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Ausgabe:

1986

Spalte:

849-850

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Titel/Untertitel:

Religionskritik in der Neuzeit 1986

Rezensent:

Petzoldt, Matthias

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auf die immensen Vorarbeiten hin, die hinter diesem höchst lesenswerten
, mutigen Versuch stehen.

Hanzcnberg Harald Hegcrmann

Weinrich. Michael [Hg.]: Religionskritik in der Neuzeit. Philosophische
, soziologische und psychologische Texte, hg. u. kommentiert
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985.
251 S. gr 8' = Reader Theologie. Basiswissen-Querschnitte-Perspektiven
. Kart. DM 28,-.

Es ist zu begrüßen, daß in der Reihe „Reader Theologie" (Hg. M.
Baumottc und S. Wehowsky) mit vorliegendem Band eine Textauswahl
zur neuzeitlichen Religionskritik (Rkr.) vorgelegt wird.
Mögen in der Zeit sog. Wiederkehr der Religion die alten wie die
neuen Argumente der Rkr. nicht vergessen werden! Der Reader führt
sie in einer exemplarischen Dokumentation vor Augen. Nicht unter
thematischen Aspekten, sondern unter dem jeweiligen Namen hat
Michael Weinrich. in seinen bisherigen Veröffentlichungen als
Kennerdicser Materie ausgewiesen, Auszüge aus oft mehreren Schriften
folgender Autoren zusammengestellt und sie in lockerer zeitlicher
Reihenfolge dargeboten:

Pico della Mirandola, Böhme, Herbert von Cherbury, Hobbes,
Spinoza. Locke. Toland. Hume, Mcslier. Diderot, Voltaire.
Rousseau. Helvetius, Holbach, Lessing, Goethe, Kant, Fichte, Heine,
Hegel. B. Bauer. Schopenhauer, Comtc, Feuerbach, Heß, Stirner.
Proudhon, Büchner. Marx', Engels, Most, Lenin, Nietzsche, Hack-
kel, Dürkheim. Weber, Wittgenstein, N. Hartmann. Pleßner, Freud,
Taubes. Reik. Schrocdcr. Reich. Carnap, Horkheimer, Bloch, Camus.
Sartre, Marcusc. Adorno, Fromm. Moser, Richter, Flew, Rüssel.
Szczesny. Jaspers, Bcnsc, Mitschcrlich, Albert, Löwith, Amcry.
Kolakowski.

Die psychologische Rkr. erscheint dem Rez. in dieser Autorenaus-
wahl etwas überrepräsentiert. Dagegen vermißt er P. Bayle,
D. Fr. Strauß. M. Heideggerund wenigstens einen Vertreter typischer
marxistischer Rkr. in den sozialistischen Staaten. Den frühen Stimmen
schenkt Hg. besondere Beachtung. Denn den Wandel im 17. Jh..
die Religion nicht mehr über ihren Wahrheitsanspruch, sondern über
ihre öffentliche Bedeutung zu verstehen, d. h. sie nicht mehr inhaltlich
konfessionell, sondern in erster Linie rechtlich, formal zu definieren,
deutet er als den gravierendsten Bruch des neuzeitlichen Bewußtseins
mit der Tradition; „alle späteren Veränderungen und Zuspitzungen in
der Religionskritik lassen sich als Variationen und konsequente Fortführung
dieses Schlüssclercignisscs beschreiben" (10).

Auch bei der Auswahl der jeweiligen Textabschnitte werden verständlicherweise
die Meinungen auseinandergehen. So' möchte Rez.
im Hinblick auf eine spätere Neuauflage zu bedenken geben. Hegels
Unterscheidung zwischen Philosophie und Religion nach dem Formprinzip
Begriff/Vorstellung, welches die Rkr. der Linkshegelianer
maßgeblich motiviert hat. kurz zu dokumentieren.2 Im ganzen ist
es Hg. in überzeugender Weise gelungen, aus dem vielstimmigen Chor
externer wie immanenter Rkr. klassische und aktuelle, typische und
originelle Beiträge auf dichtgedrängtem Raum zu Wort kommen zu
lassen.

Bei jedem Autor bringt Hg. eine kurze, oft recht aussagekräftige
Einführung, welche die abgedruckten Texte im Zusammenhang der
Rkr. und des Gesamtwerkes des Denkers kommentiert und Hinweise
zum Forschungsstand einschließt. Mit seinem eigenen Urteil hält er
dabei nicht zurück. Aulfallcnd umfangreich lallt der Kommentar zur
Fcucrbachschen Rkr. aus (9llj. Sosehr dieser, von neuen Untersuchungen
geleitet, um eine abgewogene Darstellung bemüht ist,
kommen doch nach Meinung des Rez. die Folgen der Hinwendung
zur Natur um 1845 Für Feuerbachs Rkr. und Anthropologie nicht
sachgerecht in den Blick, auch nicht in derTcxtauswahl.' Die Charakterisierung
„konsequent anthropologische Theologie" (92. vgl. II)
sollte auf die mittlere Schaffensperiode beschränkt bleiben. Diese ist.
was unberücksichtigt bleibt, von einer christologiekritischen Konzen-

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tration seines Denkens gekennzeichnet und von 1841/42 an mit ausführlichen
Lutherstudien untermauert. Mit einem Abdruck z. B. der
Anfängsparagraphen aus „Grundsätze der Philosophie der Zukunft"
ließe sich dieser Problemkomplex in groben Umrissen sichtbar
machen.

