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Ausgabe:

1986

Spalte:

746-748

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brandenburger, Egon

Titel/Untertitel:

Markus 13 und die Apokalyptik 1986

Rezensent:

Lambrecht, Jan

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 10

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John P. Meier, der den Antiochia-Teil verfaßt hat, fallt es nicht
schwer, anhand von Gal 2 und Apg 11-15 das spannungsvolle Verhältnis
des Paulus zur antiochenischen Gemeinde zu belegen. Es ist
sicher richtig, daß es nach dem Antiochia-Zwischenfall zum Bruch
zwischen Paulus und ihr gekommen ist und daß Petrus seinen Einfluß
in ihr zu festigen vermochte. Vieles spricht auch dafür, daß das
Apostcldekret (Apg 15,19-21) im antiochenisch-syrischen Raum die
weitere Praxis des Zusammenlchcns von Juden- und Heidenchristen
bestimmte. Schwieriger wird es, wenn M. das Matthäusevangelium
als Zeugnis für das Selbstverständnis der antiochenischen Kirche in
der zweiten Generation auszuwerten versucht. Denn selbst wenn
dieses Evangelium in Antiochia entstanden ist. wofür sich in deaTat
Anhaltspunkte heibringen lassen, so scheint in ihm doch zumindest
teilweise das Erhe eines Judenchristentums aufbewahrt zu sein, das
sich erheblich von dem milden Heidenchristentum unterscheidet, das
nach M. für Antiochia bestimmend gewesen sein soll. Zu wenig ist
hier bedacht, daß Antiochia auch in starkem Maße von den vielfältigen
, für uns weithin undurchschaubaren christlichen Strömungen und
Gruppierungen des syrischen Hinterlandes beeinflußt gewesen sein
muß. Bedenkenswert ist allerdings Meiers Deutung von Mt 16,18, die
die Interpretation G. Bornkamms weiterführt: Wenn Petrus hier als
oberste rabbiirische Lchrautorität fChief Rabbi") für die gesamte
Kirche bezeichnet wird, so spiegle sich darin die geschichtliche Erinnerung
daran, daß Petrus durch seine Lehre und sein Verhalten den
Kurs der antiochenischen Kirche in der entscheidenden Frage des
Verhältnisses Judenchristen - Heidenchristen bestimmt habe. Petrus
werde hier mit seiner mittleren Linie als hleihendc Norm für die Ge-
samtkirchc verstanden in deutlicher Opposition zu Gemeinden und
Gruppen, die sich einseitig an die radikaleren Traditionen eines
Jakobus oder Paulus gebunden wußten (67).

Die Ignatianen sind das repräsentative Zeugnis antiochenischer
Theologie in der dritten Generation. Zwischen der losen Vcrlässungs-
struktur des Matthäus und der in ihnen vorausgesetzten normativen
Ordnung des drcigcglicdertcn hierarchischen Amtes klaßt ein Bruch.
Es ist sicher richtig, wenn die neue Entwicklung als Reaktion der Kirche
auf innere Bedrohung durch die Gnosis und äußere Bedrohung
durch staatliche Maßnahmen gedeutet wird. M. geht jedoch weiter
und feiert Ignatius als den Theologen, der eine umfassende Synthese
aller Strömungen des I. Jh. und damit das Werk des Matthäus weitergeführt
habe. Paulinismus und johanneische Theologie seien von ihm
mit der synoptischen Tradition zu einem neuen Ganzen zusammengebracht
worden, und er habe sich damit als Wegbereiter der noch
umfassenderen Synthese eines Ircnäus erwiesen (78). Es ist schade,
daß Meier tut feine nähere Begründung dieser These verziehtet hat.

Den Abschnitt üher Rom hat Raymond E. Brown verfaßt. Er setzt
ein mit Erwägungen über die Anfänge der römischen C hristenheit.
Daß diese zumindest bis zum C laudius-Edikt des Jahres 49 aus judenchristlichen
Gruppen bestand, ist heute opinio communis. B. möchte
nun darüber hinaus wahrscheinlich machen, daß die römische Gemeinde
in den 50er Jahren von einem Jerusalem nahestehenden,
durch indirekten Einfluß des Petrus geprägten milden Heidenchristentum
beherrscht war. Nur so sei es zu erklären, daß Paulus
seine im Galatcrbricf vertretene schroff antinomistische Position im
Römerbrief modifiziere und das Verhältnis Kirche-Judentum aufgewogener
interpretiere. Der Römerbrief sei also gleichsam eine Akkomodation
des radikalen Paulus an die petrinisehe mittlere Linie. Zu
wenig bedacht scheint mir hier der Umstand zu sein, daß Paulus die
römischen C hristen als potentielle Bundesgenossen in seiner Auseinandersetzung
mit den Jcrusalemcrn anspricht (Rom 15.30-33), und
daß er erwartet, daß sie ihm jene Wirkungsmöglichkeiten eröffnen, die
ihm im Osten wegen des sieh verstärkenden judcnehristliehcn Einflussesentzogen
wurden (Rom I 5,2.3). Paulus hat demnach schwerlich die
römische Gemeinde auf einer petrinisehen Linie des Kompromisses
gesehen! Zutreffend dürfte dagegen die Deutung des Lebensausgangs
des Paulus aufgrund von Phil I und IC'lcm 5 sein: Ein radikal judenchristlicher
Flügel der Gemeinde hat durch seine Intrigen gegen den

Heidenapostel staatliehe Maßnahmen gegen ihn mit veranlaßt. M. E.
ließe sich diese These auch von der Apostelgeschichte her, die B. nicht
heranzieht, erhärten.

