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Ausgabe:

1986

Spalte:

744-746

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Brown, Raymond Edward

Titel/Untertitel:

Antioch and Rome 1986

Rezensent:

Roloff, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 10

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begrüßt). Die Datierung der Henochischen Bildreden und des Gebets
Josephs ins I.Jh. n.Chr. (mit vorbereitenden Traditionsperioden)
läßt Dunns Argumente über die Neuheit des Inkarnationsgedankens
doch etwas fraglicher werden (ebd. S. 78-81). In Dunns Entgegnung
(S. 97-103) scheint mir richtig zu sein, daß das Milieu des NT das
hellenistische Judentum ist, durch das römisch-griechische Vorstellungen
vermittelt sind, und daß vor einer schriftlichen Fixierung
Perioden mündlicher Überlieferung (über die man nichts weiß!) zwar
denkbar, aber keineswegs sicher sind. Bei eventuellen neuen Funden
ist seine These wie die jeder historischen Untersuchung selbstverständlich
neu zu untersuchen.

3. Intensiv besprochen wird James Dunns "Christology in the
Making", wo die Kontinuität von Jesu besonderer Sohnesstellung bis
zur Ausbildung einer Präexistenz/Inkarnations-Christologie im vierten
Evangelium aufgezeigt wird. Richtig scheint mir (gegen Dunn),
daß diese schon Phil 2,6-1 I und Kol 1,15-20, ja bei Paulus selbst
vorausgesetzt ist (Holladay S. 74; Füller mit M. Hengel S. 108), wofür
Dunn auch offen ist (S. 102). Er wehrt sich aber gegen ein, vielleicht
bei Segal vorliegendes Mißverständnis, als wollte er schon bei Jesus
ein Bewußtsein von Präexistenz und Inkarnation voraussetzen; ihm
liegt gerade daran, „Kategorien und Vorstellungen im Übergang" zu
sehen und so das Werden der Christologie. primär „von innen
heraus", zu skizzieren, so sehr dabei religionsgeschichtliche Einflüsse
ernst genommen werden (S. 102, 97). Segal ist zuzugeben, daß die
Belege für „Abba" bei Jesus sehr spärlich sind, und daß die weder als
jüdische noch als christliche Bildung verständliche Kreuzesinschrift
beweist, daß Jesus mindestens von seinen Gegnern als Messiasanwärter
gesehen wurde. Vor allem ist seine Bemerkung wesentlich,
daß die Erfahrung von Jesu Leben, Sterben und Erscheinen nach
Ostern die Gemeinde zu intensiver Schriftinterpretation führte, die
ihr half, ihn „mythisch" zu verstehen, z. B. als „Herrn" von Ps I 10.
Wie weit schon jüdische Ansätze für eine (noch nicht ausgebildete)
Präexistenzaussage vorliegen (auch von Juel S. 118 anerkannt), wäre
näherer Untersuchung wert (S. 88-94).

4. Die entscheidende Frage ist für Reginald Füller (S. 106-108,
1150 durch Schillebeeckx' Unterscheidung einer „Jesus-Theologie"
(Gott in Jesus wirkend) von einercigentlichen „Christologie" (bei Sch.
sekundär, vielleicht nicht weniger wichtig)-gcstcllt. Es ließe sich auch
an den britischen (dort sehr diskutierten) Sammelband "Myth of God
Incarnate" als Gegenpol zu Dunn denken (Holladay S. 71 0, wo auch
Gottes Wirken in und durch Jesus anerkannt wird, nicht aber eine
Inkarnation. Füller schlägt vor, die Weisheit oder den Logos als
„einen Aspekt innerhalb des wahren Seins Gottes" (nicht nur seines
Handelns!) zu sehen und so die Einheit von Gott und Mensch in Jesus
ontologisch-sakramental zu denken. In Jesus, der ganz Mensch ist. ist
der Logos in jedem Wort und jedem Tun Subjekt, wie Brot und Wein
dies bleiben, obwohl in ihnen Leib und Blut des Herrn dem Glaubenden
zukommen, so daß sie dazu „werden". Die Entwicklung der Jesus-
Theologie der Synoptiker zur C hristologie der Hymnen und des
Johannes ist also sachgerecht. Freilich ist zu fragen, ob man Sein und
Handeln einander so stark entgegensetzen darf, auch wenn man
Füllers Lösung nicht als Rückzug in die Orthodoxie (Juel S. 120) bezeichnen
mag. Donald Juels Hinweis (S. 117-121) ist jedenfalls wichtig
, daß Jesus (mit Schillebeeckx) nie ohne seine Jünger verstanden
werden darf, sein Sein also in dem gesehen werden muß, was er als Erlöser
für seine Gemeinde ist/tut. Kee führt dasS. 184-191 für die vier
Evangelien durch, weil er mit Recht das eschatologische Selbstbewußtsein
der Gemeinde als der „Heiligen des Höchsten" betont.
Wie dabei Redaktionsgeschichte und Sozialgeschichte einander beizuordnen
sind, fragt Duling daran anschließend (S. 198).

