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Ausgabe:

1986

Spalte:

857-858

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Brocher, Tobias

Titel/Untertitel:

Zwischen Angst und Übermut 1986

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Seite 1

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Theologische Eiteralurzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. I I

858

Kleinhevcr gehl auch auf Ehejubiläen und Segnungen anläßlich der
(ieburl ein. Das reiche Material isl dem evangelischen Leser sehr willkommen
.

Lmmanuel von Severus handelt über ..Leiern geistlicher Gemeinschaften
". Hier scheint der Beitrag dem Rez. besonders gut durchkomponiert
zu sein. Es geht um den einzelnen und die Gemeinschaft
im Blick aufgewachsene Erfahrungen.

Der lei te hschnitl des Bandes behandelt ..Sterbe- und Begrähnis-
liturgien" (Reiner Ken zynski). Eine gute Gliederung erleichtert die
Lektüre: f. ..Anthropologische und theologische Bedeutung der
Sterbe- und Begräbnisliturgie": 2. ..Die Sorge um Sterbende und Tolvin
historischer Sicht": 5. ..Die heutige Leier der Sterbe- und Begräh-
nisliturgie" (hierauch ein Teil: ..Begräbnisliturgie in anderen christlichen
Kirchen"): 4. „Liturgischpastorale Aufgaben". Liier seheint
mir eine anthropologische und religionsgeschichtliche Aufarbeitung
des Materials besonders bedeutungsvoll zu sein.

Auch die weiteren Abschnitte stammen von R. Kaczynski: ..Die
Benediktionen" und ..Der Exorzismus". Zwei typisch katholische
Themen? Doxologie und Gebet werden betont und weisen in eine
ökumenische Richtung, die aber nicht ausgezogen wird.

Die oben genannten Erwartungen an das Handbuch werden nur
z. T. erfüllt. Dankbar darf der Leser lür die reichen Literaturangaben
und die überschaubare Zahl der Anmerkungen sein. Die meisten Beiträge
sind zurückhaltend im Blick auf die Zukunft und auf die
Ökumene. Dennoch: Dieses Handbuch wird sowohl dem Forscher als
auch dem nichtkatholischen Studenten und Praktiker gute Dienste
leisten. Die historische Darstellung ist aufjeden Fall hilfreich.

Im ganzen: Es bleiben viele Tragen ollen, die hoffentlich in den
weiteren Bänden gestellt und diskutiert werden. Deshalb ist erst später
eine eingehende Würdigung des Handbuchs möglich. Es ist eine große
Aufgabe, die Liturgie aus der Enge herauszuführen.

Münster Karl-Fr. Wiggermann

Christiansen. Rolf: Die Lima-l.iturgie als Impuls lür die Gestaltung von
(lollesdiensten bei unst/GP .1. 1985.21 -26).

Deneeke. Axel: Wo der (ieist weht. Das Konvergenz-Papier von Lima -
diskutiert und im Gottesdienst heule praktiziert (ZGP .1. 1985.15-22).

Gottesdienste am Heiligen Abend. Hg von dar l iturgischen Konferenz
Niedcrsachsens in Verb, mit der Arbeitsstelle für (ioltesdiensl und Kirchenmusik
Hannover. Hannover: Lulllerhaus Verlag 1985 66 S. 8 = Neue! exte lür
den Gottesdienst. 10. DM 6.50.

Lies. Lothar: Kulturmysterium heute - Modell sakramentaler Begegnung
(ALW 28.1986. 3-21).

Nitschkc. Horst [Hg.]: Trauung Predigten. Gottesdicnstcntwürfc. Praxis-
beriehte. Gütersloh: Gülersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985. 145 S. 8' =
(ioltesdienstpraxis. Serie B: Arbeitshilfen für die Gottesdienste zu den Festzeilen
und für Kasualien Kart DM 22.80.

/.ippert. Christian, u. Jürgen Frank: Neue Kasualgebete. Gütersloh: Gütersloher
Vcrlagshaus Gerd Mohn 1985. 128 S. 8". geb. DM 22.80.

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Bracher, Tobias: Zwischen Angst und Übermut. Vom Umgang mit
sich selbst. Stuttgart: Kreuz Verlag 1985. 173 S. 8". Kart.
DM 21.80.

Das Buch enthält Beiträge, die in der Zeit zwischen 1967 und 1984
aus öffentlichen Vorträgen (z. T. im Rundfunk oder bei Ev. Kirchentagen
) oder aus Zeitschrillenaufsätzen entstanden sind. Für den Druck
wurden sie überarbeitet und in einen sinnvollen Zusammenhang
gebracht. Die Themen lauten: ..Zwischen Hirn und Herz - Angst aushalten
- Schuld annehmen - Isolation durchbrechen - Solidarität
erlernen - Aggressionen bewältigen - Mit Technik leben - Zum Frieden
erziehen - Auf Gewalt verzichten - Seelisch gesunden -

Glaubwürdig leben - Einsamkeit ertragen - Tod und Sterben
annehmen-Zukunft wagen-Zwischen Anruf und Antwort".

