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Ausgabe:

1986

Spalte:

760-762

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Nagel, Fritz

Titel/Untertitel:

Nicolaus Cusanus und die Entstehung der exakten Wissenschaften 1986

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 10

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aber die Untersuchung von U. B. Müller (Zur frühchristlichen Theologiegeschichte
. Judenchristentum und Paulinismus in Kleinasien an
der Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert n. Chr.. Gütersloh
1976) nicht fehlen sollen.

Auch W. Bauers Exkurse wurden beibehalten und in angemessener
Zurückhaltung inhaltlich überarbeitet. Dabei sind neuere Veröffentlichungen
und auch die Nag-Hammadi-Texte herangezogen worden.
Allerdings hat der Bearbeiter auf die Wiedergabe der von Bauer zitierten
Primärquellen verzichtet. Dies fällt besonders zum Exkurs „Die
Gegner der Ignatiusbriefe" (S. 640 auf, der eine ausführlichere Behandlung
verdient hätte. So befriedigt nicht, daß das Problem, welche
und wie viele gegnerische Parteien (der Vf. schwankt zwischen 1-3
Gruppen) in den Ignatiusbriefen vorausgesetzt sind, in einer Aporie
endet. Auch kann der Hinweis auf die soziologische Zusammensetzung
der ignatianischen Gemeinden diese Frage schwerlich einer
Lösung zuführen; denn Ignatius ist Gegnern konfrontiert, von denen
ersieh durch theologische Differenzen getrennt weiß.

Göttingen Georg Strecker

Aubineau. Michel: Un Traite inedit de christologie de Severien de
Gabala in centurionem et contra Manichxos et Apollinaristas. Exploitation
par Severe d'Antioche (519) et le Synode du Latran (649).
Gencve: Patrick Cramer 1983. 166 S. 4" = Cahiers d'Orientalisme,
V.

Von Scverian von Gabala1, einem der Kontrahenten des Johannes
Chrysostomos, sind uns viele Homilien überliefert oder können als
authentisch erwiesen werden, die von der antiochenischen exegetischen
Methode Zeugnis ablegen. Einen Überblick über den Bestand
und die Authentizitätsbemühungen gibt M.Geerard, Clavis Patrum
Graec. II, Turnhout 1974, Nrr. 4185-4295. wo auch die armenisch,
syrisch und koptisch überlieferten Texte sowie Inedita und Spuria aufgeführt
sind. Zu den Angaben der Clavis beachte man die Korrekturen
und die Hinweise auf im letzten Jahrzehnt gefundene neue Texte und
Übersetzungen und neue Erkenntnisse, die Aubineau S. 18-24 wiedergibt
. Auch den Forschungsüberblick über die neuesten Arbeitsergebnisse
zu Severian und zu Korrekturen am Bilde des Chrysostomos
(S. 11-17), die vor allem auf Untersuchungen von Fl. van
Ommeslaeghe zurückgehen (Anal. Boll. 95/97/99, 1977/79/81), liest
man mit Gewinn. Nicht übersehen werden sollte auch S. 91 Anm. 12,
wo A. noch einmal seine Bedenken zum Ausdruck bringt, daß die von
ihm CCSG I, Turnhout 1977, 107-128, edierte Disputatio cum
Manichseo Johannes von Kaisareia zum Autor haben könne, und
S. 92, wo er die Position von A. de Halleux (RHE 72, 1977, 593-600)
als erwägenswerter hält als die von M. Richard (CCSG 1, VIII—XII)
vertretene.

Die bislang unedierte Homilie De centurione (CPG 4230), auf die
zuerst A. Wenger (Rev. Et. Byz. 25, 1967, 220 hingewiesen hatte, legt
nun A. in griechischem Text und französischer Übersetzung vor
(S. 108-141). Seine Texteingriffe sind maßvoll, wenn auch nicht
immer notwendig (z. B. S. 126: 21, 4/5). Obwohl der Editor immer
richtig von einer Homilie redet, ist der Titel des Buches wohl aus
Gründen der Werbung nicht korrekt: «Un traite». Allerdings stellt
diese wohl in Konstantinopel gehaltene Homilie (vgl. die Argumentation
S. 480 hohe Ansprüche an ihre Hörer. Überliefert wird der Text
allein im Cod. Mosq. (Bibl. Syn.) 128 (Vladimir 159) und zwar als ein
Werk des Johannes Chrysostomos.

Sehr genau breitet A. alle bisher geäußerten Argumente für die
Verfasserschaft des Severian aus. Es handelt sich zum einen um Zitate
bei Severos von Antiocheia (auf sie machte A. Wenger als erster aufmerksam
) und auf der Lateransynode von 649. AufS. 90-106 werden
sie geprüft, mit interessanten Erkenntnissen über die Zuverlässigkeit
und Tendenzen solcher Testimonia. Obgleich sie vom Autor eigens
im Titel des Buches erwähnt werden, liegt hier nicht der eigentliche
Forschungsertrag dieser Studie. Die Testimonia werden durch innere
Argumentation gestützt (S. 36-52). Hervorgehoben seien das über die

Gräzität Severians Gesagte (S. 390 und der Vergleich mit der Homilie
CPG 4203 (S. 46-49).

