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Ausgabe:

1986

Spalte:

836

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Spener, Philipp Jakob

Titel/Untertitel:

Der Klagen über das verdorbene Christentum Mißbrauch und rechter Gebrauch 1685. Natur und Gnade 1687 1986

Rezensent:

Petzoldt, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 11

836

mühen der Bekenntniskreise um biblisch gewonnene zeitkritische
Orientierung im „Dritten Reich". Territorialkirchliche Spezifika
werden vorwiegend aus der eigenen Landeskirche geboten, beleuchten
vom bekenntniskirchlichen Erfahrungshorizont die Entscheidungen
jener Jahre. Für die hier nur ganz sparsam angedeutete Entwicklung
im nassau-hessischen Bereich konnte bis 1935 auch die Dokumentation
zum Kirchenkampf in Hessen und Nassau herangezogen werden,
deren Bände 1 bis 4 im Verlag der Hessischen Kirchengeschichtlichen
Vereinigung in Darmstadt 1974, 1979, 1981 und 1983 erschienen
sind.

Im fehlenden oder unzulänglichen Eintreten für die Juden sieht H.
eines der großen Defizite des Kirchenkampfes (259), obschon er
Restriktionen und Risiken, denen Eingabenpraxis und vor allem Einzelproteste
ausgesetzt waren, nicht verkennt. Auf die Neigung der Bekennenden
Kirche, den Kirchenkampf von politischen Zielstellungen
freizuhalten, wird hingewiesen, zugleich aber auch aufgezeigt, wie
selbst der unpolitisch formulierte Text der Barmer Theologischen Erklärung
im NS-Weltanschauungsstaat den Charaktereines Politikums
annehmen mußte (130, 249). Für die Kirchenausschußzeit
(1935-1937) ist bemerkenswert, daß sich Kerrls Entscheidungen für
Nassau-Hessen so auswirkten, daß der Landesbruderrat sich positiv
dazu äußerte (143). Doch stellte sich das Problem, ob die Bekenntnisentscheidungen
von Barmen und Dahlem damit vereinbar waren
(153): „War Erhaltung oder Gefährdung der Volkskirche entscheidender
Maßstab...?" Das Problem der „Frontverbreiterung" (181)-
geradein Nassau-Hessen mit dem dortigen „Einigungswerk" 1938/39
zwischen dem früheren Bruderratsvorsitzenden Pfarrer Veidt, dem
entmachteten DC-Landesbischof Lic. Dr. Dietrich und OKR
Dr. Müller als Führer der „Mitte" von der großen Mehrzahl der Pfarrer
(782 von ca. 900) begrüßt - wird erörtert und als faktische Notwendigkeit
erkannt, wenngleich die Sorge um Erweichung bekenntnissynodaler
Entscheidungen letztlich eine positive Beurteilung verwehrt
. Daß die „neutral gebliebene Mehrheit" (293) durch die
konfliktgeladenen Entwicklungen des „Dritten Reiches" auf religionspolitischem
Gebiet nicht nur durch Ernüchterung und innere
Distanzierung vom NS-Rcgime, sondern auch durch eine im zweiten
Weltkrieg unverkennbare volkskirchlichc Stabilisierungstendenz im
evangelischen Kirchentum systemstörende Funktionen auslösen half,
tritt hier etwas zurück. Bei aller Bevorzugung der bekenntniskirchlichen
Sichtweise in den „zerstörten Landeskirchen", unter denen
sich neben der altpreußischen Unionskirche auch Nassau-Hessen
befand, werden Refugiumcharakter der „intakten Landeskirchen" für
Prüfung und Ordination der BK-Jungtheologen anderer Kirchen wie
auch die Proteste des württembergischen Landesbischofs Wurm in
ihrer geschichtlichen Bedeutsamkeit gewürdigt.

Im Blick auf die Rezipierung von Kirchenkampferfahrungen wehrt
sich der Autor mit Recht gegen eine unreflektierte Übertragung von
Klischees, die den gewandelten Situationsbezug nicht berücksichtigt.
Neigungen, kirchliche Konfliktphänomene der Nachkriegszeit und
Gegenwart als „zweiten Kirchenkampf' anzusehen, gelten als abwegig
. Die Berücksichtigung der Situation wird als Beurteilungs-
kritcrium ernstgenommen. Im Sinne des Darmstädter Bruderratsworts
von 1947 bejaht der Autor die Forderung nach gesellschaftlicher
Neuordnung: Verdächtigung entsprechender Anliegen als
„neue Politisierung, eine DC-Theologie mit umgekehrtem Vorzeichen
" (294) wird zurückgewiesen. Antirassismus und Kampf gegen
Massenvernichtungsmittel gelten ihm heute als Entscheidungsfragen
, die der Christenheit ungesucht zuwachsen. Eine neue Einstellung
zum Judentum, Bekämpfung des christlichen Antijudaismus wie die
Aufarbeitung von Bonhocffcrs Vermächtnis sind ihm wichtige kirchliche
Aufgaben (s. Vorträge im Anhang).