Als Zeugnisse der zweiten Generation Roms werden das Markusevangelium
, der I. Petrusbrief und der Hebräerbrief herangezogen.
Interessant ist vor allem die Deutung des letzteren: Der Hebr polemisiere
mit seinen radikalen kultkritischen Thesen gegen judenchristlich
beeinflußte Tendenzen zu einer Rückwcndung zum Kult in der Gemeinde
. Diese Gemeinde wiederum, auf eine mittlere Linie eingeschworen
, war solchem Radikalismus ebenso abhold wie dem pauli-
nischen. Sie verwarf zwar den Hebr nicht, ließ sieh aber andererseits
auf ihrem Weg zur Neugewinnung des Kultes nicht beirren. Das bezeugt
der I. Clemensbrief, den B. mit Recht als repräsentativ für das
Selbstvcrständnis der römischen Christenheit der dritten Generation
ansieht. Nach ICIem 42 wird der Jerusalcmer Kult mit seiner Ordnung
zur bleibenden Norm für die Kirche erklärt. Damit aber wird
eine Entwicklung vorangetrieben, an deren Ende eine Sicht der christliehen
Amtsträger (Bischof- Presbyter - Diakonen) als Hohcrpricster.
Priester und Leviten steht (171). Darüber hinaus zeichnet ICIem ein
Bild kirchlicher Ordnung, das sich auf Gottes unveränderlichen, in
der Schöpfung anschauharen Ordnungswillen beruft und das zugleich
Anklänge an die Struktur imperialer staatlicher Ordnung aufweist.
Nur indem sich die Kirche dieses Modell zu eigen machte, war sie für
ihren langen Weg durch die weitergehende Geschichte gerüstet. Nach
B.s Urteil bildet I Clcm trotz der Neuheit vieler seiner Gedanken den
legitimen Anschluß der das Leben der römischen (temeirrde von Anläng
bestimmenden Fntwicklungslinie(181).

Vieles an der Darstellung historischer Sachverhalte und Entwicklungen
in diesem Buch ist anregend und nachdenkenswert, auch wenn
Vereinfachungen und Überzeichnungen immer wieder zum Widerspruch
herausfordern. Der eigentlich kritische Punkt liegt jedoch in
dem die Darstellung bestimmenden theologischen Geschichtsbild, das
auf zwei Voraussetzungen basiert: 1. Theologisch legitim war und ist
nur eine mittlere Linie des Kompromisses, die sich um die Integration
der verschiedensten Positionen bemüht. Radikale Formulierungen
des Evangeliums haben in der Kirche kein Lebensreeht, selbst wenn
sie von einem Paulus stammen sollten (214f). - 2. In der Kirche findet
eine organische Entwicklung der Wahrheit im Sinne einer immer
weitergehenden Synthese statt. Legitimer Ertrag des Neuen Testaments
ist darum das, was am Ende des I.Jh. steht - nämlich das
Ignatianische Briefeorpus und der I. C'lcmensbrief. Kein Zweifel:
Hier feiert der romantische katholische Organismusgedanke fröhliche
Erstände! Die in der heutigen ökumenischen Debatte so brisante
Frage, in welchem Sinne die Schriften der nachapostolischen Zeit an
der Norm des Evangeliums gemessen werden müssen und wo dieses
Evangelium zu suchen sei, bleibt hier völlig ausgeklammert. Anders
wäre die fast uneingeschränkt positive Würdigung der Ignatianen und
des ICIem nicht denkbar. Alles in allem stellt dieses Buch, obwohl der
Begriff ..Frühkatholizismus" in ihm nicht erscheint, einen römischkatholischen
Beitrag zur Frühkatholizismusdebatte dar. der in seiner
einseitigen Überspitzung der radikal ..protestantischen" Gegenposition
von E. Käsemann und S. Schulz in nichts nachsteht.

Erlangen Jürgen RololT

Brandenburger, Egon: Markus 13 und die Apokalyptik. Göttingen:
Vandcnhoeck & Ruprecht 1984. 182 S. gr. 8* = Forschungen zur
Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments. 134. geb.
DM 44.-.

Für den Verfasser dieser Monographie (= Br.) steht es außer Zwei fei.
daß Mk 13 zum Markusevangelium gehört. Br. gibt diesem Kapitel
eine, wie er sagt, ungewohnte Erklärung. Das Buch besteht aus sechs
hinsichtlieh ihres Umfangsschr verschiedenen Teilen. Das kurze erste
Kapitel des Buches („Zur Einführung", S. 9-12) weist daraufhin, daß
Markus nach der geläufigen Exegese in seiner Rede die Apokalyptik