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Ausgabe:

1986

Spalte:

771-772

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Oden, Thomas C.

Titel/Untertitel:

Care of souls in the classic tradition 1986

Rezensent:

Möller, Christian

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Seite 1

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771

Theologische Literaturzeitung 1 I 1. Jahrgang 1986 Nr. 10

772

Schlund. Robert: In dieser Zeit Christ sein. Theologisch-pastoralc Ortsbestimmungen
. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1986.448 S. 8". Lw. DM 48.-.

Sülle. Dorothee: Der Bibelgebrauch in der Friedensarbeit (JK 47. 1986.
67-77).

Tinder, Galen: Luther's Thcology of Christian SufTering and its Implications
for Pastoral Care (Dialog 25. 1986, 108-1 13).

Wölber. Hans-Otto: Innovation der Volkskirche! Missionsstrategien auf dem
Hintergrund der demoskopischen Erkenntnisse (PTh 75,1986. 150-159).

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Oden, Thomas C: Care of Souls in the Classic Tradition. Philadelphia
: Fortress Press 1984. 128 S. 8' = Thcology and Pastoral Care
Series. Kart. $ 5.95.

„Wir können uns den Luxus nicht länger leisten, zeitgenössische
Psychotherapien für uns definieren zu lassen, was Scclsorge ist. Die
Situation kommt einem Status confessionis sehr nahe, vor allem für
diejenigen unter uns. denen von der Kirche das Lehren von Pastoral-
thcologie und Seclsorge anvertraut ist. Wir müssen wieder für uns
selbst definieren, was Seelsorge ist. und in welchem Sinn Pastoralthco-
logie wirklich Theologie ist und bleibt." (37)

Diese Sätze führen ein vielbeachtetes Referat über „Freiheit und
Lernen" weiter, das Thomas C. Oden. Professor Für Theologie und
Ethik an der Drcw-Universität in Madison, New Jersey (USA), auf
dem Internationalen Kongreß für Seelsorge und Beratung 1979 in
Edinburgh gehalten hat. (Vgl. W. Becher u. a.. Wagnis der Freiheit.
Ein Internationaler Kongreß für Seelsorge und Beratung. Göttingen
1981. 50-64). O. nimmt dieses Referat in sein neues Buch über „Scel-
sorge in der klassischen Tradition" auf, um zu zeigen, warum er als
einer, der maßgeblich an der amerikanischen Scelsorgebcwegung
beteiligt war, nun für eine Wiederentdeckung der klassischen Traditionen
der christlichen Seelsorgc plädiert. Als Krankheit der neuen
Seelsorgebewegung diagnostiziert O. „Gedächtnisschwund" (amne-
sia). Er belegt seine Diagnose, indem er die Werke von sieben führenden
Pastoralpsychologen der USA und Europas (u. a. S. Miltner,
H. Clinebell, D. Stollberg) durchgeht und feststellt: „In all diesen
großen modernen Arbeiten über Seelsorge konnte ich nicht ein
einziges Zitat über Augustin, Gregor d. Gr., Calvin, Luther u.a.
finden. Es scheint so, daß für diese zeitgenössischen Seelsorger
klassische Gedanken über Seelsorge keinen Einfluß auf ihre Arbeit
gehabt haben" (31). Mit A. Boisen sei die klassische pastorale Weisheit
über vier Jahrzehnte in einen tiefen Schlaf gefallen, und erst jetzt
komme es in den USA zu einem allmählichen Erwachen, weil die Zeit
reif sei für eine größere Wiederentdeckung der klassischen christlichen
Seelsorge. Der durchschnittliche amerikanische Pastor sei zu
einem „Sättigungspunkt mit seinen Schrullen und Launen" gekommen
, habe den TA-trip, den Gruppentrip und weitere unzählige
Psychotrips hinter sich gebracht und frage sich nun, wie er seine
Erfahrungen in christliche Tradition integrieren könne. Klügere
Pastoren seien geradezu ermüdet von einem Befolgen des jeweils
neusten psychologischen Trends, zumal die Psychatrie in den USA
zunehmend in einen öffentlichen Verruf geraten sei und selbst
Psychotherapeuten wie K. Menninger u.a. die Pastoren zu ihrer
traditionellen pastoralen Identität wieder zurückriefen (35). O. warnt
freilich vor einem Umschlagen in einen reaktionären Archaismus, der
bloß die Vorurteile der Vergangenheit wiederholt. Er gibt auch nicht
vor, ein radikal neues Modell zu haben, „das diesen Morast mit einer
brillanten Erneuerung überwindet" (36). Er plädiert vielmehr für
„die Entwicklung einer post-modernen, post-freudschen, neoklassischen
Annäherung an die klassischen Traditionen der christlichen
Seelsorge", ohne zu vergessen, was bei moderner Psychotherapie zu
lernen ist.

