer Vergewisserung und des
Verhältnisses von kirchlicher und geschichtlich-gesellschaftlicher
Vergegenwärtigung christlicher Gesinnung die Problemkonstellation
" ab; d. h. das Buch stellt Schleicrmachers Lehre des ethischen
Bewußtseins als das maßgebliche „Interpretationszentrum" seines
theologischen und kulturtheoretischen Denkens dar und würdigt sie
als wesentliche Hilfe, „der Selbstbehauptung des Christentums in
einer sich ihrer Säkularität bewußtwerdenden Geschichtsentwicklung
Respekt zu verleihen in Gestalt zukunftsorientierter und perspektivengebender
Zeitgenossenschaft" (S. 11 u. 109).

Im einzelnen wird in Kap. I „Die christliche Lehre in Einheit von
Dogmatik und Ethik" als „die Vorgabe einer Grundbestimmung"
untersucht, indem auch „Aspekte ihrer Wirkungsgeschichte" bei
E. Troeltsch, K. Barth, E. Brunner, T. Rendtorff und D. Schellong
bedacht sind. Kap. II beleuchtet „Ethisches Bewußtsein im kulturtheoretischen
Kontext" (S. 30-40), Kap. III „Die theologisch-
christologische Grundlegung des ethischen Bewußtseins" (S. 41-89),
Kap. IV „Ethisches Bewußtsein in der Gestaltung der kulturellen
Wirklichkeit" (S. 90-98), und mit Kap. V „Das ethische Bewußtsein
im systematischen Zentrum der theologischen Ethik Schleicrmachers
" (S. 99-108) beschließen die Studien den mehrmals zu
knappen, bisweilen nur thetischen Versuch einer umfassenden Deutung
und Aktualisierung der Absicht Schleiermachers, durch eine
unverwechselbar christologische Grundlegung der Ethik der Kirche
und Theologie gegenüber der Gesellschaft Eigenständigkeit zu
sichern.

Hier liegen wohl die besonderen Verdienste, aber auch Anlässe zu
kritischen Anfragen. Für die anstehende volle Würdigung Schleiermachers
als Ethiker und Kulturphilosoph bringt Burbach wertvolle
Beobachtungen und Analysen. Den ethischen Impuls überhaupt im
Ausgang vom Selbstbewußtsein Christi zu finden (S. 42ff), gilt
freilich als „specifisch christliche" Anschauung Schleiermachers,
wonach „alle Gemeinschaft mit Gott angesehen wird als bedingt
durch den Act der Erlösung durch Christum" (Werke 1/12,32). Doch
beschränkt er ja ihren Geltungsbereich „ausschließlich" auf die
christliche Kirche. Welche überzeugenden Verbindungen zwischen
der christlichen Sittenlehre und der ethischen Konkretisierung des
Lebens auf dem Niveau der kulturthcoretischen Allgemeinheit heste-
hen, befriedigt in den formalen Hinweisen nicht; „daß nur dem