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Ausgabe:

1986

Spalte:

903-906

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Delp, Alfred

Titel/Untertitel:

Gesammelte Schriften 1986

Rezensent:

Greschat, Martin

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Seite 1, Seite 2

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903

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 12

904

Durch Capito ist der geistliche Bogen von Bern nach Straßburg
gespannt, so daß die Gemeinsamkeit der Schweizer und der Oberdeutschen
wieder einmal dokumentiert ist. Viele Probleme zwischen
den Oberdeutschen und den Wittenbergern, von der GeistaufTassung
bis zur Zwei-Reiche-Lehre, begegnen auch im Synodus, so daß die
Wirkung in Richtung Wittenberg von vornherein gebremst war. Das
Konglomerat von Zustimmung und Ablehnung im Horizont anderswo
vorgebrachter reformatorischer Theologie macht den Synodus
für die Akzeptanz interessant und schwierig zugleich. Wer die inner-
reformatorischen Streitigkeiten, besonders zwischen den Hauptreformatoren
und den sogenannten „Schwärmern" kennt, wird das Maß
der Reserven ermessen können, wenn Locher darauf hinweist, daß
„der Synodus Gedanken und Begriffe Schwenckfelds aufnimmt und
für täuferische Einwände und Anliegen Verständnis spüren läßt.
Schließlich fanden wir eine durchgehende Grundstimmung, die uns in
die spätmittelalterliche Devotio moderna versetzt." (8)

Locher faßt sein Urteil über den Synodus wünschenswert deutlich
zusammen: „Trotz alledem ein eindeutig reformatorisches Dokument
, freilich oft mit Begriffen arbeitend, die der offiziellen konfessionellen
Diskussion jener Zeit fremd blieben. So ist der Berner Synodus,
obwohl auf oberdeutsch-reformiertem Boden gewachsen, nach Form
und Inhalt eine Bekenntnisschrift eigener Art." (8)

Die Freude an der Ausgabe schließt nun aber eine Reihe von
Anfragen an die Edition nicht aus. Die Übersetzung weist zwar in
großer Zahl Bibelstellen nach, gibt aber nur wenige, vielleicht zu
wenige Sachhinweise. Theologiegeschichtliche und gesamtreformato-
rische Zusammenhänge könnten - besonders für nicht geübte Leser-
vielerorts aufgewiesen werden, so etwa bei der Abhandlung des
Synodus über eine besondere Version der Zwei-Reiche-Lehre
(124-127) oder bei der Ablehnung des prophetisch-schwärmerischen
Elements im Zusammenhang der Bauemunruhen (100). Hilfreich
gewesen wäre auch eine Kapitel und Themen bekanntgebende Tafel,
die die verhandelten Schwerpunkte des Synodus im Zusammenhang
von Bekenntnis und Ordnung sogleich überschaubar gemacht hätte.

Desiderate wie oben sind kein Gewicht gegen Dank und Freude, die
man empfinden kann, wenn man den Synodus auf die beschriebene
Weise vorgelegt erhält. Der II. Band wird gewiß eine große Zahl der
Fragen beantworten, die sich bei der Lektüre von Band I eingestellt
haben.

Görlitz Joachim Rogge

Kirchengeschichte: Neuzeit

Delp, Alfred: Gesammelte Schriften, hg. von R. Bleistein. 1:
Geistliche Schriften. 304 S„ 1 Taf.; 2: Philosophische Schriften.
590 S.; 3: Predigten und Ansprachen. 499 S.; 4: Aus dem Gefängnis
. 463 S. Frankfurt/M.: Knecht 1982-84. 8°. Lw. zus.
DM 240,-.

Delps Persönlicheit und sein Denken - die Roman Bleistein, der
Hg. dieser Schriften und durch zahlreiche Untersuchungen über Delp
bestens ausgewiesene Gelehrte, jüngst noch einmal im Blick auf
neuere Forschungen charakterisiert hat (ZKG 97, 1986, 66-78) -
treten in diesen vier Bänden dem Leser ungemein plastisch und lebendig
vor Augen. Höchst eindrucksvoll läßt sich daran auch die geistige
und seelische Entwicklung des Menschen und Christen Alfred Delp
von seiner Studienzeit im Orden über die Kriegsjahre bis zu den
letzten Monaten im Gefängnis ablesen. Obwohl die ihn lebenslang
bewegenden Themen - der Realitätsbezug des christlichen Glaubens
aufgrund der überwältigenden Realität der Offenbarung Gottes in
Christus, die Größe der Kirche, das Problem der Geschichte als eines
Ineinander von Gottes Plan und Ordnung und der freien Verantwortung
des Menschen sowie insbesondere die Frage nach dem Wesen
und der Wirklichkeit des Menschen - obwohl diese Themen also ihn
von früh an bewegt und beschäftigt haben, greifen die Antworten im

Verlauf der Jahre unverkennbar tiefer, kristallisiert sich seine Position
zunehmend deutlich und in der Tat beeindruckend heraus.

