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Ausgabe:

1986

Spalte:

64-66

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Brändle, Werner

Titel/Untertitel:

Rettung des Hoffnungslosen 1986

Rezensent:

Kühn, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 1

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unbefriedigende Ausbreitung der methodistischen Kirche wird nicht
hingewiesen. Es werden nicht einmal Überlegungen darüber angestellt
, welche Bedeutung der langjährigen staatlichen Zuordnung der
method. Gemeinden zu den Konventikeln und deren Bekämpfung als
..Sekten" durch die Landeskirchen zukommt, die es mancherorts bis
lange nach 1945 gegeben hat.

Man wünschte sich das Buch besser gegliedert. Die auf S. 10 beklagten
Wiederholungen könnten dadurch ebenso vermieden werden
wie die sachlich nicht zu rechtfertigende Beschränkung der Darstellung
der method. Arbeit in der DDR von 1945 bis 1970 (warum nicht
bis 1980?) auf 6 Druckseiten. Die Qualität der einzelnen Beiträge ist
sehr unterschiedlich. Während z. B. der Verfasser des 8. Kapitels
(„Die Ev. Gemeinschaft im deutschsprachigen Europa") in seiner fast
zu ausführlichen Darstellung offensichtlich darum bemüht war,
neuere Forschungsergebnisse zu berücksichtigen, hat sich der Verfasser
des 5. Kapitels („Die Methodistenkirche in Deutschland") weitgehend
an Althergebrachtes gehalten. Wo er jedoch neue Ansichten
vorträgt, sind diese häufig uneinsichtig und unbewiesen. Das gilt beispielsweise
von der auf S. 92 f behaupteten Affinität, die es 1896 in der
method. Kirche Deutschlands zur SPD gegeben haben soll, von der
auf S. 88 vertretenen Ansicht, daß ein bestimmter „Schiff-Fahrts-
Vertrag" zwischen den USA und einigen Hansestädten für die
method. Kirchenbildung in Deutschland von großer Bedeutung gewesen
sei, wie auch von der auf S. 100 behaupteten „unausgesprochenen
Vorentscheidung", unter der die method. Kirche Deutschlands
von 1933 bis 1945 ihren Dienst getan haben soll. Daß hier Korrekturen
nötig sind und Lücken geschlossen werden müssen, zeigt auch ein
Vergleich mit den Ausführungen M. Weyers über dieselbe Zeit in
„125 Jahre Theol. Seminar der Ev.-method. Kirche", Reutlingen
1983,30«".

Zu den Abschnitten, die man gerne ausführlicher behandelt sähe,
gehört der Beitrag über die „Vereinigung der Ev. Gemeinschaft und
der Methodistenkirche" im Jahre 1968. Es hätte dann freilich ein fast
hundert Jahre währendes Ringen um diese Einheit geschildert werden
müssen mit all seinem Auf und Ab. Denn von nachweislich 1871 an
„fühlten die drei Zweige der Methodistenkirche in Deutschland", „die
Ev. Gemeinschaft, die Wesleyanischen und Bischöfl. Methodisten",
„daß sie einander näher treten sollten" (Nuelsen, Gesch. d. Method.,
I. Aufl., 605f)- Es hätte dann erläutert werden müssen, wieso es nicht
stimmt, daß die beiden Kirchen von außen, vor allem von ihren
amerikanischen Mutterkirchen her, zu diesem Schritt genötigt wurden
. Die Bemerkung auf S. 214 reicht dafür nicht aus. Von einer
Kirche, die „nach ihrem Verständnis Mission ist" („Sie treibt nicht
nur Mission in ihren kirchl. Aktivitäten, sondern sie ist Mission" -
S. 273) hätte dann eine kritische Analyse über die Bedeutung dieser
Vereinigung für die Mission vorgelegt werden müssen.

Wie in L. S. Jacobys „Geschichte" von 1870 und der von
J. L. Nuelsen aus dem Jahre 1920 bzw. 1929, so wird auch in der vorliegenden
ganz selbstverständlich davon ausgegangen, daß die
method. Kirche ein Sproß der anglikanischen Kirche ist. John Wesley
war anglikanischer Pfarrer und hat bis zum letzten Atemzug um das
Verbleiben seiner Anhänger in der Kirche von England gekämpft.
Doch sucht man erneut vergeblich nach Ausführungen darüber, ob
und wie die deutschsprachigen Zweige dieser Kirche diese Tradition
noch immer akzeptieren oder warum nicht. Es findet sich auch keine
Auseinandersetzung mit der vielzitierten Behauptung, daß der
Methodismus ein „deutsches Gewächs" sei, die „Rückkehr" bzw.
„Ergänzung und Fortsetzung der Reformation", wie es I. W. E. Sommereinmal
formuliert hat.