Eine umlängliche Untersuchung widmet A. den theologischen Aussagen
der Homilie (S. 53-106). Hier wird ein Stück Thcologie-
geschiehte Konstantinopels unter den Aspekten der Auseinandersetzung
mit Manichäismus und Apollinarismus verdeutlicht. Einige
Bemerkungen nur sind hier dazu möglich: Severian gebrauchte den
Begriff hypanagignöskein (S. 40. 53). Hier hätte A. auch darauf verweisen
können, daß unaxignöskein ja schon längst für die Schriftlesung
in Synagoge und Gottesdienst üblich war (vgl. Bauer, WbNT
s. v ). - In den §§ 15-23 der Homilie werden die Manichäer sechsmal
Häretiker genannt. Nun stimmt es zwar, was A. S. 64 bemerkt, daß
der Begriff zu dieser Zeit noch nicht allgemein auf Lehrabweichung
festgelegt war. Doch wüßte ich als eindeutigen Beleg um das Jahr 400
nur Joh. Chrysost., In I Cor. hom. 27 (PG 61, 2250, zu nennen, der
die hairesü tön dogmatön von der hairesis um schismaton unterschied
. Sollte sich Severian dem Sprachgebrauch seines Kontrahenten
angepaßt haben? Das Thema seiner Polemik in der Homilie ist
anthropologisch. Das deutet auf die dogmatische Orientierung des Begriffs
, wie sie schon klar Basileios in ep. 188 (a. 374) geboten hatte,
zumal Severian ja auch die Apollinaristen in der Homilie (§§ 24-34)
als Häretiker bezeichnet. - «Ce temoignage de Severien, qui reflete
l'opinion des milieux catholiques de Constantinople vers l'annee 400,
nous renseigne moins sur LApollinarisme que sur Ijdee qu'on s'en
faisait, du cöte adverse» (S. 84). Hier liegt der eigentliche Wert dieser
Homilie, und A. gelingt es, diese theologischen Aussagen des Severian
durch weitere Zeugnisse ihrer Zeit durchsichtig zu machen (S. 68-85).
Insofern erhalten wir einen sehr guten Einblick in das geistige Milieu
weiter Kreise der Hauptstadt um 400.

Der Band enthält also mehr, als der Buchtitel erwarten läßt: Eine
Homilie wird - in vorbildlicher Weise - unter allen Aspekten als Zeitdokument
ernst genommen und ausgeschöpft.

Berlin Fricdhclm Winkclmann

1 Die größten Forschungsfortschritte erbrachten bislang vor allem J. Zellinger
, Studien zu Severian von Gabala, Münster 1926; B. Marx. OC P5 (1939)
281-367; D. Altcndorf in seiner leider nur maschinenschriftlich vorliegenden
Diss. Tübingen 1957: Untersuchungen zu Severian von Gabala.

Nagel. Fritz: Nicolaus Cusanus und die Entstehung der exakten Wissenschaften
. Münster/W.: AschendorfT 1984. VII, 192 S. gr. 8- =
Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft, IX. Kart. DM 48,-.

Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Behauptung von K. Jaspers
: „Cusanusgehört nicht zu den unmittelbaren Mitbegründern der
modernen Wissenschaft" und habe keinen Ort in der Geschichte
irgendeiner Wissenschaft. Demgegenüber will Vf. darlegen, daß Nikolaus
von Kues (NvK) durchaus z. B. zur Entwicklung der Mathematik
wesentlich beigetragen und daß er in der Wissenschaftsgeschichte stets
eine wichtige Rolle eingenommen habe.

Vf. geht dabei davon aus, daß „die Entstehung der exakten Wissenschaften
vor den ihm zugehörigen philosophischen Hintergrund zu
stellen" sei. Bei NvK entsteht „aus dem Gedanken der absoluten Wissenstranszendenz
Gottes ein neuer Weltbegriff..., der seinerseits
einen neuen Erkenntnisbegriff fordert". In diesem ErkcnntnisbegrifT
spielt die Mathematik eine entscheidende Rolle als „freie Schöpfung
des menschlichen Geistes . . . Dabei erreicht Cusanus Ahnungen
mathematischer Begrifflichkeiten insbesondere hinsichtlich infinitesimaler
Schlußweisen" (164), die dann von Lcibniz und Newton zur
Infinitesimalrechnung entwickelt werden.

Für die Änderung der Denkart, die die Neuzeit von Antike und Mittelalter
trennt, hat NvK wesentliche Impulse gegeben. Genaues Erfassen
der Wahrheit ist nicht möglich, aber schrittweise Annäherung an
sie ist die unendliche Aufgabe, die nach NvK die Wissenschaft hat.

Während für NvK Gott aus aller Relationalität herausgehoben ist.