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Ausgabe:

1986

Spalte:

764-765

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mulack, Christa

Titel/Untertitel:

Maria - die geheime Göttin im Christentum 1986

Rezensent:

Gerber, Uwe

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Theologische Lileraturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 10

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Sie zeigt mit Recht, daß es im gemeinen Volk freundliche Beziehungen
zwischen den beiden Konfessionen gab. Frau Prestwich
spricht weiter vom Niedergang des „Erasmismus" in der zweiten
Hälfte des 16. Jh.. ohne jedoch zu präzisieren, was mit „Erasmismus"
gemeint ist. Als Beispiel dieses Phänomens nennt sie die Verurteilung
von Erasmus durch Farel und Beza im Jahre 1557. Das ist aber kein
Beispiel einer allgemeinen Tendenz: Farel wurde schon im Jahre
1524 wegen seines Widerstandes gegen Erasmus aus Basel verbannt.
Was nun Beza betrifft, hielt er ständig das Neue Testament von Erasmusais
häretisch, benutzte es aber in seinen eigenen Annotationes.

Der vierte Beitrag ist eine ausgezeichnete Darstellung des Calvinismus
in den Niederlanden 1561-1618 von Alastair Duke. Er analysiert
die allmähliche Trennung der holländischen Reformation vom
Luthertum in den Jahren 1529-1555 und erklärt, daß der niederländische
Calvinismus ganz eklektisch und relativ wenig von Calvin und
Beza abhängig war. Dieser Eklektizismus war jedoch unvermeidlich,
da es keine „Hauptreformatoren" in den Niederlanden gab.

Der Artikel von Henry J. Cohn beschäftigt sich mit der wichtigen
Rolle, die bei der „zweiten Reformation" in Deutschland von den
Fürsten gespielt wurde. Der Vf. weist auch darauf hin, daß die
Unionsbestrebungen mit der Lutherischen Kirche, die Ursinus (1581)
und Pareus (1614) in Angriff genommen hatten, wegen der Konkor-
dienformel von 1577 hoffnungslos bleiben mußten.

Der Calvinismus in Osteuropa (meistens in Ungarn) wird von
R. Evans dargelegt. Er zeigt, daß die Reformation von 1517 in Osteuropa
fast unbekannt war. Als die osteuropäischen Völker die Nachrichten
von der Erneuerung des Glaubens bekamen, ging es schon um
Calvinismus. Trotzdem blieb der Protestantismus in Ungarn von
Genf unabhängig und hatte auch etwas Gemeinsames mit der Wittenberger
Theologie. (Evans spricht nicht von Polen, wo die Calvinisten,
wie es die Radziwill-Bibel zeigt, viel abhängiger von der Genfer Theologie
waren.)

Die Wirkung der Genfer Theologie in England wird sorgfältig von
Patrick Collinson untersucht. Im Gegensatz zu ihren ungarischen
oder holländischen Kollegen wären die englischen Theologen zu dieser
Zeit sehr stark von Calvin und Beza beeinflußt worden. Das ist
nicht nur für die „Puritaner" (z. B. Whittingham oder Thomas Bod-
ley) gültig, sondern auch Für die „Anglikaner" wie John Whitgift.
Trotzdem wäre die Genfer Liturgie und Kirchenzucht von keiner Partei
völlig angenommen worden. Collinson erwähnt keine Textveränderungen
, die man in den englischen Übersetzungen aus diesem Zeitalter
der Werke von Calvin und Beza findet. Meistens sind die Kirchenzucht
betreffenden Behauptungen von den Genfer Theologen
ganz weggelassen (so z. B. in "Master Bezaes Sermons upon the three
First chapters of the Canticle of the Canticles" in der Übersetzung von
J. Harmar, 1587).

Die schottische Kirchenzucht war auch, nach dem interessanten
Beilrag von Michael Lynch zu urteilen, vom Genfer Vorbild distanziert
.

Einer Darlegung des Calvinismus in Nordamerika 1630-1715 (von
W. A. Speck und L. Billington) folgt eine meisterhafte Zusammenfassung
des französischen Calvinismus 1598-1685. Die Vfn„
Frau Labrousse. untersucht u.a. die Hugenotten-Kirchenzucht
und erklärt die Verbindung zwischen dem Calvinismus und der Verbreitung
der französischen Sprache, meistens im «Pays d'Oc».

Drei mit allgemeinen Themen sich beschäftigende Artikel, French
Calvinist Political Thought 1534-1715 (von M. Yardeni). The
Revocation of the Edict of Nantes: End or Renewal of French Pro-
testantism (von Ph. Joutard) und Variations on a theme by Max
Weber (von H. Lüthy), stehen am Schluß des Bandes. Besonders
bemerkenswert ist der Beitrag von Joutard, der das Schicksal der
Hugenottenflüchtlingc in verschiedenen europäischen Länder
beschreibt.