Eine kurze (nicht druckfehlerfreie) „Einführung" (9-12) mit einer
Skizze des Hg. zu Verlauf und Problematik der neuzeitlichen Rkr. sowie
mit Hinweisen zum Aufbau und zur Handhabe der Textsammlung
eröffnet den Reader. Und ein knapper, informativer Überblick
über „Weiterführende Literatur"4 sowie ein Quellennachweis schließen
den Band ab. Leider fehlt ein Personenregister. Hier hätten
auch jene Rcligionskritiker Erwähnung gefunden, die nicht selber mit
Textauszügen das Wort ergreifen, aber in den Kommentaren des Hg.
tangiert werden. So wären die Aussagekral) wie auch die außerordentlich
handliche und für den Leser übersichtliche Form dieser wertvollen
Quellcnsammlung noch deutlicher hervorgetreten.

Dieser Band zur philosophischen, soziologischen und psychologischen
Rkr. weckt Erwartungen auf den angekündigten Reader zur
„Theologie als Theologiekritik"

Leipzig Matthias Petzoldt

' Beim ersten Textauszug muß es S. 110 richtig heißen: „Zur Kritik der
Hcgelschcn Rechtsphilosophie. Einlt ilung".

2 Etwa aus „Vorlesungen über die Philosophie der Religion". |/| (Hg.
Lasson. Hamburg 1966). S. 295-298' oder in deren neuester Edition durch
W. Jacschke in: G. W. F. Hegel, Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und
Manuskripte, Hamburg 198.1/1984. Bd. 3. S. 234-216 u. Bd. 5. S. 174-176.
Die im Reader benutzte Suhrkamp-Edition (1969) ist freilich an dieser Stelle
unzureichend.

Auszüge aus den ersten Paragraphen von „Das Wesen der Religion" (1846)
und aus dem Kap. „Der theogonische Wunsch" aus „Thcogonic" (1857) dürften
den jeweiligen Entwicklungsstand in Feuerbachs Rcligionskritik treffender
widerspiegeln.

4 Ungenannt geblieben ist hier H. Lcy. Geschichte der Aulklärung und des
Atheismus, bisher: Bde. 1-4/2. Berlin 1966-1984.

Bayer. Oswald: Vernunftsautorität und Bibelkritik in der Kontroverse
zwischen Johann Georg Hamann und Immanuel Kant (NZ.STh 28. 1986.
179-197)

Bnllnow, Otto Friedrich: Philosophische Anthropologie (Univ. 41, 1986,
846-855)

Fischer. Norbert: Vom Nutzen der Metaphysikkritik. Kants Stellungnahme
zu den „Einwürfen wider Sittlichkeit und Religion" (TThZ 95.1986. 13-27).

Gloy. Karen, u. Enno Rudolph [Hg.fEinhcit als Grundfrage der Philosophie.
Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgescllschaft 1985. XV. 395 S. 8". Lw.
DM 109,-.

Höhn. Hans-Joachim: Religion und funktionale Systemtheorie. Zur theologischen
Auseinandersetzung mit der Religionstheoric Niklas Luhmanns
(ThGL 76. 1986.38-69).

Kremer. Klaus: Mensch und Natur - philosophisch-theologische Überlegungen
zum Problem und zur Diskussion (TThZ 94. 1985.257-279).

Lodcwyckx, H.: „Philosophie Africaine". Origines et Perspectives (Bijdr. 47,
1986. 141-169).

Vtayr, Franz K.: Philosophische Hermeneutik und deutsche Sprache
(TFil 48.1986.2.37-279).

Rudolph. Enno: Einheit und Differenz. Anmerkungen zu Augustins Zeitauf-
fassung im XI. Buch der .Confessiones' (In: Einheit als Grundfrage der
Philosophie, hg. von K. Gloy u. E. Rudolph, S. 102-119).

Runggaldicr. Edmund: Metaphysische Ansätze in der analytischen Philosophie
(ZKTIt 108.1986, 119-134).

Sala. Giovanni B.: Kants antithetisches Problem und Lonergans rationale
Auffassung von der Wirklichkeit (Gr. 67,1986,471-516).

Stein. Edith: Endliches und ewiges Sein. Versuch eines Aufstiegs zum Sinn
des Seins. 3. Aufl. Freiburg-Basel-Wicn: Herder 1986. XVI. 497 S. gr. 8' =
Edith Steins Werke. 2. Lw. DM 68.-.
(s. Bespr. d. I. Aull. ThLZ 78, 1953. 309).

YVyllcr, Egil A.: Die Offenbarung des Johannes in henologischer Sicht. Ein
Strukturvcrglcich mit Piatons „Parmenides" (In: Einheit als Grundfrage der
Philosophie, hg. von K. Gloy u. E. Rudolph, S. 46-72).

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 11