Was könnte denn die Seelsorge heute durch Annäherung an ihre
klassische Tradition gewinnen? O. zählt auf: 1. Seelsorge könnte

wieder lernen, daß stellvertretendes Gebet ein wichtiger Aspekt von
pastoraler Beratung sei; 2. daß dem Antinomismus zeitgenössischer
Scelsorge durch eine ausgeglichenere Dialektik von Evangelium und
Gesetz widerstanden werden könnte; .3. daß Eheberatung im Kontext
einer christlichen Lehre von der Ehe wieder mehr werden könnte als
bloß eine „hedonistische Kostcn-Nutzen-Kalkulation"; 4. daß der
Trend zu einer übertriebenen, zum Narzismus führenden Selbstverwirklichung
durch Erinnerung an christliche Tradition von Askese.
Selbstdisziplin und Selbstverleugnung korrigiert werden könnte; 5.
daß Gruppenexperimente mit mehr Aufmerksamkeit für christliches
Verstehen von Zeugnis. Dienst und Gemeinschaft durchgeführt werden
könnten; 6. daß pastorale Beratung wieder ein integraler Bestandteil
von pastoralcm Dienst im Zusammenhang von Liturgie. Predigt,
christlicher Gemeinschaft verstanden werden könnten usw.

Damit es zu diesen und weiteren Korrekturen der neuen Scelsorgebcwegung
komme, müßten die klassischen Texte der Seclsorge wieder
studiert werden, beginnend bei den Pastoralbriefen, Cyprians Schriften
über die Geduld, Augustins Schriften über die Seele, Bonaventuras
Gedanken über die Ordnung der Seele, Luthers Briefen und Tischreden
, Zwingiis Schrift „Der Hirt", Bucers Schriften über die Fürsorge
an Kranken und Armen, bis hin zu den Texten der großen Seelsorger
des 18. und 19. Jh. In vielen Fällen sei das freilich gar nicht einfach,
weil die Texte oft nur in schlechten Übersetzungen existierten, schwer
zugänglich oder gar nicht vorhanden seien, so daß es große Anstrengungen
kostete, die klassischen Traditionen der Seelsorge wieder-
zuentdecken.

O. macht seinerseits mit der Regula pastoralis Gregors des Großen
einen Anfang, die er für die einflußreichste Schrift in der Geschichte
der Seelsorge hält (115). Was diese um 590 entstandene Schritt so einzigartig
erscheinen läßt, seien Theorie und Praxis einer „kontextualen
Scelsorge", die Gregor d. Gr. von der Prämisse her entwickelt hat:
„Was für den einen hilfreich ist, kann bürden anderen schädlich sein"
(76). Deshalb erfordere jede Seclsorgcsituation eine verschiedene Antwort
aus ein und demselben Glauben heraus. Die systematische Entwicklung
eines „Prinzips der Variabilität" sei das Verdienst dieser
bedeutenden Seelsorgeschrift, in der moderne therapeutische Einsichten
längst vorweggenommen seien. Nur historische Ignoranz könne
meinen, die neuen Einsichten für die Seclsorge nur bei Freud, Jung,
Rogers u. a. zu finden (570- Umgekehrt könne die Pastoraltheologic
für die Seelsorge nicht bloß neue Einsichten, sondern eine verlorene
theologische Identität wiedergewinnen, wenn sie ihre Geschichtslosig-
keit. ihr Leiden an „Gedächtnisschwund", überwinde, indem sie sich
der klassischen Tradition der Seclsorge wieder zuwende.

Dokumentiert O.s Buch schon ein Erwachen der Seelsorgebewegung
aus dem Schlaf ihrer Anpassung an den jeweils neuesten Trend
der Psychologie? Das mag für die amerikanische Seelsorgebewegung
vielleicht schon gelten. Aber auch bei uns zeigen sich neue Ansätze
(Thomas Bonhoeffers Studie über „Ursprung und Wesen in der
christlichen Seelsorge", München 1985, und Martin Trcus Dissertation
und Aufsatz über „Trost bei Luther. Ein Anstoß für die heutige
Seelsorge", PTh 73, 1984,91-106, u. a.) und tassen hier und da schon
ein Erwachen aus dem Schlaf der Geschichtslosigkeit erkennen. Insgesamt
wird aber wohl auch in diesem Fall die traurige Regel der vergangenen
Jahre sich bewahrheiten, daß es etwa fünf Jahre braucht, bis
der neueste USA-Trend in die BRD kommt, von weiteren „Zeitverschiebungen
" ganz abgesehen. Wer jetzt schon mit dem Studium
klassischer Seelsorgetexte beginnt, dürfte zu Beginn der 90er Jahre
wieder auf der Höhe der Zeit sein.

Wuppertal Christian Möller

Bron, Bernhard: Freiheit zum Suizid? - Suizidalität als ethisches Problem
(WzM38,1986,105-124).

Eibach. Ulrich: „Herr, gib jedem seinen eignen Tod". Ethische Probleme des
Sterbens und der Sterbehilfe (LM 25,1986, 122-125).

Jürgenbehring, Heinrich [Hg.]: Hoffnung holt Verzweiflung ein. Geschichten