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Ausgabe:

1986

Spalte:

752-754

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Martin Luther im Spiegel heutiger Wissenschaft 1986

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 10

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Erfassung des Christentums in Ägypten oder, wie er selbst es auszudrücken
liebt, um eine „Topographia Christiana Aegyptiaca". Dabei
soll der Schwerpunkt auf dem Mittelalter liegen, wenngleich die
byzantinische Zeit als Vorstufe der späteren Entwicklung gebührende
Berücksichtigung findet und auf der anderen Seite die Linien, falls
möglich, auch bis nahe an die Gegenwart heran ausgezogen werden.
Daß man aber zu diesem Ziel erst auf dem Wege ist, enthüllt der
Untertitel, wo zum Ausdruck kommt, daß es sich zunächst nur um
ein Lexikon mit den Namen derjenigen ägyptischen Orte handelt, an
denen christliches Leben belegt ist - es handelt sich bei den Belegen
meist um die Namen von Bischöfen oder anderen christlichen Amtsträgern
und die Namen und die Zahl von Kirchen und Klöstern am
Ort -, von denen aber nun gerade die wichtigsten ausgelassen
werden.

Warum das so ist, ergibt sich aus der Vorgeschichte des Werkes. Es
ist die umfangreiche Sammlung ägyptischer Toponyme, entstanden in
den Jahren 1978-1983 im Rahmen seiner Arbeit an zwei einschlägigen
Karten des Tübinger Atlas des Vorderen Orients, die T.
hier der Öffentlichkeit zugänglich macht. Bei den erwähnten Karten
handelt es sich um B IV: 15 „Ägypten. Das Christentum bis zur Araberzeit
" und B VIII: 5 „Ägypten. Das Christentum in Mittelalter und
Neuzeit"; beide sind inzwischen in Lieferung 7 des Atlas erschienen
(1983). Da T. nun nicht gern gesehen hätte, wenn „die langjährige Arbeit
in den Zettelkästen steckengeblieben" wäre (S. VII), findet er sich
bei der Publizierung des Materials natürlicherweise mit dem objektiven
Problem der Bewältigung riesiger Stoffmengcn konfrontiert. Das
Belegmaterial für die einzelnen Orte ist aber verschieden groß; die Anzahl
der Belege reicht von einem einzigen pro Ort bis zu unüberschaubaren
Häufungen. Das Projekt schien also überhaupt nur machbar
, wenn man die Artikel, die selbst ein ganzes Buch hätten ausfüllen
können, einfach ausklammerte und auch die nächstgrößten (etwa über
die Gauhauptstädte) mögliehst - an manchen Stellen wenigstens -
summarisch gestaltete. Die Proportionen sind auch so noch ungleich
genug und ist die Straflüng, wie es dem Außenstehenden jedenfalls
scheint, nicht in dem Maße, wie es wohl möglich gewesen wäre,
durchgeführt. Es finden sich häufig Wiederholungen und unüberschaubare
, gelegentlich über mehr als eine Seite gehende Aufzählungen
, die dann auch den Satzbau stören können.

Wie umfangreich das ganze Werk werden mag, davon kann sieh der
Benutzer dieses ersten Teils keine Vorstellung machen, und gesagt
wird ihm nichts darüber. Jedenfalls beginnt der vorliegende Teil mit
einem kleinen Artikel über einen Ort, von dem man nur weiß, daß
sein Name mit A anfing, und endet schon (am Anfang von C) mit
einem Artikel überContra-Latopolis.

Überhaupt geht es, wie bei Unternehmungen von dieser Größenordnung
nicht ungewöhnlich, ohne große Vorbereitung für den Benutzer
gleich mitten in die Sache hinein. Die das Ganze vervollkommnende
Abrundung ist wohl für den Abschluß vorgesehen. Eine
Einleitung, die dem vorliegenden Teilband gleichwohl vorangestellt
ist (S. 1-33), führt nämlich keineswegs geradlinig auf das Werk zu und
ist jedenfalls keine Einfiihrung des Lesers in die Anlage und die Benutzung
desselben. Es setzt sowieso - und wohl mit einem gewissen
Recht - einen intelligenten Benutzer voraus, der sich nach und nach
auch in unbekanntem Terrain zurechtfindet, sieh viele Dinge selbst
erklären kann und hilfreiche Hinweise aufnimmt, wo immer solche
kommen. So wird er den auf S. 18 in Anm. 56 sich findenden Verweis
auf ein (noch gar nicht gebotenes) Literaturverzeichnis als einen
Wechsel auf die Zukunft verstehen. Und wie das mit der Namen- und
Arlikelfolge und den Querverweisen funktioniert, bzw. wie es gedacht
ist, darüber erfährt er zu dem, was er schon selbst gemerkt hat. Wichtiges
und Grundsätzliches noch auf S. 180 in Anm. 64. In der Einleitung
selbst lernt man allerdings etwas über die Notwendigkeit und
Schwierigkeit der Landeskunde des christliehen Ägypten, über die
verschiedensprachigen (hauptsächlich griechisch, koptisch und
arabisch) und verschiedenartigen (literarisch und unliterariseh;
Listen, Legenden, Urkunden, etc.) Quellen, aus denen das topographische
Material erhoben werden muß, und über T.s Vorgänger in
diesem Unterfangen.

