Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1986

Spalte:

822-825

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bruce, Frederick F.

Titel/Untertitel:

1 & 2 Thessalonians 1986

Rezensent:

Holtz, Traugott

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

821

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 1 1

822

Gnosis, das Perlenlied der Thomasakten; es werden die Metamorphosen
des Apuleius und Nag-Hammadi-Tcxte zitiert - übrigens
alles zu seiner Zeit und in vernünftiger Dosierung. Vor allem aber sagt
L. stets frei heraus, was Sache ist und wie er die Sache sieht. Und das
ist wohl ein Punkt, wo ihm der Dank des eigentlichen Lesers und des
Kollegen, der versucht, diesem Leser über die Schulter zu sehen,
gleichermaßen gewiß ist.

In diesem Falle ist es eben ein Genuß, mit der exegetischen Auffassung
eines Kollegen einmal so ganz direkt, ohne wenn und aber,
konfrontiert zu werden, zumal ja die Gelehrsamkeit der gelehrten
Kommentare gar nicht nur zur Erhellung des Textsinnes, sondern oft
auch zur Verhüllung der Meinung des Exegctcn dient, oder wenigstens
in dieser Richtung wirkt. Und der Genuß ist ein doppelter; er ist vorhanden
in der Aufnahme des Süßen wie des Bitteren. Zum einen ist es
eben interessant zu sehen, aufweiche Weise der Kollege ein gemeinsames
Grundanliegen konkret zur Sprache bringt, zum anderen wird
einem Geläufiges und vermeintlich Klares auf hilfreiche Weise wieder
fremd. Natürlich hängt das auch davon ab. welche exegetische
Position es ist. die der Vf. hier so frank und frei verlritt und die also als
Nächstes zu skizzieren ist.

L. teilt, wie er sagt, mit der „Mehrzahl der Forscher" (S. II) die
Auffassung, daß der Kol deuteropauliniseh sei (aber auf das wirkliche
Zählen der Häupter sollte man sich vielleicht doch lieber nicht verlassen
), und macht diese Erkenntnis für die Exegese auch fruchtbar.
M. a. W'„ er handelt glücklicherweise nicht wie viele aus der „Mehrzahl
", die zwar dieselbe Überzeugung haben, aber beim Kommentieren
doch alles (wieder) offenlassen, in der Schwebe halten oder gar
zweigleisig fahren. Es ist nun einmal L.s Überzeugung, daß der theologische
Wert einer Schrift nicht von der Richtigkeit ihrer Verfasserangabc
abhängt, und er besitzt den Mut und die Fähigkeit, diese
Überzeugung praktisch umzusetzen, mitzuteilen und durch Anwendung
als richtig zu erweisen. Wenn ich es persönlich sagen darf, so ist
nur das Maß. in dem der Autor des Kol paulinisch denkt, noch nie so
deutlich geworden wie in L.s deuteropaulinischer Interpretation.

Die in diesem Zusammenhang dem Vf. eigentümlichste Einzelheit
ist seine Auffassung von der wirklichen Adresse des Kol, womit
wiederum eine gewisse Näherbestimmung des wirklichen Briefschreibers
zusammenhängt. Für L. ist Kol der älteste deuteropau-
linische Brief und als solcher noch wirklich in konkreter Situation an
eine bestimmte Einzelgemeinde gerichtet. Das sei aber nicht die
Gemeinde des wahrscheinlich schon nicht mehr existenten Kolossae
gewesen, sondern die des benachbarten Laodicea. Diese eigentliche
Adresse verrate sich in der mehrfachen Nennung dieser Stadt im Kol.
Und sehr wahrscheinlich stamme der Schreiber von Kol selbst aus ihr
(vgl. S. 86). Diese Laodicea-Hypothese ist übrigens von L. erst jüngst
entwickelt worden, und zwar in seinem Aufsatz, auf den er im Literaturverzeichnis
(S. 90) ausdrücklich verweist: Die Gemeinde von
„Kolossä" - Erwägungen zum „Sitz im Leben" eines pseudopau-
linischcn Briefes, in: Wort und Dienst - Jahrbuch der Kirchlichen
Hochschule Bethel, Neue Folge. 16, 1981, S. 11 I -134. Diese These
durchzieht den ganzen Kommentar und bestimmt ihn nicht unerheblich
. Auch wird die angenommene komplizierte Situation dessen, der
da in Laodicea einen Brief entwirft, den der inzwischen zum Märtyrer
gewordene Paulus vor ca. Fünfzehn Jahren nach Kolossae geschrieben
habe, damit dessen Lektüre in Laodicea den gegenwärtigen Konflikt
bereinige, von L. wirklich durchrcllcktiert. M. E. ist die Hypothese in
der Tat erwägenswert. Wenn allgemeinere Gesichtspunkte, die auch
in eine andere Richtung weisen könnten, hier einmal ausgeklammert
werden dürfen, so stört eigentlich nur in 4.16 die Wendung „und daß
auch ihr den aus Laodicea lest", die. weil es den Brief ja gar nicht gibt,
der Vf. von Kol dann doch lieber hätte weglassen sollen.