Der erste Band (Geistliche Schriften) vereint recht unterschiedliche
Materialien: Auf ein knappes Lebensbild Delps vom Hg. (11-42) folgt
eine liebevolle, Zeitbedingtes behutsam beiseite rückende Einführung
von Karl Rahner (43-50), danach als erster Text von Delp ein
Adventspiel (51-68), in dem eher gewaltsam als innerlich überzeugend
die Sehnsucht von Menschen nach Gott in Ausnahmesituationen
dargestellt wird. Der Delp später kennzeichnende dialogische
Charakter seiner Auseinandersetzung mit der Moderne tritt
auch in seinem Werben für die „Katholische Aktion" (69-109)
ebenso wie in den Predigten gegen die Deutsche Glaubensbewegung
(111-193) noch stark zurück; hier überwiegt eher das z.T. sehr
selbstsichere Postulat. Doch in den folgenden Texten (Kirche in der
Zeitwende, 194-202; Christliche Persönlichkeit, 203-212; Tagebuch
der Großen Exerzitien, 245-261; Vertrauen zur Kirche, 263-283;
Christliches Weltverständnis, 284-296) klingen schon ganz andere
Töne an. Daß der Christ der volle und ganze Mensch sein kann und
soll, betont Delp: und daß die Kirche darum die große Aufgabe hat,
die Bewahrung und Verwirklichung von Menschlichkeit und Kultur
zu ihrer ureigensten Aufgabe zu machen. „Für unsere konkrete
Verantwortung heißt dies aber, daß der Kampf um die Freiheit und
Geistigkeit des Menschen, der Kampf um eine echte, saubere Kultur,
nicht nur Möglichkeitsanliegen der Kirche sind, sondern grundlegende
Rechte und Pflichten, nicht nur der kirchlichen Menschen,
sondern auch der kirchlichen Ämter." (282) Gegründet ist diese
Überzeugung in der Spiritualität seines Ordens. Dementsprechend
kann Delp 1938, bezeichnenderweise während der Großen Exerzitien
, notieren: „Ungekünstelt, ungezwungen, krampflos, frei und echt
und ehrlich als Liebender durch die Welt gehen. Die Dinge durchschauen
und alles durch-schauen bis auf den letzten Grund, und dort
ist Gott die Liebe." (261)

Sachlich gehört hierher der im dritten Teil abgedruckte Briefwechsel
zwischen den beiden Konvertiten Delp und Thieme
(1935/36, 455-499). Im Unterschied zum Hg. (455f) sehe ich den
Kernpunkt dieser Auseinandersetzung nicht in den Fragen zu
Geschichte und Übergeschichte, Natur und Gnade, sondern in der-
insgesamt eher emotionalen als rationalen - Verteidigung von Delps
tiefster Überzeugung, wonach sein Orden, eben die Gesellschaft Jesu,
gegenüber dem durch die Reformation ausgelösten verhängnisvollen
Subjektivismus auf die angemessenste und echteste, weil nach wie vor
unüberbotene Weise auf die Verwirklichung des in der katholischen
Kirche gegründeten christlichen Menschen ziele.

Vielfaltig und komplex sind auch die Materialien und Themen des
zweiten Bandes (Philosophische Schriften). Zu Recht hebt Karl
H. Neufeld in seiner Einleitung (11-35) hervor, daß Delp sich hier
intensiv und weitgespannt auf andere Positionen einzulassen versucht
, ständig bemüht, im Gespräch mit Menschen anderer Überzeugungen
den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen aufzunehmen - und
diese doch zugleich aufgrund der eigenen religiösen Überzeugung zu
transzendieren. Von Philosophie im strengen Sinn wird man dabei
kaum sprechen können. Eher handelt es sich um christliche Apologetik
, wobei Delp bestrebt ist, gerade durch das Ernstnehmen des
jeweiligen Gegenübers die Grenzen und Fragwürdigkeiten der anderen
Position zu markieren. Die drei Unterteilungen (Auseinandersetzung
mit dem Denken, 37-147; Auseinandersetzung mit der
Gegenwart, 149-317; Auseinandersetzung mit Geschichte und Welt.
319-556) formulieren lediglich recht allgemeine Orientierungspunkte
. Am klarsten tritt dabei der Komplex hervor, in dem sich Delp
so gründlich wie kritisch mit der Philosophie Heideggers befaßt
(39-147, vgl. dazu die knappe Erstfassung, 557-590). Sehr viel
schwieriger ist es, die Arbeiten zum zweiten Themenkomplex zusammenfassend
zu charakterisieren. Hier dominiert vollends der für
Delp zentrale Begriff der Ordnung, mit dem er das echte, auf Gott
bezogene individuelle ebenso wie das soziale Leben nicht nur des
Christen, sondern des Menschen überhaupt zu kennzeichnen pflegt.