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Ausgabe:

1986

Spalte:

748-750

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Heriban, Jozef

Titel/Untertitel:

Retto phronein e kenosis 1986

Rezensent:

Wolff, Christian

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Theologische Literaturzeitung I I 1. Jahrgang 1986 Nr. 10

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reduziert, ja ..entapokalyptisiert" und eine Anti-Apokalyptik vorstellt
. Br. ist der Überzeugung, daß dies auf einer Fehleinschätzung
apokalyptischer Theologie beruht; in seiner eigenen Interpretation
wird der Verfasser die Apokalyptik positiv verwenden. Im zweiten
Kapitel untersucht er „Form und Struktur von Markus 13"
(S. 13-20). Mk 13 umfaßt zwei Szenen; V. 1-2 (ein Apophthegma)
und V. 3-37. Die zweite Szene ist ein Apokalypse (V. 5b-36), die als
Schulgespräch gerahmt ist (V. 3-5a und V. 37). Die apokalyptische
Rede selbst gliedert sich in zwei Teile: V. 5b-27 (A) und V. 28-36 (B).
In A findet sich zuerst der zeitlich gegliederte Geschehensablauf in
drei Etappen: V. 7-8, 14-20 und 24-27; drei paränetischc Teile sind
dazwischen eingeschoben: V. 5b-6, 9-13 und 21-23. In B handeln
V. 28-32 vom zeillichen Verhältnis von zukünftigem Zeichen und
Hcilswendc und vom Termin der Heilswende; die V. 33-36 'reflektieren
über die paränetischen Folgen, die sich daraus ableiten. Das dritte
Kapitel („Das Problem einer Vorlage von Mk 13", S. 21-42) untersucht
kritisch alte und neuere Rekonslruktionstypen (vor allem
G. Hölscher, R. Pesch und F. Hahn) und postuliert Für Markus (neben
anderem Traditionsgut) eine „nach Beginn des jüdischen Krieges entstandene
schriftliche I orlqge", zu der V. 7-8, 14-20 und 24-27 in der
uns vorliegenden Form gehörten (S. 41; lediglich die zweite Zeitbestimmung
in V. 24 ist Markus-Redaktion). Im vierten Kapitel
(S. 43-73) werden dann „Situation und theologische Konzeption der
Vorlage" näher bestimmt. Die Vorlage ist eindeutig eine Apokalypse:
„die gattungsgemäße Funktion einer Apokalypse besteht darin, in
einer bedrohlichen Krisensituation aufgrund des esoterischen Einblicks
in die das Weltgeschehen überspannende geheime, himmlische
Weisheit. . . für die Gegenwart der Gruppenzugehörigen Klärung und
Vergewisserung herbeizuführen" (S. 45-46)., Die Vorlage entstand
während des Jüdischen Krieges (66-70 n.Chr.). nicht zu Beginn,
sondern „nahe an (den) sich für Jerusalem selbst abzeichnenden Ereignissein
)" (S. 46); der Verfasser der Vorlage blickt auf die Ereignisse
von V. 7-8 zurück und „prophezeit", was in V. 14-20 (und V. 24-27)
beschrieben wird. Nach Br. ist diese apokalyptische Vorlage nicht
jüdisch: sie hat ihren Ursprung „in der Jerusalemer Christengemeinde
" (S. 69). deren Anschauung von der Übertragung des
Gedankens der eschatologisch.cn Theophanie auf den Menschensohn
bestimmt ist. Das lange fünfte Kapitel (S. 74-162) ist der „Komposition
und theologischen Konzeption der Markus-Redaktion" gewidmet
. Markus blickt auf die Verwüstung Jerusalems zurück, die in V.
14-20 beschrieben wird, und „prophezeit" die Heilswende in V.
24-27. Im Textverlauf ist sein Standort demnach nach V. 23. In aufeinanderfolgenden
Abschnitten untersucht Br. dann zuerst die leitende
Szenerie des Schulgespräches und ihren Sitz im Leben (die Leitfragen
in V. 3-4 und ihre Beantwortung in V. 5-27; die apokalyptische
Lehre im zweiten Teil. V. 28-32; und die Paränese in V. 32-36)
und anschließend die Einschübe im Geschichtsabriß (V.
5b—6.9— 13.21 —23). Für die Mitchristen des Markus war die neue
Krisensituation dadurch entstanden, daß auf den Fall Jerusalems
nicht die Heilswende gefolgt war (Diffcrenzcrlährung). Markus, den
selbst nicht eine gemäßigte Naherwartung auszeichnet, reagiert darauf
mit der Verwendung der apokalyptischen Vorlage, die er jedoch etwas
verändert und aktualisiert und paränetisch anfüllt. (Die Paränese ist
nicht anti-apokalyptisch, sondern ein fester Bestandteil der Apokalyptik
!) Das Zeichen der Heilswcnde ist nun nicht mehr der Fall
Jerusalems, sondern das kosmische Geschehen, das in V. 24-25 beschrieben
wird. Das sechste und letzte Kapitel (S. 163-167) besteht
aus einem doppelten Anhang: die Struktur von Mk 13 und der griechische
Text, wobei die schriftliche Vorlage, der Traditionsstoff und
die Markus-Redaktion typographisch unterschieden sind. Es folgt
noch ein Verzeichnis ausgewählter Literatur (S. 168-172) und ein
Stichwort- sowie ein Stellenverzeichnis (S. 173-182; kein Autorenverzeichnis
).

