Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1986

Spalte:

812-813

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kaiser, Otto

Titel/Untertitel:

Der Mensch unter dem Schicksal 1986

Rezensent:

Sauer, Georg

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

811

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 11

812

Bild einer Friedensdemonstration beschreibt er das Grundanliegen
seines Buches: „So ermutigen die Propheten, Kritik an unserer
Gegenwart zu üben, ihre in die Zukunft reichenden Konsequenzen zu
benennen, aber zugleich unsere Gegenwart und unsere Zukunft Gott
in die Hände zu legen. Die Propheten wollen zu kritischem Denken
und Nonkonformismus, zu Hoffnungen und Vertrauen provozieren.
Sie wollen das bei allen Menschen grundlegende Gespür, Unheil
selbst verschulden und Heil stiften zu können, schärfen. Das läßt sie
zu .Rufern wider den Strom' werden" (S. 11). Ähnlich klingt es auch,
wenn St. unter der Überschrift „Wurzeln der Prophetie" die Plastik
„Der Hörende" von Toni Zenz abbildet, in dem Textteil die These
ausführt: „Eine prophetenlose Zeit wäre eine Un-zeit, in der das
Humanum verkümmert" und dem Jes 42,9b: „Ehe es wächst, lasse
ich euch es erlauschen" sowie ein Gedicht von Nelly Sachs: „Lange
haben wir das Lauschen verlernt!" an die Seite stellt (S. 12). In dieser
Weise wird engagiert und für jeden Leser anregend über die gesamte
Breite prophetischer Verkündigung informiert.

Das Sachbuch gliedert sich in 5 Teile. In den Teilen 1 bis III (Wurzeln
der Prophetie, Prophetische Religionen, Stilistische Besonderheiten
, S. 12-34) werden Herkunft und Grundlagen der Prophetie
verhandelt und das Umfeld prophetischer Verkündigung abgesteckt.
Im Zentrum des Buches steht der Teil IV: „Geschichte der Prophetie
in Israel" (S. 35-136). In diesem Teil werden alle Prophetengestalten
und prophetischen Bücher des AT von den Anfängen bis zu den
„Nachwirkungen der Prophetie" in chronologischer Reihenfolge behandelt
.

Arnos wird ein Exkurs zur „Kultkritik bei den Propheten" (S.46)
und Hosea ein Exkurs zum „Baalskult" (S. 55) beigefügt.

Die Darstellung bleibt bei aller Kenntnis und Aufnahme der
neueren Forschung in gemäßigten Bahnen. Hierfür seien beispielhaft
einige Positionen St.s aufgeführt: Arnos 9,1 1-15 und Jer 31,31 —34
rechnet er späterer Redaktion der Prophetenbücher zu. Demgegenüber
hält er die jesajanische Verfasserschaft von Jes 9,1-6 und 1 1,1-5
weiterhin für einleuchtend. Die Ehe Hoseas ist nicht als „Bild",
sondern als „reales Geschehen" zu werten, und bei den „Gottesknechtsliedern
" Deuterojesajas tritt St. für die Deutung auf den
Propheten selbst ein.

In einem abschließenden Teil V (Nachwort, S. 137-143) geht St.
auf das Verhältnis von Altem und Neuem Testament ein, stellt
„Merksätze für die Vermittlung prophetischer Texte" in Verkündigung
und Unterricht auf und fragt nach den „prophetische(n) Elementen
in Urkirche und Kirchengeschichte". Dabei warnt er vor einem zu
starren Verständnis des Schemas von Verheißung und Erfüllung im
Verhältnis der Testamente zueinander. „Es gibt Grundstrukturen der
Gotteserfahrung und des Menschenbildes im Alten Testament, die in
das Neue Testament hineinreichen und dort zu einer Erfüllung
kommen ... Sie betreffen . . . den gemeinsamen Glauben an Jahwe,
den die Christen als den Vater Jesu Christi bekennen, der der Schöpfer
von Himmel und Erde ist, der zugleich in die Geschichte seines
Volkes und seiner Völker eingreift - in Gericht und Heil. Sie finden
sich in der Altem und Neuem Testament gemeinsamen Erfahrung,
daß dieser Gott ein Gott für Menschen ist, sich des Menschen und der
Menschheit annimmt und dieser Welt und Geschichte eine stets neue
Zukunft. . . verbürgt" (S. I38f).

Für die Vermittlung prophetischer Texte fordert St., „die ursprüngliche
Aussageabsicht des biblischen Autors" zu erheben, bei neu-
testamentlichem oder liturgischem Kontext diesen „als Interpretation
kenntlich" zu machen und „für die Aktualisierung prophetischer
Texte . . . Fragestellungen unserer Zeit zu erarbeiten und herauszustellen
, auf die die Verkündigung der Propheten eine Antwort anbietet
" (S. 139 f)- Einig wird man sich mit St. auch da wissen, wo er die
prophetische Verkündigung als kritische Anfrage an die etablierten
Kirchen versteht: „Mancher Reformator, der die Kirche verlassen
mußte, ist aus heutiger Sicht nicht einfachhin ein Falschprophet,
sondern ein .Rufer wider den Konservativismus' der Kirche seiner
Zeit; mancher Sektierer hat den Finger in Wunden der Kirche seiner

Zeit gelegt, die man hätte heilen sollen, anstatt den Arzt zu verjagen"
(S.,143).