Auch abgesehen von dieser Aktualisierungstendcnz erweist sich der
geschichtliche Durchblick durch das Kirchenkampfgcschehen als ausgesprochen
instruktiv.

Leipzig Kurt Meier

Spener, Philipp Jakob: Der Klagen über das verdorbene Christentum
Mißbrauch und rechter Gebrauch 1685. Natur und Gnade 1687.

Eingeleitet von D. Blaufuß u. E. Beyreuther. Hildesheim-Zürich-
New York: Olms 1984. 886 S. 8* = Philipp Jakob Spener Schriften,
IV. Ldr. DM 188,-.

Speners Schriften erscheinen in einer Reprintausgabe. Das bringt
Vorteile und Nachteile zugleich. Die Nachteile werden versuchsweise
ausgeglichen durch eine kritische Einleitung, in der „die nötigen
bibliographischen Recherchen und Bibliotheksnachweisc dokumentiert
sowie Forschungsergebnisse zum literarischen Zusammenhang
und zum Hintergrund persönlicher Beziehungen vorgelegt" werden
(9). Dieser Aufgabe hat sich Dietrich Blaufuß unterzogen. Erich
Beyreuther setzt die Einleitung durch Überlegungen fort, die die
Schriften charakterisieren und ihre theologische und persönliche Bedeutung
herauszustellen helfen. Das ist für die Zeit von 1686 bis 1691
besonders wichtig und reizvoll. Freilich bleibt alles sehr stark auf die
Fragen des Pietismus speziell ausgerichtet, was bis in das Personenregistersichtbar
ist (882 f). Spener hat aber nicht nur für den Pietismus
Bedeutung gehabt. Die Interesscnlage der Forschungen zur späten
altprotestantischen Orthodoxie erhält ihre Hilfe nur durch das Faktum
der Bereitstellung der Texte. Dem Band liegt ein „Chronologisches
Verzeichnis" über die in den bereits vorliegenden Bänden abgedruckten
Schriften bei.

M.P.

Geißer. Hans Friedrich: Glück und Unglück eines Theologen mit seiner
Kirche - am Beispiel der beiden Tübinger Johann Adam Möhler und David
FriedrichStrauß(ZThK 83, 1986,85-110).

Graf, Friedrich Wilhelm: Kulturprotcstantismus wieder aktuell. Die alten
theologischen Urteile müssen revidiert werden (LM 25. 1986.309-312).

Meckel. Martin: Zum Status der Ev.-thcol. Fakultäten in der Bundesrepublik
(ZEvKR .31, 1986,27-71).

Herntrich. Hans-Volker: Moby Dick und der Elefant. Als Barth und Bultmann
sich Briefe schrieben (LM 25,1986.207-209).

Stupperich, Robert: August Hermann Francke im Streit um die von
Canstcinschen Güter im Kölnischen Westfalen (JWKG 78, 1985.103-115).

Tsacher, Ephram: Das Ringen der Bcuroncr Gründer um ihre Berufung. Die
Brüder Wolter im Spiegel der Briefe von Joseph Hubert Reinkens (EuA 62,
1986.171-189).

Zimmermann. Erich: Karl Minnigerode (1814-1894): ein Lebensbild: Revolutionär
- Freund Büchners - Geistlicher in Richmond (USA) (JHKGV 36.
1985.81-93).

Territorialkirchengeschichte

Ruhbach. Gerhard, u. Kurt Schmidt-Clausen [Hg.]: Kloster Ame-
lungsborn 1135-1985. Hannover: Kloster Amelungsborn 1985.
250 S„ 6 Taf.8

Der jetzige Abt des Klosters Amelungsborn, der Osnabrücker
Landessuperintendent Kurt Schmidt-Clausen, beendet seine Einleitung
mit dem Wunsch, der Band möge dazu beitragen, „den Sinn
christlichen Lebens in Gemeinschaft .. . neu zu erkennen, so daß die
Christenheit auch in der Zukunft sich des Dienstes der Klöster, der
Schwestern- und Bruderschaften wie der Kommunitäten erfreuen
kann" (7). Auf diesen Grundton ist der vorgelegte Band abgestimmt.

Teil I „Das evangelisch-lutherische Kloster Amelungsborn in
Geschichte und Gegenwart" beginnt mit einem Überblick von Christ-
hard Mahrcnholz. dem 1980 verstorbenen Klosterabt: „Das Kloster
Amelungsborn im Spiegel der niedersächsischen Klostergeschichte".
Diese 1964 im Jahrbuch lür niedersächsische Kirchengeschichte erschienene
Arbeit läßt die Stimmung jener Zeit erkennen: „Wir halten
an der uns gesetzten, sicherlich schweren, aber schönen Aufgabe
fest... Sie ist zugleich auch eine Bewährungsprobe lür die Wiederbelebung
und den neuen Einsatz klösterlicher Strukturen in der
lutherischen Kirche der Jetztzeit. Möge das begonnene Werk sich