5. Wenn man mit Patrick Keiferls Zusammenfassung (S. 203-214)
das Bisherige noch primär durch historische Interessen geleitet ansieht
, als Fragen nach a)den hinter dem Text liegenden Ereignissen
und b)dcm, was der Verfasser (und seine Gemeindetradition) sagen
wollten, so habe ich am meisten Neuland gesichtet bei denen, die
linguistisch a)den Dialog zwischen Text und heutigen C'hristologicn

oder b) den Text an und für sich untersuchen. Das dauernde Hin und
Herzwischen den Erfahrungen der neutestamentlichen Gemeinde mit
Jesus und denen heutiger Gemeinden ist für Schillebeeckx typisch
(Ramisch S. 40). Man wird darum auch hier wie dort liturgische
Praxis und soziale Verhältnisse ernst nehmen müssen (Hurtado S. 23).
Vor allem ist das Problem des Redens von Gott ("God-Ianguage",
Juel S. 120) zu bedenken. Einmal ist das Kriterium früher oder später
Christusaussagen fraglich; früheste Christologie war die der Gegner,
die Jesus ans Kreuz brachten, und späte Aussagen können durch Erfahrung
und Auseinandersetzung geläuterte, sehr überlegte Formulierungen
sein. Dabei sind hymnische Abschnitte vielleicht besonders
geeignet, von dem zu reden, was menschliche Worte nie definitiv umfassen
können (Juel S. 1 19). Das führt Eugene liorine (S. 125-153)
dazu, am Beispiel des Markus Christologie als Erzählung zu erfassen.
Sie bleibt so eine immer offene Aussage ähnlich der des Gleichnisses.
Die Gegensätze von menschlich und göttlich, Geschichte und Escha-
tologie, Gegenwart und Abwesenheit, vor- und nachösterlich sind in
der Erzählung weit besser verbunden als in den statischen Begriffen
des Chalcedonense. Darum sind bei Markus auch Christologie und
Jüngerschaft (Ekklesiologie) untrennbar, wobei keineswegs die Jünger
nur Glaubende, die Außenseiter nur Gegner bleiben. In ähnlicher
Ausrichtung bespricht Michael Root(S. 155— 169) die Bilder einer Befreiung
von einer bösen Macht auf der einen, einer Versöhnung des
bösen Menschen auf der andern Seite und die Erzählungen von Jesu
Ohnmacht und Passivität auf der einen, seiner triumphierenden Aktivität
auf der andern Seite. Solche Spannungen sind im NT oft im gleichen
Satz vorhanden. Zugespitzt sind sie, wo es vom Leben aus dem
Tod spricht und dabei weder (bei Jesus) das Leben des Auferstandenen
nur metaphorisch versteht (wie Dan Via) noch (bei den „neugeborenen
" Christen) den Tod. "Configurational understanding" bedeutet
Verstehen im Kontext: Ein Brief, den ich verbrenne, ist nicht
primär brennbares Material, sondern eine Verbindung mit einem
Freund (an den ich mich erinnere oder von dem ich mich löse). Innerhalb
einer Erzählung ist das möglich und auch das Fortschreiten von
einem zum andern, wobei von hinten gesehen der Anfang oft schon
auf das Ziel verweist. Darum kann man theologisch vom Übergang
des Todes ins Leben nur in einer Vielheit von Annäherungen
sprechen, die immer auch anscheinend Widersprüchliches einschließen
. Zu delinieren ist das nicht, wie auch die Auferstehung selbst im
NT nicht beschrieben wird.

So trennt man sich von diesem Buch im Bewußtsein, daß vor allem
methodologisch noch vieles aufzuarbeiten ist, und dankbar für alle
Arbeit, die in SBL und AAR schon geleistet worden ist.

Miinncdorf Eduard Schweizer

Brown, Raymond F... S. S„ u. John P. Meier: Antioch and Rome.

New Testament C'radles of Gatholic Christianity. New York -
Ramsey: Paulist Press 1983. XII, 242 S. 8 geb. $ 9,95.

Dieses lebendig, teilweise sogar spannend geschriebene Buch behandelt
die Geschichte des Urchristentums aus einer ungewöhnlichen
Perspektive. Es zeichnet nämlich die kirchliche Entwicklung der beiden
großen Zentren Antiochia und Rom von den Anfängen bis zum
Ausgang des I. Jh. nach. Die Grundthese ist relativ einfach: Obwohl
beide Städte im Wirken des Paulus eine wichtige Rolle spielten, ist der
die Gemeinden hier wie dort konstituierende und tragende Einfluß
nicht von ihm und seinem radikalen gesetzesfreien Evangelium ausgegangen
. Vielmehr war es ein „mildes", zu Kompromissen mit dem
Judenchristentum bereites Heidenchristentum, das sowohl in Antiochia
wie in Jerusalem am Anläng der gemeindlichen Entwicklung
steht und sich auch am Ende der neutestamentlichen Epoche wiederum
als prägend durchsetzt. Dieses milde Heidenchristentum verbindet
sich mit der Gestalt des Petrus. Der Felscnapostel erweist sich also
als die integrierende und tragende Kraft, während der radikale Paulus,
obwohl als theologischer Anreger bedeutend, in seiner Auswirkung
auf die Gemeinden letztlich nur Episode bleibt.