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1986

Kategorie:

Praktische Theologie

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769

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 10

770

Entgegen einer vorschnellen spirituellen Deutung von Armut erkennt
der Autor ein Weltsystem, das sich auf Unterentwicklung,
Abhängigkeit und Hunger einer Bevölkerungsmehrheit durch einen
kleinen reichen Kern stützt, als einen schrecklichen Mangel an
Gotteserfahrung (70). Der konkrete, lebendige, wahre Gott ist für ihn
gerade in jenen abwesend, die immer seinen Namen auf ihren Lippen
haben, aber nicht in der Nachfolge Christi dem Nächsten dienen (72f).
Darum pocht BolT immer wieder darauf, den Armen nicht nur als
einen Armen, sondern als einen durch jemanden oder etwas Verarmten
zu sehen (297, 333). Der Arme kann ihm sogar zur Theopha-
nie (336), zu dem Sakrament Gottes (165) werden. Von daher richtet
der Ordensmann kritische Fragen auch an Werke und Einrichtungen,
die in ihrer wohltätigen Ausrichtung zwar Positives wirken, aber
strukturell gesehen als Institutionen das System von Verarmung
erhalten und so zum Gegenzeugnis des Evangeliums entarten können
und schon seien (302).

Die Keuschheit umfaßt für Boff die vollständige Integration des
Männlichen und Weiblichen. Als radikalere Liebe ist sie bereit - im
Gegensatz zur Ehe! - niemanden aus dem Bereich ihrer Liebe auszuschließen
(178). Den Gehorsam, und zwardes Untergebenen wie noch
mehr des Oberen, bindet er ganz an die gemeinsame ob-audientia, das
Hören auf Gott.

Manche lange und bisweilen - nicht zuletzt wegen der häufigen
Wiederholungen auch - langatmige Passagen wie z. B. über die onto-
logische Struktur von Männlich und Weiblich (I66IT) oder die über
Säkularismus (208IT) wirken vereinfachend plakativ. Vielen Abschnitten
merkt man an, daß sie nicht für europäische Leser geschrieben
sind. Sie werden eigentlich nur verständlich, wenn man die
lateinamerikanische Situation im Hintergrund sieht.

Die über weite Strecken in meditativ-kreisendem Stil dargelegten
Auslührungen enthalten allerdings so gut wie keine Informationen
über die konkrete Lage der Orden und der Kirche in Brasilien bzw. in
Lateinamerika. Das dürfte es hiesigen Lesern schwer machen, was sie
ntit diesem Buch anfangen sollen. Zudem sind etliche Gedanken auch
schon aus anderen Büchern und Aufsätzen des Autors bekannt und
dort manchmal sogar in komprimierterer Form nachzulesen.

Es bleiben - vielleicht nicht nur in Europa wichtige - Fragen ausgeklammert
. In welcher Weise ist nicht nur die Kirche auf die prophetische
und nicht institutionalisicrbare Aufgabe von Ordensleuten
angewiesen, sondern sind auch diese auf die Kirche, auf die Institutionen
angewiesen? Wie hängt das prophetische Amt der Religiösen mit
dem aller Gläubigen, also auch dem der Laien zusammen? Wie weit
ist es angemessen, eine soziologische Größe wie die Armen derart
theologisch bis hin zur Bezeichnung als Sakrament zu beladen? - um
nur einige Fragen zu nennen. Von den Anfechtungen gerade bei
Ordensleuten und ihrer Bearbeitung ist ebenso kaum die Rede.

Doch verfehlen solche Erwartungen sicher auch das Anliegen BoftTs
in diesem Buch. In seiner Schlußbemerkung betont er. daß ihm wichtiger
als das Wissen selbst die Lernfähigkeit ist, die er im Austausch
mit seinen Brüdern und Schwestern erfahren hat und die er hiermit
auch anderen vermitteln will (341). Entgegen der Herausgeberankündigung
im Vorwort sucht Boff hier gerade nicht die wissenschaftliche
Auseinandersetzung. Sein Beitrag will ganz auf das Ordens/<'/>en ausgerichtet
sein. Denn seiner Meinung nach gibt es heute vielleicht ,,zu
viele Theologen und zu wenig Mystiker.... die die Geschichte vorantreiben
". (341). In diesem Sinne gibt das Buch einen guten Einblick in
die mystische Denkweise Boffs.

Bensheim Andreas Karrer

Martini, Carlo M.: Ich bin bei euch. Leben im Glauben nach dem
Matthäusevangelium. Aus dem Ital. übers, v. A. Berz. Frciburg-
Basel-Wien: Herder 1985.240 S. 8". geb. DM 29,80.

