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Ausgabe:

1986

Spalte:

851-852

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ruether, Rosemary Radford

Titel/Untertitel:

Sexismus und die Rede von Gott 1986

Rezensent:

Gerber, Uwe

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Seite 1

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851

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 1 1

852

Systematische Theologie: Aligemeines

Ruether. Rosemary R.: Sexismus und die Rede von Gott. Schritte zu
einer anderen Theologie. Aus dem Engl, von A. Eggers, J. Fräser.
A. M. Rathschlag-Schaefer, H. Wegener-Fucter u. K. Willms.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985. 333 S. 8' =
GTB/Siebcnstern 488. Kart. DM 24.80.

Diese ..Schritte zu einer anderen Theologie" fangen für einen
ersten Blick in das Inhaltsverzeichnis in scheinbar gewohnter Weise
bei den klassischen Loci an: Zuerst geht es um Methodik, Quellen und
Kriterien feministischer Theologie (29ff); dann folgen Gottcs-Lehre
(Sexismus und die Sprache von Gott; 67ff), Schöpfungstheologic
(Frau. Körper und Natur; 95ff), Anthropologie (118ff) und Christo-
logic (Kann ein männlicher Erlöser Frauen erlösen?; 145ff). Die
Wendung zur Soteriologie (Wege der Bekehrung; 193 IT) wird zunächst
an Maria als Symbol der Kirche tür Unterdrückung oder Befreiung gezeigt
(171 FT) und dann ekklesiologisch als „Gemeinschaft für ein vom
Sexismus befreites Volk" interpretiert (231 ff). Den Abschluß bilden
die Heiligung oder Ethik: Die neue Erde oder sozio-ökonomischc Befreiung
vom Sexismus (257fT), und das Plädoyer für eine Eschatologie
der ..Annahme der Beendigung unseres individualisierten Seinszentrums
, aber auch (der) Identifikation mit der größeren Matrix als
der Gesamtheit unseres Selbst, das uns alle umfaßt" (304). und damit
gegen die traditionelle christliche persönliche Auferstchungshoffhung
(279IT). Im Nachwort entfaltet R. R. das Netzwerk von Frau -
Körper- Natur als Ikone des Göttlichen (307-315).