Die Sieht der im Kol bekämpften Gegner ist dagegen die in der
kritischen Forschung übliche, allerdings mit der einen Besonderheit,
daß sie zur angenommenen bestimmten Adresse wirklich paßt: „Die
.kolossischc Philosophie" war im klcinasiatischcn Spannungsl'cld von
Christentum, Judentum. Gnosis und Mystericnreligioncn offenbar

eine religiöse Bewegung eigener An" (S. 84). Bei der Beurteilung
dieser Gegner scheinen sich historische und theologisch-dogmatische
Aspekte ein wenig zu überlagern, wobei der theologische Aspekt
jedoch vorherrscht. Einerseits kann nämlich gesagt werden, daß die
im Kol bekämpften Christen in ihrem Denken vielfach gar nicht so
weit von dem des Vf. entfernt waren (vgl. S. 86); aber, was betont wird,
ist. daß sie eben religiöse Leistung forderten und damit eine unüberbrückbare
Kluft zwischen sich und der paulinischen Tradition hätten
entstehen lassen.

Die formgeschichtliche Methode hat im Kommentar von L. keinen
besonderen Akzent. Fest vorgeformtes liturgisches Traditionsgut wird
z. B. nur in dem Hymnus 1.15-20 gesehen.

Berlin Hans-Marlin Schenke

Bruce. F. F.: I & 2 Thcssalonians. Waco. Texas: Word Books 1982.
XLVII. 228 S. gr. 8" = Word Biblical Commcntary. 45. geb.
$22.95.

O'Brien, Peter T.: Colossians, Philcmon. Waco. Texas: Word Books

1982. LIV, 328 S. gr. 8- = Word Biblical Commentary. 44. geb.
$22.95.

Hawthornc, Gerald F.: Philippians. Waco. Texas: Word Books 1983.

LH, 232 S. gr. 8' = Word Biblical Commentary, 43. geb. $ 18.95.
Bauckham. Richard J.: Jude, 2 Peler. Waco, Texas: Word Books

1983. XIX. .357 S. gr. 8" = Word Biblical Commentary. 50. geb.
$ 19.95.

Smalley, Stephen S.: 1, 2, 3 John. Waco. Texas: Word Books 1984.
XXXIV. 386 S. gr. 8° = Word Biblical Commentary, 51. geb.
$ 19.95.

Die neue Reihe, die der rührige Verlag 1977 zusammen mit den
Herausgebern ins Leben rief, verspricht eine Bereicherung der
Kommcntarlandschart zu werden. Bislang liegen von Beiträgen zum
Neuen Testament. Für die Ralph P. Martin als Hg. verantwortlich ist.
Fünf Bände zur Besprechung vor, alle zur Briefliteratur: das ist ein
gutes Ergebnis, man wünscht dem Unternehmen einen ähnlich
zügigen Fortgang.

In dem Vorwort der Hgg. wird der gemeinsame allgemeine Horizont
der Mitarbeiter als ein solcher bezeichnet, der im rechten Sinne
"evangelical" genannt werden kann. Das ist im Sinne von konservativ
-kritisch zu verstehen. Dem entsprechen etwa die grundsätzlichen
Entscheidungen zu den Einlcitungsfragen in den vorliegenden
Bänden: 2Thcss ist „echt" (Bruce), ebenso Kol (O'Brien): Phil ist ein
einheitlicher Brief, auch hinsichtlich seiner Abfassungssituation
(Hawthornc); Jud stammt tatsächlich von dem Herrenbruder Judas.
2Pctr hingegen ist Pseudonym, aber aus dem römischen Kreis der
Petrus-Schüler und Nachfolger (Bauckham); l-3Joh haben den
gleichen Verfasser, der in der Nachfolge der Jünger steht, die der
Lieblingsjünger Johannes um sich scharte und auf die das JohEv. zurückgeht
(Smalley). In aller Regel werden diese Entscheidungen
gründlich diskutiert und anderen Möglichkeiten gegenüber kritisch
verteidigt. Da die Autoren sämtlich aus dem angelsächsischen Bereich
stammen, sind sie nicht durch bestimmte, uns besonders vertraute
Lösungen der Einleitungsfragen vorgeprägt.

Die Kommentare sind ziemlich streng gleichförmig aufgebaut. Unterschiedlich
ist allerdings die Behandlung der allgemeinen Bibliographie
gestaltet. Teils bietet die Einleitung eine umfassende, gegliederte
Bibliographie (so Bruce zu I -2Thess), teils erscheint am Anfang
sämtliche Literatur undifferenziert zusammengestellt (so Smalley zu
l-3Joh), teils beginnt die Einleitung mit den Kommentaren und
nennt dann zu jedem Einzelabschnitt die hergehörenden Titel (so
Hawthornc zu Phil), teils findet sich, wiederum in differenzierter Art,
erst am Ende des Kommentars die große Bibliographie (so O'Brien zu
Kol. Phlm und Bauckham zu Jud. 2Pctr). Im ganzen sind die vielfaltigen
und differenzierten bibliographischen Angaben aller Bände hilfreich
und zeigen den weiten Überblick, den die Kommentarreihe
dem Leser anbietet. Die Erörterungen der Kommentatoren gehen