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Ausgabe:

1986

Spalte:

59-61

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Felmy, Karl Christian

Titel/Untertitel:

Die Deutung der Göttlichen Liturgie in der russischen Theologie 1986

Rezensent:

Thümmel, Hans Georg

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. I

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Es sei noch auf den ausführlichen Anhangsteil hingewiesen. Die
Listen der byzantinischen Kaiser und Patriarchen sowie der Päpste
wurden aus renommierten Werken übernommen. Dagegen erweist
sich als eine wertvolle Bereicherung der von Andrzej Poppe (Warschau
) erarbeitete Anhang: „Die Metropoliten und Fürsten der
Kiever Rus'" (S. 280-322 mit Nachtrag S. 332-334). Hier wurde
anhand der slavischen und griechischen Primärquellen sowie der einschlägigen
Forschungsliteratur versucht, nicht nur die z. T. schwierige
Datierung zu präzisieren, sondern auch, soweit es die Quellen überhaupt
ermöglichen, Biographien der Betreffenden herauszuarhei-
ten.

Podskalsky sagt selbst, daß vieles der Ergänzung und Verbesserung
bedarf. Das Buch regt zum Mit- und Weiterdenken und manche
Schlußfolgerungen zur Auseinandersetzung an. Aber mit dem vorliegenden
Werk, das Ludolf Müller in seinem Geleitwort zutreffend als
eine .altrussische Patrologie' charakterisiert, ist ein wichtiges Handbuch
geschaffen worden, auf das die Kollegen aller Fachdisziplinen,
die sich mit der Kiever Rus' befassen, immer wieder nutzbringend
zurückgreifen werden.

Berlin Hans-Dieter Döpmann

Felmy, Karl Christian: Die Deutung der Göttlichen Liturgie in der
russischen Theologie. Wege und Wandlungen russischer Liturgie-
Auslegung. Berlin-New York: de Gruyter 1984. XIII, 507 S.,
löTaf. gr. 8' = Arbeiten zur Kirchcngeschichte, 54. Lw.
DM 136,-.

Besonders in der ostkirchlichen Tradition ist Liturgie häufig gedeutet
oder doch zumindest erklärt worden. Die Bedeutung, die einzelnen
liturgischen Akten zugelegt wurde, hat oft die begleitenden Texte,
aber auch Teile der Handlung geformt, so daß die Deutung auf die
Liturgie selbst zurückwirkte. Auch in der russischen Kirche gab es
Liturgie-Deutung. Der Verfasser hat den interessanten Versuch unternommen
, diese Deutungen im historischen Wandel darzustellen, was
ihm voll gelungen ist.

Liturgie-Erklärung ist in mehrfacher Weise geschehen. In der Zeit
vor den Reformen Nikons arbeitete russische Deutung vor allem mit
byzantinischem Material, wozu wohl auch die „Gregorios-Ausle-
gung" gehört. Doch erschien mit dem sog. .Erklärten Gottesdienst'
auch schon im 15. Jh. ein russisches Werk, das große Bedeutung
erlangen sollte. Bestimmend sind in dieser Periode symbolische Elemente
, die den Theophaniecharakter und die Verbindung mit den
himmlischen Mächten in der Liturgie herausstellen, aber auch in
realistischem Bilddenken das Opfer Christi interpretieren. Die
schmale literarische Basis erweitert der Vf., indem er Themen der
Ikonenmalerei, die die Liturgie zum Inhalt haben, heranzieht. Wohl
durchweg im 16. Jh. entstehen Kompositionen, die Handlungen und
Hymnen darstellen und dabei deuten („Eingeborener Sohn", Großer
Einzug, „Siehe, das ist Gottes Lamm" u. a. m.). Die hier ebenfalls
herangezogene viel ältere Darstellung der Apostelkommunion ist vielleicht
doch stärker davon abzusetzen. Eine neue Periode beginnt im
späteren 17. Jh. mit der vielszenigen Illustration der Liturgie in den
Fresken von Jaroslavl, wobei vor allem die Gregorios-Auslegung die
Vorlage abgibt. (Hier hätte sich unter dem Gesichtspunkt des Didaktischen
eine Brücke zum Folgenden schlagen lassen.)

Einen Neueinsatz bedeutet die von Patriarch Nikon veranlaßte und
1656 sanktionierte Kompilation „Skrizal'", deren Kern die (1574
erschienene) griechische Liturgie-Deutung des loannes Nathanael ist,
die wiederum vor allem auf Nikolaos Kabasilas fußt. Mit der
„Skrizal"' vollzog sich auch eine Verlagerung von einem Verständnis
der Liturgie als mystischer Einheit von Himmlischem und Irdischen
zu einer heilsgeschichtlich-rememorativen Deutung, bei der die einzelnen
Akte vieldeutig auf Ereignisse der Christus-Vita bezogen werden
. Übertrolfen wurde dieses Werk von der am Euchologion des
Dominikaners Goar (1647) orientierten Liturgie-Deutung des Feodo-