Schauen wir aber bei einigen Fußspuren dieser Schritte genauer hin,
dann tritt uns die Transformation von Theologie, Kirche, Gesellschaft
und Mitwell in den neuen Lebensstil der Ganzhcitlichkeit.
Gegenseitigkeit und Biophilie vor Augen. Es geht um einen radikalen
Paradigma-Wechsel als Ablösung des in der Neuzeit sich immer
nekrophilcr gestaltenden Patriarchates. Wie schlägt sich dies theologisch
nieder? Wir möchten einige exemplarische Beispiele heranziehen
; (l)den fundamentaltheologischen Rahmen bildet die (von
D. Sölles „Stellvertretung" her bereits bekannte) Theismus-Kritik:
„Mit Jesu Tod hat Gott, der himmlische Herrscher, den Himmel verlassen
und sein Blut über die Erde ausgegossen. Ein neuer Gott ist in
unseren Herzen geboren, der uns lehren wird, Himmel und Erde einander
näher zu bringen und eine neue Welt zu schaffen, ohne Herren
und Sklaven, ohne Herrscher und Beherrschte, nicht einmal die
Männer werden dort Vorrang haben, und Frauen nicht in demütiger
Unterwürfigkeit hintan stehen" (27). -(2) Diese Kenosis Gottes haben
schon die Jünger nicht ausgehalten; „sie wollen den auferstandenen
Jesus in einen neuen Herren und Meister umformen, der den himmlischen
Vater vertritt und die Erde regiert". Dabei hatte Jesus doch
die Seinen am Karfreitag verlassen, damit er in neuer Weise bei ihnen
sein kann und damit sie „ihre Hoffnung nicht auf ihn setzen, sondern
die Gemeinde der neuen Zeit aulbaucn. ohne Herrscher und Untertanen
". Auferweckung wird wirklich in der Sendung der Maria am
Ostersonntag (Mk 16,1 ff); Auferweckung ist Beauftragung der mit
Jesu Sache sympathisierenden Frauen und Männer (Mk 16,9fT;
1 Kor 15,5 ff, freilich ohne Frauen als erste Zeuginnen); Auferweckung
verlangt Einsatz aus der bedingungslosen Liebe des Gottes Jesu und
für diese Liebe in der Welt. -(3) Diese Liebe nimmt den Tod auf sich-
exemplarisch durch Jesus selbst, dessen Tod dann aber seine
Jünger aus ihren eigenen Schulderfahrungen heraus - waren sie doch
geflohen - als Satisfaktionsopfer gedeutet, mißdeutet haben. Nicht
der Tod ist der Anfang des Christentums, sondern das „Gebären" im
Symbol der Auferweckung Jesu; Christen leben biophil. nicht nekro-
phil. - (4) Die Lebensliebe Jesu vollzog sich als anfängliche Aufhebung
der rechtlichen, ökonomischen, sexuellen, sozialen Unterdrückung
von Menschen, besonders der Frauen (z. B. Mt 5,32: Jeder,
der seine Frau entläßt, außer wegen Unzucht, gibt Anlaß, daß ihr
gegenüber Ehebruch begangen wird). Diese Befreiung führen Frauen
heute fort - und Männer, sofern auch sie den nekrophilen, gehorsamsbetonten
. Opfer fordernden Androzentrismus abzulegen bereit sind. -
(5) Die Lcbenslicbe Jesu bringt Gegenseitigkeit (mutuality), sowohl
von uns Menschen untereinander und von uns (anthropozentrisch fast
blind gewordenen Menschen) mit der Mitwelt als auch mit Gott.
Hier werden die Probleme des „Pelagianismus", der z. B. von
H. Berkhof allen Befreiungstheologien vorgeworfen wird, und des
Pantheismus bzw. Pancntheismusals Beziehung Gottes zur Welt virulent
, bes. deutlich am Problem der Eschatologie (279ff). - (6) Die
Pneumatologie tritt, wie in allen Krisen-Theologien, beherrschend
hervor, bes. in Reflektionen auf das Mutter-Amt der Heiligen Geistin
in jüdischen und christlichen Frauentraditionen. - (7) Die Konsequenzen
für die Ekklesiologic sind klar: „Von unten" als Basisgemeinden
der Betroffenen, „nach oben" Demokratisierung,
„Schwesterlichkeit" als neuer Lebensstil.

Natürlich bleiben viele Fragen offen, von denen einige genannt sein
sollen: Die Bedeutung Jesu und seiner Auferweckung; die Relevanz
der orientalischen Göttinnen-Religionen und -Kulte lür heutige
Feministische Theologie (wenn z. B. Jesus als der Geliebte der Großen
Göttin oder als Sophia Gottes bezeichnet wird in Erinnerung an altorientalische
Weisheitsgöttinnen); die Bedeutung solcher Mythologien
für die „Wissenschaftsgestalt" Feministischer Theologie; die
Vermittlung der feministischen Anliegen in die etablierten Kirchen
(Gemeinden); spezifische Frauenerfahrungen und ihre aufbrechende,
transformierende Vermittclbarkeit in das Patriarchat usw. Der
Schlußsatz soll R. zukommen, um Brisanz, Relevanz und Kompetenz
dieser kritisch-theologischen Richtung Feministischer Theologie
(neben den konservativen „Feminisicrungsmodellen" und dem radikal
-nachchristlichen Ansatz, etwa von Mary Daly) zu zeigen: „Maria
blickte gen Himmel und fragte sich: ,Wo war der himmlische Vater,
als Jesus starb?'. . . Keine Engel erschienen, um ihn aus den Fluten zu
retten und auf den Berg Zion zu bringen, von wo aus er seine Feinde
richten und für ewig herrschen würde, wie vorausgesagt. Vielleicht
gibt es keine himmlischen Heerscharen, die aus den Wolken kommen
? Ist der Cherubcnthron verwaist? Vielleicht ist es gerade diese
Vorstellung von Gott, dem mächtigen König, der die Völker als seine
Diener regiert, die durch Jesu Tod am Kreuz ausgeräumt wurde ...
Ein neuer Gott ist in unserem Herzen geboren, der uns lehren wird,
Himmel und Erde einander näher zu bringen und eine neue Welt zu
schaffen, ohne Herren und Sklaven, ohne Herrscher und Beherrschte,
nicht einmal die Männer werden dort Vorrang haben, und Frauen
nicht in demütiger Unterwürfigkeit hintan stehen."

Darmstadt Uwe Gerber

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