In gleicher Art und Intensität wie in seinen Büchern zu den übrigen
Evangelien (vgl.ThLZ 110, 1985, 771-774) sind hier Exerzitienvorträge
des Mailänder Erzbischofs wiedergegeben, die einer inneren

Linie des Matthäusevangeliums nachgehen. Es ist verstanden als
„Evangelium des Katecheten" (7), das auf „der zweiten Stufe der
christlichen Initiation" dazu dienen konnte, „den Neugetauften zu
lehren", wenn er „nun in der Kirche seiner Taufe nachleben will"
(13). Das leitende Thema der dreizehn Meditationen ist „das Oster-
mysterium" (7). Mt 28, 16-20 bildet den bestimmenden Rahmen. Ein
weiterer grundlegender Text ist Jesu Identifikation mit den Geringen
Mt 25,31-46. Dem Aufbau der ignatianischen Exerzitien entsprechend
folgt so dem Fundament „Gott ist mit uns" (vgl. Mt 1.22f;
Mt 28,20; Ex 3,14) „ein Vorsatz für das Leben", d. h. eine „Entscheidung
, in der man Christus als Herrn anerkennt" (26). Die eigene Abwehr
gegen diese Stelle, „weil ich sehe, daß sie Entscheide verlangt, zu
denen ich vielleicht nicht imstande bin", wird offen zugestanden (30).
So wird der Text grundlegend für einen „Läuterungsweg, der gewiß
mühsam, aber auch notwendig ist, wenn wir tiefer in uns eindringen
und in uns die Gabe des Evangeliums entdecken wollen" (63).

Eine Meditation zur Gebetserfahrung führt hinüber in die Passions-
betrachtungen. An deren Anfang steht die „Bestürzung angesichts des
Mysteriums der Passion" (118). Biblische Gestalten und Episoden
sollen „in einer unmittelbaren Vergegenwärtigung der Szene nacherlebt
werden" (158). So wird im biblischen Wort die Gegenwart
ansichtig. „Der Herr lädt uns ein, ihn in seiner Armut zu betrachten,
um zu erkennen, was um uns herum vorfällt" (122). In dem gefolterten
Jesus „hält sich die Verwundbarkeit Gottes dem Menschen als
Spiegel für seine Erbärmlichkeit vor" (165), in jedem schwachen
Menschen bietet er sich uns dar, „um uns zu beschämen, aber auch
um uns zu befreien und uns sehen zu lassen, wer wir sind" (166). Jesu
Verlassenheit und „der Tod Gottes" Führen an das Ende jeder Erfahrung
(172). In diesem Tod zerbricht das Bild des großen, mächtigen
Gottes (176), ein heidnisches Gottesbild, das sich Christen immer
wieder „ungewollt, ganz spontan machen" (180).

Nicht weniger eindringlich umkreisen die drei letzten Meditationen
das „Ostermysterium" (189). Im Zusammenhang mit Jesu Wort über
die Frau in Bctanien (Mt 26,100 wird die Identifikation Jesu mit den
Cicringen (Mt 25,40) in einer tiefsinnigen Umkehrung noch einmal
erinnert: „Was ihr ihnen tut, tut ihr mir; aber auch was ihr mir tut, tut
ihr ihnen." In eindringender Auseinandersetzung mit christlichem
Moralismus (2160 wird dann Jesu Auferstehung als Inbegriff des
Evangeliums ausgelegt: „Das Handeln Christi geht also den guten
Taten des Sünders voraus und einzig es ermöglicht sie." (219) Paulus
und Matthäus treffen sich so im „Herzstück des Evangeliums. Es ist
die Heilsbotschaft Gottes an den Sünder, der nichts geleistet hat. um
dieses Heil zu verdienen, nicht einmal einen guten Vorsatz, eine Hoffnung
sich zu bessern, einen Schimmer guten Willens" (221). Damit
deutet sich die Erfüllung der Exerzitien an in einer über entschlossene
Disziplin weit hinausführenden Freiheit des Menschen, „der tut, was
ihm zusagt, der in die Freude Gottes eingetreten ist und deshalb frei
handelt" (223).

Biblische Besinnung (auf dem unauffälligen Hintergrund exegetischer
Arbeit) und persönliche Läuterung sind in diesen Meditationen
zu einer überzeugenden Einheit verwachsen.

Potsdam Martin Behnisch

Fisinger. Walther: Neue Bibclfrömmigkeit in der jungen Generation
(PTh 74,1985,311-322).

Kolb. Erwin J.: A Statement for Discussion in the Church on Evangclism and
Witness (Concordia Journal 12.1986.17-20).

Krusche. Günter: Das Sclbstverständnis des Pfarrers in der DDR dargestellt
am Beispiel Berlin (PTh 51.1986. 51-58).

Martini. Carlo M.: Das Gebet der Versöhnung. Betrachtungen zum Psalm
„Miserere". Aus dem Ital. von H. Schmittinger. Freiburg-Basel-Wien: Herder
1986,96 S. 8*. Kart. DM 12,80.

Möller, Christian: Gcmcindeaulbau jenseits von „Volkskirche und Ekklc-
sia". Zum Gespräch mit der „Theologie des Gcmcindeaulbaus" von Fritz und
Christian A. Schwarz (Theologische Beiträge 17.1986.118-137).

Mokrosch. Rcinhold: Jugend '85 und christlicherGlaube. Zur Frage der religiösen
Ansprechbarkeit Jugendlicher (EvErz 37. 1985. 561-581).