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Ausgabe:

1986

Spalte:

820-822

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lindemann, Andreas

Titel/Untertitel:

Der Kolosserbrief 1986

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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konfrontiert werden, und er müßte die theologische Leistung des
Evangelisten auch auf dem Hintergrund der Christologie seiner Vorstufen
(bes. der Passionsgeschichte) darstellen. Literarkritik im Sinne
der Strukturanalyse treibt K. auch nicht. Dann müßte er sich eingehender
mit der Gliederung des Markusevangeliums befassen und im
Sinne der altphilologischen Literarkritik die literarischen Mittel der
markinischen Christologie im Vergleich mit anderen literarischen
Gattungen untersuchen, wie es z.B. F. G. Lang oder B. Standaert
(L'evangile selon Marc, 1978, Rez. ThLZ 106, 1981. 256-257) im
Vergleich mit dem Drama getan haben (vgl. auch den Sammelband
Markus-Philologie, Tübingen 1984, den H. Cancik herausgegeben hat
und den K. noch nicht kennen konnte). Und doch macht K. fast
nebenbei auf ein bedeutendes literarisches Mittel der markinischen
Christologie aufmerksam, ohne es näher auszuwerten: auf das Suchen
der Identität des ..Helden" mit dem Anagnorismus am Ende (S. 150).
- Inhaltlich ist die Untersuchung bruchstückhart, weil dort die Überlegung
zu dem Problem fehlt, wie sich nach Markus die Geschichte
des irdischen Jesus zu der Auferstehungsbotschaft verhält. Auch hier
bildet einen guten Ansatz die Behauptung von K., daß das ganze Markusevangelium
als Buch den „Anfang des Evangeliums" (Mk I, I) als
der Botschaft bildet (S. 69). Der Entwurf der markinischen Christologie
, den uns K. anbietet, ist also so gut, wie er bei seinem fragmentarischen
Charakter gut sein kann, aber er bleibt eben, an dem Titel
des Buches gemessen, doch unvollständig.

Prag Petr Pokorny

Smith. D. Moody: Johannine Christianity. Essays on its Setting,
Sources, and Theology. Columbia, SC: University of South Carolina
Press 1984. XIX, 233 S.gr. 8°. Lw. $ 17.95.

Nachdem D. M. Smith - Professor für NT an der Theologischen
Fakultät der Duke University - 1965 seine Dissertation über "The
Composition and Order of the Fourth Gospel" (vgl. ThLZ 91, 1966,
508-510) veröffentlicht hat, legt er in diesem Band zehn Aufsätze zum
Johannesevangelium vor, die in den Jahren 1964 bis 1982 entstanden
sind.

In dem ersten Aufsatz - dessen Titel dem Buch seinen Namen gab -
werden vor allem das Verhältnis des Johanncsevangeliums zu den
Johannesbriefen sowie die Beziehung des Corpus Johanneum zu den
anderen Schriften des Neuen Testaments erörtert. Die nächsten drei
Aufsätze beschäftigen sich mit den Quellen des 4. Evangeliums, vier
weitere mit dem Verhältnis des Johannesevangeliums zu den Synoptikern
. Die beiden letzten Aufsätze widmen sich zwei Themen der
johanneischen Theologie ("The Presentation of Jesus in the Fourth
Gospel" und "Theology and Ministry in John"). Für die Zusammenstellung
dieser Aufsätze gibt Vf. folgende Begründung: "It is impor-
tant to know as much as possible about a document's milieu, and thus
about what its author would have likely taken for granted, of onc is to
understand it historically" (XIII). So gesehen aber gehören für Smith
die Fragen nach den Quellen, der Komposition und der Theologie des
4. Evangeliums zusammen, um das - aus der Auseinandersetzung mit
dem Judentum entstandene - johanncische Christentum als eine
selbständige Größe innerhalb des Urchristentums begreifen zu
können.

So wenig Vf. damit etwas Neues ausspricht, so sehr gilt von dessen
Aufsätzen insgesamt: Smith' erklärte Absicht ist nicht, die Johannesforschung
durch neue Erkenntnisse zu bereichern, als vielmehr Reflexionen
über die neuere Johannesforschung anzustellen. Diese
zeichnen sich - neben forschungsgeschichtlichen Erörterungen -
durch zahlreiche Auseinandersetzungen mit Autoren (allem voran
mit B. W. Bacon. F. Neirynck und Mgr. de Solages) aus, die Smith'
Anschauungen nicht teilen. Bei all dem verhehlt Vf. nicht, daß er
einen Umdenkungsprozeß durchgemacht hat. Vertrat er in seiner Dissertation
noch eine skeptische Haltung gegenüber Bullmanns Annahme
einer Semeia-Quclle, so hat er diese unter dem Einfluß von
R. Fortna aufgegeben.