Bei der von T. nun einmal gewählten Form der Präsentation seines
Materials kommt es allein darauf an, daß die gemachten Angaben
stimmen. Und in der Tat befleißigt sich der Autor der größtmöglichen
Sorgfalt. Dabei wird ganz besonderer Nachdruck auf die genaue
Wiedergabc der griechischen, koptischen und/oder arabischen
Namensformen gelegt. Ich darf gestehen, daß ich den vorliegenden
Band mit Interesse und Gewinn studiert habe und den vielen folgenden
mit Spannung entgegensehe. Für einen Philologen kann zudem
solche Breite des topologischen Materials geradezu zum Symbol lür
die leicht zu vergessende Weite und Vielfalt des Landes werden.

Berlin Hans-Martin Schenke

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Schäferdiek, Knut [Hg.]: Martin Luther im Spiegel heutiger W issenschaft
. Bonn: Bouvier 1985. VII, 266 S. 8-= Studium Universale,
4. Pp. DM 58,-.

Der Titel der vorliegenden Publikation ist identisch mit dem
Thema einer interdisziplinären öffentlichen Ringvorlesung an der
Universität Bonn im Wintersemester 1983/84. Für die Veröffentlichung
wurden die Vorlesungen ergänzt durch einige Vorträge, die
aus Anlaß des Lutherjubiläums ebenfalls an der Universität Bonn gehalten
wurden.

Der I. Teil „Im Umkreis der reformatorischen Grundentseheidun-
gen" vereint vier Beiträge: Walter Hubatsch : Luther und die Reformation
in Deutsehland (3-13); Joachim Mehlhausen: Die refor-
matorisehc Wende in Luthers Theologie (15-32); Johannes Erben:
Luthers Bibelübersetzung (33-50); Werner Besch : Die Bibel in der
Geschichte der deutschen Sprache (51-62). Hubatschs (verstorben
Ende 1984) sehr allgemein gehaltene Ausführungen befriedigen
wenig. Die altbekannte Formel vom mißverstandenen Luther, mit
deren Hilfe H. die Rczeptionsgesehiehtc auflistet (9). kann schwerlich
so gcschichtslos verwendet werden. Nicht akzeptabel ist die Behauptung
, die Datierung des reformatorischen Durehbruehs sei „in den
letzten beiden Jahrzehnten einwandfrei geklärt" worden (6). Dem
widersprechen schon Mehlhausens Darlegungen, in denen vor allem
ein wissenschaftlicher Überblick zu dieser Thematik seit dem letzten
Jahrhundert gegeben wird. In dem z.itatengcsältigten und dennoch gut
lesbaren Referat Erbens werden nicht nur die sattsam bekannten
Merkmale von Luthers Übersetzungsleistung erneut dargeboten. Vielmehr
gelingt dem Autor, teilweise durch Auswertung der ungedruckten
Dissertation seiner Schülerin Schwester Magdalena Moling über
die Verba dicendi im NT der Lutherbibcl von 1 545 (Innsbruck 1978).
der Nachweis, daß Luthers Übersetzung nicht auf den stillen Leser,
sondern auf den Vorleser zielt, d. Ii., daß nicht Sehreibe, sondern Rede
angestrebt wird (40). Sowohl der Prediger als auch der „Schriftsteller
und Publizist Luther hat .. . dem Bibel Übersetzer vorgearbeitet" (46).
Die Bedeutung der Lutherübersetzung, durch die eine im Zuge der
Konfessionsspaltung drohende Sprachspaltung paradoxerweise verhindert
wurde, arbeitet allgemeinverständlich W. Besch heraus: „Im
religiösen Zwist wuchs der Keim der gemeinsamen Sprache." (62)

„Glaube und Welt" ist der 2. Teil benannt, der drei Beiträge enthält
: Gerhard Sautcr: Handeln in der Freiheit des Glaubens.
Ethische Konsequenzen in Luthers Theologie (65-75); Klaus
Schiaich: Martin Luther und das Recht (77-97); Martin Honek-
ker: Martin Luther und die Politik (99-1 15). Sauter deckt die zentralen
Intentionen in Luthers Verhältnisbestimmung von Glaube und
Werk auf. Einer kritischen historischen Sieht halten seine Darlegungen
nicht in jedem Fall stand, z. B. hinsichtlich von Luthers Schlußwort
in Worms (70) und der sakrosankten Geltung der politischen und
wirtschaftlichen Verhältnisse Mitteldeutschlands zur Reformationszeit
als Ergebnis eines romantischen Heroenkults (74). Gerade für