Br. fordert zu Recht, daß man zur Rekonstruktion von Tradition
und Redaktion nicht nur Stilmcrkmale, sondern auch gattungsgc-
schichtliche und religionsgeschichtlichc Gesichtspunkte und dabei

auch unterschiedliche Problemlagen in Betracht zieht. Die ganze Studie
ist ein Plädoyer für die (Wiedcr-)Aufwcrtung der Apokalyptik (doch
anders, als etwa Käsemann das tut!). Mehrfach wird ein Vergleich zu
Elementen aus 4Esra gezogen, eine Schrift, die Br. eingehend studierte.
Br. schreibt mit scharfer Feder und greift oft frontal die vorangegangene
Exegese an (sein wichtigster Gegner ist R. Pesch). Durch die Lektüre des
Buches erhält man einen guten Eindruck sowohl von der globalen Sicht
als auch in hohem Maße von der Dctailexegese.

Br. hat sein Vorhaben, Mk 13 auch auf der markinischen Ebene
apokalyptisch-paränetisch aus einer konkreten Krisensituation zu erklären
, auf beachtenswerte und u. E. überzeugende Weise durchgeführt
. In dieser Hinsicht ist diese Monographie ein sehr bedeutender
Beitrag. Doch stelle ich mir eine Reihe von Fragen. Vor allem bleibt
auch weiterhin - das kann nicht genug betont werden - der hypothetische
Charakter der sogenannten schriftlichen Vorlage bestehen. Die
Rekonstruktion von Text und Sitz im Leben ist zweifellos verführerisch
, doch ist es schon a priori nicht sehr wahrscheinlich, daß der
Evangelist den Quellentext V. 7-8.14-20.24-27 so buchstäblich-
getreu überliefert. Ist z. B. V. 26 nicht markinisch und komponierte
Markus V. 15-16 nicht mit Hilfe einer Tradition, die auch Q bewahrte
(vgl. Lk 17,31 und Mt 24,17-18)? Das führt mich zum zweiten
Kritikpunkt. Es scheint mir noch immer, daß die markinische Redaktion
an vielen Stellen unterschätzt wird und daß damit gerechnet w erden
muß. daß Markus Q benutzte, und zwar nicht nur in V. 15-16,
sondern z. B. auch in V. 5b-6 und 21 -22 (vgl. Lk 17,23 = Mt 24,26), 9
und 1 I (vgl. Lk 12.1 1-12 = Ml 10.19) und 32-36 (vgl. Lk 12.35-46
und Ml 25.14-30). Ein dritter Meinungsunterschied betrillt die Identifikation
des „Zeichens" aus V. 4 auf der markinischen Ebene. Auch
wenn man annimmt, daß Markus bereits auf den Fall Jerusalems zurückblickt
, so scheint es mir doch, daß für den Evangelisten das Zeichen
in V. 14-20 und nicht in V. 24-25 liegt. Die temporale Verbindung
in V. 24 und die gemäßigte Naherwartung des Markus - auch
von Br. vertreten - unterstützen diese Sicht. Dies hat zur Folge, daß
sich tauta genomena in V. 29 u. E. auf den Inhalt von V. 14-20 bezieht
. Schließlich ist zu fragen, ob der Höhepunkt, d. h. die Heilswende
in V. 24-27, nicht doch besser als ein einigermaßen selbständiger
Abschnitt der Rede verstanden werden sollte, der kurze .prophetische
" Mittelteil. V. 23 ist doch deutlich abschließend (V. 21 -23 bildet
mit V. 5b-6 eine Inklusion!), und der dritte Teil (V. 28-37) entspricht
in verschiedener Hinsicht, inhaltlich und strukturell, dem
ersten (V.5b-23).

Aheres sei noch einmal wiederholt: Diese kritischen Bemerkungen
dürfen auf keinen Fall vergessen lassen, daß Br. ein wertvolles und im
ganzen gesehen ausgezeichnetes Werk über den so schwierigen Text
von Mk 13 geliefert hat.

Lcuven Jan Lambrecht

Herioan, Jozef: Retto &PONEIN e KENS1EIE. Studio esegetico SU
Fil 2.1-5.6.-IL Roma: LAS 1983. 462 S.gr.8*= Bibliotcca di
Scienze Religiöse, 51.

Zum Christushymnus Phil 2,6-1 I gibt es eine Fülle von Untersuchungen
. Dennoch ist der Druck der von J. Heriban 1980/81 an der
Theologischen Fakultät der Universitä Pontificia Salesiana in Rom
eingereichten Dissertation keineswegs überflüssig. Denn hier werden
nicht nur die Probleme des Hymnus erneut und umsichtig diskutiert,
sondern gleichgewichtig wird auch dessen Funktion innerhalb der
paulinischen Paränese zur Geltung gebracht.

Im ersten Hauptteil werden zunächst die Einlcitungsfragcn zum
Phil erörtert: H. tendiert zur literarischen Einheitlichkeit und kann
diese Sicht durch die Beobachtung stützen, daß das ein Vollkommen-
heitsbewußtscin (3,12-16) korrigierende Thema der richtigen inneren
Haltung des Christen den ganzen Brief durchzieht {phronein begegnet
von 1,7 bis 4,10 zehnmal, im übrigen Corpus Paul intim vierzehn mal).
Sodann werden die für das Verständnis von 2,6-1 1 relevanten Vorfragen
geklärt, vorallem das Problem seiner Herkunft (H. schließt sich