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Ausgabe:

1986

Spalte:

768-769

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Boff, Leonardo

Titel/Untertitel:

Zeugen Gottes in der Welt 1986

Rezensent:

Karrer, Andreas

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 10

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indirekter, zwischen aktiver und passiver Euthanasie zu beachten,
ferner die neuen therapeutischen Möglichkeiten auf Intensivstationen
und die Erwartungen an den Arzt als „Sterbehelfer". Die ärztlichen
und kirchlichen Stellungnahmen, die im neu hinzugekommenen Beitrag
erwähnt werden, stimmen darin überein, daß der Arzt in erster
Linie menschliches Leben erhalten soll, daß es jedoch ein Recht auf
menschenwürdiges Sterben gibt und nicht alle medizinischen Mittel
der Lebensverlängerung ausgeschöpft werden müssen. Die Verantwortung
von Ärzten und medizinischem Personal wird mehr als
früher herausgefordert, weil der Patient zum Objekt technischer
Manipulation werden kann.

Mehrere Beiträge erörtern das Problem aus der Sicht verschiedener
Humanwissenschaften. Der Mediziner Rudolf Kautzky schreibt über
„Die Freiheit des Sterbenden und die Pflicht des Arztes" (S. 25-44)
und der Jurist Albin Eser über „Sterbehilfe und Euthanasie in rechtlicher
Sicht" (S. 45-70), der Psychologe Norbert Erlemcier stellt die
psychologische Thanatologie vor (S. 108-131), der Soziologe Ferdinand
Menne soziologische Probleme einer gesellschaftlichen „Todeskontrolle
" (S. 132-148) und Walter Thomas fragt „Kann man Sterben
lernen?" (S. 149-169). An dieser Stelle interessieren vor allem die
theologischen Beiträge, denn sie sollen von einer christlichen Grundüberzeugung
her den Rahmen abstecken, was ethisch verbindlich sein
kann.

Sehr differenziert und sachbezogen argumentiert der Hg. des Bandes
, der als Moraltheologe an der Universität Bamberg lehrt, in seinem
Beitrag „Freie Verfügung über das eigene Leben? Moraltheologische
Überlegungen zur Euthanasiediskussion" (S. 71-94). In Auseinandersetzung
mit der Tradition, die die Fragen durchweg vom
Aspekt des Arztes und seinem Verhalten her zu entscheiden suchte,
präzisiert Eid das Problem aus der Sicht des betroffenen Patienten:
„Darf der Mensch .. . unter der Last eines qualvollen, lang hingezogenen
Sterbeprozesses zur Vermeidung einer außerordentlichen Eskalation
der Qualen seinen Todeszeitpunkt selbst verfügen, oder muß er
die Sterbephase bis zum bitteren Ende durchleben?" (S. 77). Das führt
zu der Aussage, daß ein Mensch zwar tatsächlich über sein Leben verfügen
, dies aber nur um eines relativ hohen Gutes willen ethisch verantworten
kann. Nach Abwägung aller Argumente kommt Eid zu der
Schlußfolgerung, daß kein echter Grund gefunden werden kann, der
die direkte Herbeiführung des Todes während eines langen Sterbeprozesses
rechtfertigt. Dabei wird freilich vorausgesetzt, daß Leben,
unter psychischer und physischer Qual noch vollzogen wird und daß
ein Euthanasieentscheid nicht weit vorher festgelegt werden kann.

Ganz auf die seelsorgerliche Begleitung Sterbender abgestellt ist
Josef Mayer-Scheus Beitrag „Der mitmenschliche Auftrag der Sterbenshilfe
" (S. 95-107). Hinter dem Wunsch nach Euthanasie verberge
sich meist der Appell nach intensiver Zuwendung. „Sterbenshilfe
ist also intensive Lebenshilfe in der letzten Lebensphasc" (S. 98).
So dringlich und praxisnah die Vorschläge des Vf. für den Umgang
mit Sterbenden sind, so nehmen sie das Problem eines Rechtes auf
mögliche Lebensverkürzung nicht auf und vermeiden auch den
Begriff der Euthanasie. Das gleiche gilt für Gisbert Greshakes
„Bemühungen um eine Theologie des Sterbens", die sich auf eine
Kritik der „Endentscheidungshypothese" zur Deutung des Sterbens
beschränken und deswegen auf die Frage der Euthanasie nicht zu
sprechen kommen (S. 170-184).

Es ist sehr zu begrüßen, daß der Verlag dieses Sachbuch wieder aufgelegt
hat, damit das schwierige Feld ethischer und seelsorgerlicher
Verantwortung, das in der Euthanasiediskussion betreten wird,
möglichst vielen Lesern durchschaubar gemacht wird.

Leipzig Joachim Wiebering

Klöcker, Michael, u. Udo Tworuschka [Hg.]: Ethik der Religionen -
Lehre und Leben. Bd. 3: Gesundheit. Unter Mitarb. von H.-J.
Becken, P. Gerlitz, K.-H. Gottmann, A. Köberle, J. Paäl, F. Trzas-
kalik, M. Tworuschka. München: Kösel; Göttingen: Vandenhoeck
ÄRuprecht 1985. 189 S. 8°. Kart. DM 19,80.