Die von Wesley stammende und auf die Verwirklichung des allgemeinen
Priestertums zielende Parole „Alle an der Arbeit und immer
an der Arbeit" wie auch der von der Oxford-Bewegung übernommene
Slogan vom „Christuszeugnis von Mensch zu Mensch" durch jedes
Kirchenglied konnte in der method. Kirche auf die Dauer immer
weniger durchgesetzt werden. Das wird nicht expressis verbis gesagt,
ergibt sich jedoch aus der Darstellung. Hat das vielleicht darin seine

Ursache, daß diese Kirche gar keine elitäre Gruppenbewegung (so
C. E. Sommer) oder von vielen getragene Massen- bzw. Evangelisa-
tionsbewegung war und ist, „eine Bewegung, die Schwung besaß und
hoffentlich noch besitzt", wie F. Sigg nach S. 140 gesagt haben soll,
und daß daher auch in ihr sowohl die diakonia tou logou wie auch die
diakonia tes trapezas im Wesentlichen von wenigen und nicht von
den vielen betrieben wurde und wird? Es fällt auf, daß ältere method.
Historiker die Geschichte ihrer Kirche als die Geschichte einzelner
Personen dargestellt haben, die sich vom Geiste Gottes ergriffen wußten
und Not und Opfer nicht scheuten, wenn es galt, der Sache ihres
Herrn zu dienen. Um diese scharten sich solche, die mitgezogen
haben; mehr aber noch solche, die sich mitziehen oder mitreißen ließen
- für eine gewisse Zeit oder auf Dauer. Diesen „Charismatikern"
hat die method. Kirche weitgehend ihre territoriale Ausbreitung und
ihre zahlenmäßige Zunahme zu verdanken. Wenn sie fehlten, waren
langfristig Stagnation oder Rückgang vorprogrammiert.

Dies stellt sofort vor die Frage nach der Laienmitarbeit, die
üblicherweise als für in der method. Kirche gelöst angesehen wird, in
dieser aber offensichtlich zunehmend weniger als beglückende Tatsache
und immer mehr als ein zu erfüllender Programmpunkt gilt.
Diesen Eindruck ruft jedenfalls das vorliegende Buch hervor. Es gibt
Anlaß zur Vermutung, daß Philipp Potters Behauptung auch für die
Ev.-method. Kirchen im deutschen Sprachraum gilt; Im Methodismus
hat sich „die Tendenz entwickelt, die Laien nur als Assistenten
und Vertreter der ordinierten und hauptberuflichen Pastoren anzusehen
. Der Methodismus ist nicht dem Vorwurf entgangen, in der
Praxis, wenn auch nicht in der Zielsetzung, sehr klerikal zu sein."

Angesichts des Dialoges, der zwischen den ev. Landeskirchen und
der EmK geführt wird, sollte beachtet werden, daß in dem insgesamt
interessanten und lesenswerten Buch offensichtlich sehr bewußt das
bereits in C. E. Sommer, „Die Kirchen der Welt", Bd. 6 abgedruckte
Outlcr-Zitat erneut wiedergegeben wird: „Der Methodismus hat
bezüglich seiner Existenz als eine selbständige Kirche unter anderen
Kirchen die Freiheit, ,zu sein oder nicht zu sein'. Die Wahl, wann und
wie zur größeren Ehre Gottes gestorben werden soll, wird sich daran
entscheiden, wie der Sendung Christi in die Welt, ,daß die Welt
glauben möge' (Joh 17,20), am besten gedient werden kann"
(S. 276).

Werdau Karl Zehrer

Systematische Theologie: Allgemeines

Brändle, Werner: Rettung des Hoffnungslosen. Die theologischen
Implikationen der Philosophie Theodor W. Adornos. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1984. 332 S. gr. 8' = Forschungen zur
systematischen und ökumenischen Theologie, 47. Kart.
DM 44.-.

„Theologische Arbeit - das könnte von Adorno gelernt werden -
hat im Unterschied zum Vollzug des Glaubens nicht die Organisation
und Vollzug der .Rettung des Hoffnungslosen', sondern vorrangig die
Erarbeitung des Wissens um ihre Notwendigkeit und Möglichkeit zu
sein. Und theologisches Denken sollte nicht allzu schnell dem Lobpreis
des Glaubens Platz machen, weil es das Salz bleiben muß. das die
Hoffnung auf die kommende Erlösung nicht billig und fad machen
darf." (319) Mit diesen Schlußsätzen ist (unbeschadet der etwas
holprigen Formulierung) Anliegen und Problematik der vorliegenden
Untersuchung, einer von E. Lessing betreuten Münsteraner Dissertation
von 1980. angedeutet. Der Vf. hat sieh der äußerst anspruchsvollen
Aufgabe unterzogen, die Bedeutung des philosophischen,
soziologischen und ästhetischen Werkes Theodor W. Adornos für die
Theologie zu untersuchen. Er sieht sie darin, daß A.s „inverse Theologie
" die Frage aufwirft, ob die systematische Theologie schon die
Form gefunden hat, die dem Leiden der Menschen und dem Kreuz
Jesu gerecht wird; daß A. die Theologie in besonderem Maße bei dem