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Ausgabe:

1986

Spalte:

700-701

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Honecker, Martin

Titel/Untertitel:

Zu Gast beim Anderen 1986

Rezensent:

Ulrich, Michael

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699

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 9

700

von 1559 drei Textstücke des Humanisten Sebastian Castcllio, der
Calvin besonders wegen der Hinrichtung Servets scharf angriff. Aus
der lutherischen Orthodoxie werden Texte von L. Hutter, J. Gerhard
und P. Gerhardt gewählt, denen Ch. Thomasius als früher Vertreter
der Aufklärung gegenübersteht (TeilC). Schleiermachcrs Bedenken
gegen den Versuch, durch eine Verpflichtung auf die Bekenntnisschriften
„die evangelischen Christen in ihrem Glaubens-Besitzstände
sicherzustellen", dokumentiert Teil D neben zwei Äußerungen von
Nitzsch. der die Amtsenthebung als rechtliche Folge davon sah. daß
der Amtsinhaber „dasselbe in seiner Person verneint, verläugnet, entkräftet
, entweihet hat". Der am Ende des 19. Jh. um das Apostolikum
entbrannte Streit spiegelt sich in Stellungnahmen von M. Kahler,
A. v. Harnack, W. Herrmann. Th. v. Zahn und M. Rade wider
(Teil E). Die Teile F, H, 1 und K behandeln das Problem der Lchr-
beanstandung im 20. Jh. unter besonderer Berücksichtigung der
„Fälle" Jatho(1911), Baumann (1953) und Schulz (1979). Bleibende
Beachtung verdient Harnacks Votum „Für das Spruchkollcgium"
(191 1), das energisch für dessen grundsätzliche Berechtigung eintritt
und damit die Lehrbeanstandung prinzipiell legitimiert. „Die Freiheit
schützen, aber die Existenz gefährden, das ist keine gute Politik."
Ebenso bemerkenswert ist', daß der sozialdemokratische „Vorwärts"
das liberale „Geschrei über Intoleranz" zurückwies, weil sich „absolut
nichts gegen ein die Ausschließung eines .irrlehrenden' Priesters
bezweckendes Verfahren" sagen lasse. - Zum „Fall Schulz" sind Beiträge
von E. Lohse, L. Mohaupt, A. Stein und H. Graß aufgenommen
. Lohse betont das positive Ziel aller Auseinandersetzungen über
Lehrabweichungen: „den magnus consensus wiederzufinden und den
einzelnen Prediger zu einer korrigierten und vertieften Einsicht seines
Predigtauftrages zurückzurufen". Dieses Ziel konnte allerdings bisher
bei den Hauptbetroffenen nicht erreicht werden. Harnacks nüchternes
Urteil, daß die Kirche ihre Identität schützen muß, bleibt gültig.

Die Frage der Selbständigkeit und damit Lehrfreiheit evangelisch-
theologischer Fakultäten gegenüber den Landeskirehen exemplifiziert
Teil G am Widerspruch der Marburger Fakultät 1929 (H. v. Soden,
R. Frick, R. Bultmann) gegen Art. 1 1 Abs. 2 des geplanten Kirchenvertrags
zwischen Preußen und den evangelischen Landeskirchen in
Preußen, der die Mitwirkung der Kirchen bei der Berufung von Professoren
vorsah. Die Genannten sahen darin eine solche ihr Gewissen
belastende Einschränkung der Lehrfreiheit, daß sie mit der Niederlegung
ihres Amtes und mit Kirchenaustritt drohten, falls die Autonomie
der Fakultäten geschwächt würde. Für Bultmann war es „eine
Anmaßung, wenn die Kirchenbehörde, die das Amt der Verwaltung
hat, das Amt der Lehre beansprucht. Die Theologie hat das Lehramt
in der Kirche inne." H. v. Soden bejaht aufs nachdrücklichste die
„Interessen- und Verantwortungsgemeinschaft von Kirchenleitung
und Fakultät", erklärt aber zugleich: „eine kirchcnrcgimentlich
gebundene Theologie bedeutet auf evangelischem Boden die Gefährdung
der Wahrheit". Der Protest war überzogen, denn es ging nicht
um eine kirchenregimentliche Bindung der Theologie.

Daß die Theologie immer eine Bindung eingeht, wenn sie die
„Interessen- und Verantwortungsgemeinschaft" bejaht, kommt auch
im Doktoreid zum Ausdruck, dessen Varianten von 1508 (Wittenberg
) bis zur Gegenwart (Bonn. Göttingen, Kiel, Münster) im Teil A
des 2. Bandes vorgestellt werden. Der Marburger Doktorcid von 1653
enthält das Versprechen: „non curiosis quaestionibus turbaturum
Ecclesiam"! Ordinationsverpflichtungen von 1505 bis 1983 (ohne die
1978 von der VELK/DDR und 1979 von der EKU/DDR eingeführte
Ordnung der Ordination) sind Inhalt des Teiles B. Einleitend bemerkt
H. Leipold: „Im Verständnis und in der Gestaltung der Ordinalions-
Verpflichtung kommt . . . das jeweilige Selbstverständnis des pfarramtlichen
Dienstes der Kirchen zum Ausdruck, das sie verpflichtend
gellend machen". Ebenso wichtig wie die Verpflichtung ist allerdings
die seelsorgerliche Funktion, die neuerdings gern ..Vergewisserung"
genannt wird. - Wichtige Stücke aus Kirchenordnungen des 16. und
17. Jh. bringt TeilC. darunter Auszüge aus dem Unterricht der
Visitatoren (1528) mit Luthers Vorrede, aus der Ziegcnhaincr Zuchtordnung
(1539) und der Mecklenburger Kirchenordnung (I 552). Die
Texte aus dem 18. und 19. Jh. (Teil D) sind im Unterschied zu den
Kirchenordnungen staatlich gesetztes Recht. Das gilt für das Wöll-
nersche Religionsedikt (1788) wie für das Allgemeine Preußische
Landrecht (1794). Lehrbcanstandung ist Sache staatlichen Rechtes.