Im dritten Bd. der Reihe werden die Aussagen der Religionen zur
menschlichen Gesundheit gesammelt. Das ist mindestens im Protestantismus
(der hier wieder als eigene „Religion" neben dem Katholizismus
erscheint) ein vernachlässigtes Thema. Freilich gerät der von
Adolf Köberle verfaßte Beitrag weithin zu einem Plädoyer für die
Hochschätzung des Leiblichen und für das Recht von Naturheilkunde
und Lebensreform, während das weite Gebiet der medizinischen
Ethik und der modernen Identifikation von Gesundheit und Leistungsstärke
(z. B. im Sport) unberücksichtigt bleibt. Ein Ausbau der
unter der Überschrift „Katholizismus" von F. Trzaskalik vorgetragenen
Gedanken zu einer Darstellung des christlichen Verständnisses
von Gesundheit/Krankheit hätte wahrscheinlich genügt. Hier dominiert
ebenfalls der Aspekt des Ganz-Seins des Menschen, dessen
Bedrohungen auf S. 48 ff sachgemäß aufgezeigt werden. Ein Gewinn
des Bandes ist, daß ein eigener Abschnitt kleineren Religionsgemeinschaften
gewidmet ist, so daß z. B. Pfingstler, Mormonen, Anthroposophie
und Scientology in ihren ausgeprägten Vorstellungen zum
Thema vorgestellt werden. Die abschließenden „Überlegungen zum
Verhältnis von Gesundheit und Religionen" von den beiden Hgg. sind
breiter ausgefallen als in den beiden vorangehenden Bänden. Bemerkenswert
ist an ihnen, welche breite Palette von Vorschlägen zur
Gesundheitsvorsorge aus den Religionen erhoben werden kann, von
den Hgg. durch eine Fülle von Literaturangaben ergänzt. Auch der
Überblick über Gesundheits- und Heilungskonzepte, die aus östlicher
Spiritualität oder aus ethnischen Religionen in den USA und Westeuropa
Fuß gefaßt haben, belegt in eindrücklicher Weise, wie stark
neue religiöse Bewegungen durch das Versprechen besserer Gesundheit
Anhänger gewinnen. Um so dringlicher scheint es freilich zu sein,
auf diesem Wege nicht zu einem neuaullebendcn Gegensatz von
Medizin und Religion zu kommen.

Leipzig Joachim Wiebering

Praktische Theologie: Allgemeines

Boff, Leonardo: Zeugen Gottes in der Welt. Ordensleben heute. Hg.
von A. Rotzctter. Aus dem Franz. von E. Hug. Zürich-Einsie-
deln-Köln: Benziger 1985. 344 S. 8°. Kart, sfr 36.-.

Im Vorwort verheißt der Hg. Anton Rotzctter - Kapuzinerpater
und inzwischen Mitstreiter Boffs gegen vatikanische Behörden -, daß
aus der hier vorliegenden Sammlung und Verknüpfung von Aufsätzen
Boffs aus den Jahren 1971-1976 eine eigentliche „Theologie des.
Ordenslebens" entstanden sei (9). Interessiert nimmt der Leser das
Buch zur Hand und wird vor allem darauf gespannt sein, wie Boff die
befreiungstheologische Perspektive nun auch auf das Ordenslcbcn
anwendet.

„Weihe bedeutet gleichzeitig Sendung in die Welt" (116). auf dieser
Stoßrichtung liegt für den Franziskaner Boff der Hauptakzent. Er versteht
das Ordensleben von seiner wesentlich kirchlichen und menschlichen
Funktion her (224). Kontemplation und das Charisma, den
Armen zu dienen (43), die soziale Verantwortung (323) greifen für ihn
so ineinander, daß sie nicht zu trennen sind. Ordensleben ist für ihn
ein „fleischgewordenes Symbol der Liebe Gottes zu den Menschen,
ein Zeichen einer künftigen Welt" (30).

In den ersten beiden Kapiteln beschreibt Boff das Ordenslcbcn als
ein Phänomen in allen Religionen (21-44) und die Möglichkeiten von
Gotteserfahrung in unserer Welt (45-110).

Bei den folgenden Abschnitten Ausdruck (11 1-200), Konkretisierung
(201-270) und Sendung (271-340) zählen die Passagen über die
drei Gelübde Armut, Keuschheit und Gehorsam zu den stärksten.
In ihnen konkretisiert sich für Boff die totale Übergabe an Gott. Was
für die Außenstehenden als Verzicht, Einschränkung gesehen werden
kann, ist nach ihm das Zeichen einer größeren Fülle (30f; 26). Von ihr
her leben und lieben Ordensleute radikaler - ein Lieblingswort Boffs
in diesem Buch. Sie sind ein prophetisches Zeichen, das die Welt der
Macht und des Reichtums anklagt (105).