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Im einzelnen finden sich in Smith' Aufsatzsammlung folgende
Grundaussagen: Der Verfasser des 4. Evangeliums (Repräsentant des
johanneischen Christentums) vertritt eine Gruppe von Christen, die -
aufgrund ihres Bekenntnisses zu Jesus als Messias - den Ausschluß
aus der Synagoge hinter sich haben. Von hier aus erklärt sich, daß die
Christologie des Johannesevangeliums polemische Züge hat. Ein Einfluß
der Gnosis oder qumranischen Denkens auf das 4. Evangelium ist
wenig wahrscheinlich. Dagegen wehrt dieses den Doketismus ab. Mag
Johannes auch das eine oder andere der synoptischen Evangelien
gekannt haben, so ist dessen Werk von den Synoptikern doch völlig
unabhängig. Das schließt nicht aus, daß es - wie die Täuferüberlieferung
(1,19ff) zeigt - mitunter die synoptische Tradition voraussetzt.
Dagegen basiert das Johanncsevangelium auf einer (schriftlichen)
Semeia-Quelle und einer (ebenfalls schriftlichen) Passionsquelle.
Erstere war ursprünglich eine - auf jüdischem Boden entstandene -
Missionsschrift, die an die Täuferanhänger gerichtet war, um sie
davon zu überzeugen: "Jesus, not John, was the miracle-working
prophet-messiah" (77). Der Jesus des 4. Evangeliums ist ebenso der
Jude aus Galiläa wie der Herr seiner Kirche. Wie das johanneische
Christentum letzteren durch den Geist erfahrt, so weiß es sich zu
ersterem in historischer Kontinuität. Das „Wir" des Prologs von
Evangelium und 1. Brief ist das „Wir" des johanneischen Christentums
. Dieses zeigt zudem: Beide Schriften stammen von demselben
Verfasser. Nur die Johannesapokalypse hat einen anderen Autor.

Durch die ursprüngliche Veröffentlichung von Smith' Aufsätzen an
unterschiedlichen Orten zeichnen sich diese - gesammelt - durch fortwährende
Wiederholungen aus. Dadurch wirkt die Lektüre dieses sehr
gut ausgestatteten Bandes, der sich durch eine wohltuend klare
Diktion seines Vf. auszeichnet, leider sehr ermüdend.

Leipzig Werner Vogler

Lindemann, Andreas: Der Kolosserbrief. Zürich: Theologischer
Verlag 1983. 95 S. gr. 8' = Zürcher ßibelkommentare: Neues
Testament, 10. Kart, sfr 18.-.

Ein Kommentar wie dieser, von einem Fachmann für ein größeres
Publikum geschrieben, muß in einer doppelten Perspektive gesehen
und gewürdigt werden. Der Rez. darf sich nicht auf eine füchwissen-
schaftlichc Einschätzung beschränken, sondern wird auch zu versuchen
haben, das Werk mit den Augen derer zu lesen, für die es in
erster Linie geschrieben wurde. Daß mir das Buch gelallt und ich es
mit Lust und Spannung gelesen habe, sei also zunächst einmal um der
anderen Perspektive willen zurückgestellt.

Ich glaube durchaus, daß die im Buch eigentlich angesprochene
Leserschaft hierein ganz vorzügliches Erkenntnis- und Arbeitsmittel
in die Hand bekommt. Es ist schon erstaunlich, wieviel exegetische
Problematik, Einsicht und Information der Vf. über ein sprachliches
Medium zu vermitteln vermag, in dem die Bezugnahme auf den
griechischen Text und die namentliche Nennung der Vertreter bestimmter
exegetischer Positionen offenbar tabu sind. Und das alles
geht auf ganz natürliche Weise vorsieh, also ohne jede Schulmeisterei.
Vor dem mündigen Leser wird nicht verborgen gehalten, daß die
Exegese abhängig ist von dem Fortschritt der Forschung, daß es in
bestimmten Fragen Meinungsverschiedenheiten unter den Exegeten
gibt, daß sich nicht alles, was geschrieben steht, ohne weiteres und
sicher erklären läßt, daß es schon in der Übersetzung des Textes ort
mehr als eine Möglichkeit gibt, ja daß der zu übersetzende Text selbst
kein absolut festes Fundament ist, weil er auf der Überlieferung von
Handschriften beruht, die nicht selten voneinander abweichen. Der
Leser erfährt durch den praktischen Vollzug der Exegese, daß die
Bibeltexte im Rahmen ihrer eigenen Umwelt verstanden werden
müssen, also wie sinnvoll und notwendig das Arbeiten mit religionsgeschichtlichen
Parallelen ist. Es wird z. R.jBczug genommen auf (und
der Leser erfährt etwas über) Philo, die Mysterienreligionen, die

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 11