Jeder Beitrag enthält eine kurze Bibliographie der Sekundärliteratur
. Trotz des ungleiches Wertes seiner Beiträge und einiger erstaunlicher
Lücken (warum fehlt eine allgemeine Darlegung der Wirkung

von Calvins Lehre von der Prädestination, die in mehreren Artikeln
kurz erwähnt ist?) leistet dieser Band einen Dienst für alle, die sich
über die Wirkung der Genfer Theologie in Europa und Nordamerika
allgemein informieren wollen.

Genf Irena Backus

Systematische Theologie: Allgemeines

Mulack. Christa: Maria. Die geheime Göttin im Christentum. Stuttgart
: Kreuz Verlag 1985. 246 S„ 4 Farbtaf. 8" = Symbole. Kart.
DM 29,80.

Maria kontrovers - nachdem zwischen 1960 und 1980 die Mariolo-
gic kontroverstheologisch ausgeblendet worden war, ist sie im Zuge
Feministischer Theologie zu einem brisanten Thema geworden:
Maria als abgehobene Gottes-Mullcr und Maria als sozial aktive Frau
aus dem Volke, etwa in der mexikanischen Marienverehrung, die
ungewollt schwanger wird und erst allmählich lernt, ja zu sagen zu
dieser Schwangerschaft. Für die einen ist Maria ein Vergcwaltigungs-
opfer: andere wiederum sehen in ihr die mutige Frau, die die Kraft
aulbringt zu einem unehelichen Kind. Für die einen ist sie das Bild
eines passiven Gefäßes in der Erwartung, daß der Mann seine Inhalte
hineinlegt; für andere wurde sie zum „Bild einer Lebenshaltung, die
des Schoßes, der umfaßt, behütet, wachsen läßt, nährt und gebiert und
dadurch eigenständiges Leben hervorbringt". Für die einen bedeutet
sie die Festlegung auf bestimmte Rollen und die Anleitung zur Kompensation
der realen Situation der Frauen hinein in das Ideal der Mutter
Kirche (186fF); wieder andere sehen in ihr ein „Symbol der Schönheit
und des Lebendigen", der ganzheitlich lebenden. Ja sagenden
Frau und Mutter. Diese Debatten zeigen, daß Maria immer mehr „aus
ihrem patriarchalischen Interpretationsgefangnis" befreit wird
(155).

Diese Befreiung wird an den vier klassischen Aspekten des Mariendogmas
exemplifiziert: I. Maria die Jungfrau (31 IT): Ihre Jungfrauen-
schafl drückt im Gegensatz zur sozial-biologischen Schwangerschaft
der Elisabeth eine weiblich autonome Geisteshaltung und ..mannunabhängige
Seinsweise" aus (84. 160) und ihrer eigenen Schwangerschaft
als Gottesmutter liegt eben eine „geistlich-soziale" Motivation
zugrunde (115). Ansätze zu diesem Dogma Finden sich im Brotevangelium
des Jakobus (2. Jh.), zurückfuhrbar eben auf die „personale
Selbstbestimmung der Frau" in der Gestalt Marias. - 2. Maria die
Gottesmutter (95ff): Als Mutter des Gottessohnes wurde Maria auch
im Protestantismus verehrt, etwa in der Magnificat-Dcutung Luthers,
so daß dieses archetypische Symbol der Gottgebärcrin am ehesten zu
einem konfessionellen offiziellen Konsens Führen könnte. Auf der
Synode von Ephcsus 431 hatten C yrill und Rom diesen Ehrentitel
„Gottesgcbärerin" (gegen die nestorianische abwertende „Christus-
Gcbärcrin") durchgesetzt.-3. Marie die reine Magd (161 IT): Anna hat
diese ihre Tochter Maria (als Gefäß Gottes) ihrerseits in Unbefleckter
Empfängnis zur Welt gebracht, so daß Maria stets sündlos war. Diese
ab dem 12. Jh. greifbare und z. B. von Luther festgehaltene Vorstellung
läßt Maria vorweg auf „erhabenere Weise" durch die Verdienste
ihres Sohnes über dem Erbsündenzusammenhang der Menschheit
stehen. -4. Märiens Aufnahme in den Himmel (erst 1950 dogmati-
siert; 197ff): Nach vollendetem Lebenslauf werden Leib und Seele
Märiens in die himmlische Herrlichkeit hinaufgenommen - wie Jesus
am Ostersonntag. Dieses (vorläufig letzte) Mariendogma geht auf
Legenden, Feste, Erscheinungen, nicht aber auf biblische Traditionen
zurück und wird z. B. im Protestantismus abgelehnt; die orthodoxen
Kirchen kennen Maria lehrmäßig nur als-„Gottesgcbärerin", die
anderen drei Aspekte werden eben liturgisch ausgedrückt. Reformatorische
Theologie anerkennt den christologischen Bezug der Mariolo-
gie: Maria als dienende Mutter des Gottes-Sohnes; neuerdings den
anthropologischen Stellenwert (so bei F. Wölfel in: Mariologie und
Feminismus. Bcnshcimer Hefte 64, 1985, S. 71 ff).