Greifswald Ernst-Joachim Waschkc

Kaiser, Otto: Der Mensch unter dem Schicksal. Studien zur Geschichte
, Theologie und Gegenwartsbedeutung der Weisheit. Berlin
(West)-New York: de Gruyter 1985. IX, 292 S. gr. 8" = Beiheft zur
Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft, 161. Lw.
DM 98,-.

Otto Kaiser, Der Mensch unter dem Schicksal, diese Aussage ist
nicht nur eine bibliographische Notiz. Sie ist gewiß auch - darf diese
Bemerkung gewagt werden? - eine biographische. Es soll sofort der
Eindruck des Rez. wiedergegeben werden, der bei der Zusammenordnung
der zum größten Teil schon bekannten und verötfentlichten
Arbeiten nicht nur die thematische Zusammengehörigkeit unter dem
erwähnten Titel immer wieder antreffen - und äußerst kompetent und
vorsichtig behandelt sehen, sondern auch die deutlich spürbare persönliche
Beteiligung an den theologischen Fragen und Problemen,
und auch Antworten und Lösungen erahnen und erspüren konnte.

In der Tat durchzieht ein Schwerpunkt die vielfältigen Aussagen:
die Auseinandersetzung des Menschen mit sich, der Welt und Gott,
und dies alles im Rahmen des weisheitlichen Denkens Israels. Dabei
kommen durchaus auch andere alttestamentliche Traditionskreise
zum Tragen, so besonders der prophetische. Im Grundtenor jedoch
herrschen die Erfahrungen des Weisen, die Lebensfragen und
-bewältigungen der weisheitlichen Schule vor.

Bevor auf Einzelheiten eingegangen werden kann, soll auf eine
beeindruckende Besonderheit aufmerksam gemacht werden. Seit nunmehr
beinahe 100 Jahren ist die weite Verbreitung weisheitlicher
Literatur im Räume des alten Vorderen Orient bekannt und immer
deutlicher vor Augen getreten. Dieses Wissen steht natürlich auch
hinter allen Ausführungen K.s Die unverwechselbare Gedankcn-
führungdes Vf. besteht aber nun darin, daß er mit zielstrebiger Sicherheit
immer wieder auf die Berührungspunkte mit der griechischen
Literatur, Dichtung und Philosophie zusteuert. Diese Arbeiten
werden dadurch zu einem unverzichtbaren Teil der alttcstament-
lichen Weisheitsforschung, die weitaus im Übermaß den Raum der
semitischen Welt erläßt. K. kann aber gerade durch die Bezugnahmen
auf die klassische Antike - denn auch lateinische Litciatur
und römische Gedanken werden gelegentlich herangezogen - bei
seinen Überlegungen die Voraussetzungen dafür schaffen, die Gegenwartsbedeutung
, wie es im Untertitel heißt, aufzuzeigen. Wir sollten
uns dadurch immer wieder neu und mehr irfahnen lassen, daß unser
heutiges Denken, auch und gerade das durch das Neue Testament gebildete
, auf diesen beiden Traditionen ruht: der alttcstamentlich-
vorderorientalischen und der griechischen.

Dem Rez. ist die Auswahl der Arbeiten des Vf. vollkommen einsichtig
geworden, da der oben zitierte Untertitel diese erforderte. Ihm
ist jedoch die Anordnung nicht ebenso klar vor Augen. Gerade weil es
sich um thematisch so eng zusammengehörige Aufsätze handelt, wäre
eine chronologische Reihung durchaus wünschenswert gewesen. Daher
sei bei der Aufzählung der abgedruckten Arbeiten nun diese
Ordnung gewählt; da, wo der Titel den Inhalt genügend deutlich
macht, erfolgen keine weiteren Angaben:

1958: Die Begründung der Sittlichkeit im Buche Jesus Sirach
(S. 1 10-121)

1965: Dike und Sedaqa. Zur Frage nach der sittlichen Weltordnung
(S. 1-23; Gegenüberstellung von Hiob undQoheletzu Aischy-
los und Euripides).

1969: Gerechtigkeit und Heil bei den israelitischen Propheten und
griechischen Denkern des 8.-6. Jahrhunderts (S. 24-40; He-
siod und Solon auf der einen Seite, Arnos. Micha und Jesaja auf
der anderen).

1972: Der Mensch unter dem Schicksal (S. 63-90; Theognis und
Simonides gegenüber von Sprüche 16lfund Qohelet).