sij Safanovic (1667). Wohl wurden noch gegen Ende des Jahrhunderts
byzantinische Liturgie-Deutungen ins Russische übersetzt, doch
illustriert das Desinteresse in der Folgezeit am besten die 1746
erhobene Forderung der Zarin Elisabeth nach einer solchen Erklärung
, der erst das 1792 erschienene Werk des Gavriil Pctrov entsprach
. Mit ihm ist an die Stelle allegorischer Deutung die historischkritische
Erklärung getreten, ohne daß freilich die allegorischen Elemente
völlig'ausgeschaltet wären. Während die ältere Deutung stärker
an den Handlungen interessiert war, macht Gavriil die Texte zum
Inhalt erbaulicher Betrachtungen. Sein Werk bildet den Anfang einer
Fülle von Liturgie-Erklärungen. 1803 erschien die „Novaja Skrizal'"
des Venjamin Krasnoperkov, die bis ins 20. Jh. laufend neue Auflagen
erfuhr. Auch sie stützt sich wesentlich auf Goar, lenkt aber von der
historischen Erklärung wieder zur rememoraliven Deutung zurück,
die nun freilich konsequent die Parallelität von Christus-Vita und
Liturgie-Ablauf eindeutig durchzuhalten versucht. Der fast gleichzeitig
erschienene Liturgie-Kommentar des Ivan Dmitrevskij ist
wiederum einer historischen Deutung verpflichtet, die aber durch ihr
wissenschaftliches Niveau alles bisherige in den Schatten stellt. Aus
der Fülle der Liturgie-Deutungen des 19. Jh., die sich in den verschiedensten
literarischen Genera finden, bietet der Vf. nur eine Auswahl.
Allgemein kennzeichnend ist das Abrücken von der historischen
Erklärung und die Hinwendung zur erbaulichen Deutung, in der die
gefühlsbetonte, moralisierende Frömmigkeit des 19. Jh. voll zum
Zuge kommt. Die rememorative Deutung auf das Leben Jesu zeigt ein
starkes Schwanken in der Zuordnung. Durch strikte Eindeutigkeit
zeichnet sich Nikolaj Gogol's Deutung (1848) aus. loann von Kronstadt
betont im Unterschied zu seinen Zeitgenossen stark die Teilhabe
an der himmlischen Liturgie (Auszug 1894). Mit Aleksandr Katanskij
beginnt eine Welle historisch-kritischer Liturgie-Auslegung (1868),
die dem Aufschwung theologischer, vor allem kirchcnhistorischcr
Arbeit in engem Anschluß an Westliches in dieser Zeit entspricht.
Aleksandr Golubcov hat um die Jahrhundertwende die kritische
Dogmengeschichte voll in die Liturgiewissenschaft eingebracht und
Kritik am Opfer- und am Priesterbegriff im Sinne eines allgemeinen
Priestertums geübt. Beide sind nur Exponenten umfassender historischer
Arbeit, deren Ergebnisse nur zögernd in die Lehrprogramme
aufgenommen wurden, die aber in den Ruf nach Reformen mündeten,
die vor allem Ausdruck in der von loann von Kronstadt ausgelösten
Kommunionsbewegung fand.

Damit ist die Brücke geschlagen zur theologischen Liturgie-Erklärung
des 20. Jh., wie sie vor allem in Paris gepflegt worden ist, wobei
in starkem Maße Laientheologie und Religionsphilosophie beitrugen.
Ziel ist die liturgische Erneuerung von einer eucharistischen Ekklesio-
logie her, die kosmologisch und eschatologisch ausgeformt ist (Flo-
rovskij, Bulgakov, Afanas'ev, Evdokimov, Schmemann u. a.). Die
Untersuchung mündet in Reflexionen über die russische Liturgiedeutung
und den Dialog mit den Kirchen des Abendlandes. Hier wird
resümierend Grundsätzliches und Gültiges gesagt. Gegenüber östlichem
Selbstverständnis wird auf den starken Einfluß westlicher
Theologie spätestens seit dem 17. Jh. hingewiesen, die Unverändcr-
lichkeit der Orthodoxie in Frage gestellt und die ökumenische Bedeutung
orthodoxer Liturgiedeutung abgewogen. Von hier wird manches
verständlich, was zunächst nicht einsichtig ist. Es ist leicht zu erkennen
, daß in der Arbeit drei verschiedene Dinge unter den einen Begriff
„Liturgiedeutung" gebracht worden sind: die allegorische Deutung,
die historische. Erforschung und ein praxisbezogenes Theologisieren,
das zentrales Geschehen der Liturgie zum Ausgangspunkt nimmt. Die
Berechtigung zu solcher Zusammenfassung ist aus der historischen
Verzahnung der drei Gesichtspunkte genommen, aber vor allem aus
der am Schluß sichtbar werdenden ökumenischen Fragestellung. Von
hier aus wird auch deutlich, wo der Maßstab Für manches wertende
Urteil in der Arbeit zu suchen ist.

Expertengruppen haben Pionierfunktionen im ökumenischen Gespräch
. Orthodoxie-Begeisterung auf der einen Seite, westlicher Einfluß
auf der anderen erzeugt jedoch Positionen, die zwar innerhalb der