Die Lehrbeanstandungsordnungen des 20. Jh. (Teil E) erhielten dadurch
einen entscheidenden Impuls, daß der Kirchenrechtler W. Kahl
1897/98 das Lchrbeanstandungsverlähren vom Disziplinarverfahren
unterschied: „Kein Glaubenssatz, ist Rechtsgebot", deshalb kann Irrlehre
nicht als Unrecht bestraft, sondern nurals Widerspruch zum Be-
kenntnis festgestellt werden, was freilich „die Verwirkung des Kirchenamtes
zur Folge haben muß". „Der Geistliche hat sich selbst
seines Amtes entsetzt, nachdem der Tatbestand seines Widerspruches
mit der Kirchenlehre feststeht." Dieser Ansatz wurde von dem 1910
erlassenen „Irrlehregesetz", das dem Verfahren gegen Jatho zu
Grunde lag. übernommen, und er wirkte in späteren Ordnungen weiter
. Die Lehrordnung der VELKD von 1956 begründete (I. I loffmann
in einem Synodalvortrag, dessen Bedeutung die Hgg. durch vollständige
Wiedergabe würdigen.

Das Mitspracherecht der Kirchen bei der Berufung von Theologieprofessoren
an Universitäten (vgl. I Teil G) ist Inhalt des Teiles F.
H. Leipold nimmt in der Einführung den positiven Gedanken v.
Sodens auf, daß er „einen Verantwortungszitsammenhang zwischen
Kirche und theologischer Fakultät" konstatiert, „der sich auch unter
den rechtlichen Bedingungen der Trennung von Staat und Kirche
durchhält und zu besonderen staatskirchcnrechtlichen Regelungen
geführt hat", deren Kodifizierung in Preußen und in der BRD
dokumentiert wird. Die Bemerkung sei erlaubt, daß dieser Verantwortungszusammenhang
in der DDR auch ohne staatskirchenrecht-
liche Regelungen praktiziert wird.

Der Schlußteil des zweibändigen Werkes enthält einige wichtige
katholische Texte, darunter die Professio fidei Tridentina (1564), den
Antimodernisteneid (1910), die Professio fidei von 1967 und die Ver-
lährensordnungen der Glaubenskongregation von 1965 und 1971. In
ihnen lallt besonders auf. wie wenig Einfluß der Betroffene auf das
Verfahren nehmen kann. Die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Dog-
matiker und Fundamentaltheologen äußerte 1981 die „Überzeugung,
daß die gegenwärtig gellende Verfahrensordnung der Kongregation
lürdieGlaubenslehrc . . . um der Glaubwürdigkeit der Kirche und um
des Friedens in der Kirche willen dringend der haldigen Revision
bedarf.

Das Werk bietet in einer gelungenen Auswahl informatives Quel-
lenmatcrial zu einer Problematik, deren Aktualität nicht erläutert
werden muß. Zu jedem der 1 7 Teile schrieb einer der Hgg. eine dem
Verständnis dienende und das Wesentliche hervorhebende Einführung
. Das Buch ist geeignet, in Seminaren und im Selbststudium ein
zentrales Problem kirchlicher Ordnung und theologischer Existenz
aufdem Hintergrund geschichtlicher Entwicklung zu durchdenken.

Gutenberg hei Halle (Saale) Eberhard Winklcr

Ökumenik: Allgemeines

Honecker. Martin, u. Hans Waldenfels: Zu Gast beim Anderen.

Evangelisch-katholischer Fremdenführer. Graz-Wien-Köln:
Styria 1983. 232 S. m. 49 Abb. 81. geb. öS 198.-.

Es ist unbestritten, Christen haben einen großen Nachholbedarf
über die ökumenische Großwetterlage. Sie brauchen dabei Hilfe, um
weder zu vereinfachen, noch zu resignieren. Welche Form sollte man
wählen, um das Interesse eines weiten Leserkreises zu linden?

Früher hatte man beim Betreten einer fremden Kirche ein beklommenes
Gefühl. Heute, zur Zeit des Massentourismus, werden Führungen
durch Kirchen einer fremden Konfession immer häufiger. Da
drängen sich dem Besucher die Fragen buchstäblich auf Schritt und
Tritt nur so auf. Das Kirchengebäude ist ein anschauliches Medium