Diese Überschriften sind symptomatisch, weil die Infinitiv-Formulierungen
sowohl indikativisch wie imperativisch verstanden werden
können: Der Psychologe betätigt sieh hier als vielseitiger Analytiker,
der die komplizierten Lebenssituationen seiner (mitteleuropäischen)
Zeitgenossen kritisch auf ihre Hintergründe und Tendenz hin untersucht
, und zugleich als humanistischer Moralist, der zum rechten Verhalten
in den bedrohliehen Verhältnissen des Alltags und der Gesellschaft
anleiten will. Der Untertitel des Buches täuscht etwas: denn
der Vf. ist zwar davon überzeugt: ..Die Wandlung der Welt beginnt
nicht irgendwo, sondern bei dir und bei mir . . ." (58). aber er spricht
eine Fülle von sozialen und politischen Problemen der Gegenwart an.
Dabei konzediert er. daß ..ein direkter Rückschluß vom Erleben des
einzelnen auf das Verhalten von Gruppen und Gesellschaften irreführend
wäre, weil dabei andere, sieh verselbständigende institutionalisierte
Zwänge, sozialökonomische und ideologische Faktoren mitwirken
. . "(I 10).

Als exemplarisch lür das Anliegen des ganzen Buches sollen
hier einige Gedanken aus dem Beitrag ..Zum Frieden erziehen"
(97-106) hervorgehoben werden, zumal sie die Schicksalsfrage
unseres Zeitalters betreffen: ..Die erste Einsieht für den Frieden ist die
vernünftige Anerkennung der Gefährlichkeit unserer vom Urmenschen
ererbten Triebnatur, die unser Leben im tiefsten Grund seiner
Vitalität mitbestimmt." (98) ..Der Fortschritt des Menschen auf dem
Weg zum Frieden begann, als er lernte. Versagung und Aufschub
seiner Wünsche zu ertragen, ohne rein reflektorisch sofort in
Wut zu geraten." (99) Broeher meint, solche individualpsychologischen
Phänomene seien auch in Gruppen. Nationen und Kulturen
wirksam. In den sozialen Formationen sei der aggressive Betätigungsdrang
des einzelnen um des gemeinsamen Wohls willen zwar weitgehend
eingeschränkt, aber die Feindseligkeit habe sieh um so mehr
nach außen verlagert und suche außerhalb der eigenen Sozietäten
dann die Sündenböeke lür die unvermeidlichen Störungen und
Widerstände im menschlichen Zusammenleben. Kollektive Vorurteile
und Fremdenhaß bezeugten diesen friedensgelährdenden
Projektionsmechanismus auch heute immer wieder. Deshalb müsse
bereits in der Familie die frühe soziale Prägung dahingehend
gesteuert werden, daß ..Anspruehsaufsehub und Triebverziehf'
selbstverständlich werden. Die Erziehung dürfe allerdings gerade
nicht durch autoritäre Unterdrückung zur Abhängigkeit führen, weil
damit kritiklose und immer aggressionsbereitc Untertanen produziert
würden, vielmehr müsse sie die Eigenständigkeit ieh-starker Persönlichkeiten
zum Ziel haben. ..Die genauere Beobachtung der menschlichen
Sozialisation. die Verhinderung von Abhängigkeiten und das
Eingeständnis der ständigen Irrtumsmöglichkeit kennzeichnen den
langen und beschwerlichen Weg zum Frieden. Die Psychologie vermag
nur beizutragen, was sie von der Wirklichkeit des Menschen
weiß." (106)

Ob die psychoanalytischen Einsichten in dem von Broeher erhofften
Sinne gesellschaftlich relevant werden und friedenslördernd
wirken können, darüber werden die Leser des Buches wahrscheinlich
verschiedener Meinung sein, und auch über die kulturanthropologischen
Prämissen des Verlässeis wird man im einzelnen streiten
können. Aber an der Dringlichkeit einer Erziehung zum Frieden auf
allen Gebieten und mit allen verfügbaren Mitteln besteht gar kein
Zweifel. Daß der Autor seine fachliehe und menschliche Kompetenz
in den Dienst dieser Grundaufgabc unserer Epoche stellt, verdient in
jedem l alle Dank. Respekt und Interesse

Rostock Ernst-Rüdiger Kiesow

Brandt. Hans-Martin: Der Hiob in uns. Vertrauen im Zweifeln. Göttingen:
Vandenhocek* Ruprecht 1986. 122 S. 8". Kart. DM 15.80.

Gasche. Heinz-Günther: Wer helfen will, muß leiden können (Diakonic 12.
1986. 141-144).