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Ausgabe:

1986

Spalte:

48-51

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Coelifodina 1986

Rezensent:

Rochler, Wolfgang

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47

Theologische Literat urzeitung III Jahrgang 1986 Nr. I

48

C horäle mit Angabe der Dichter (das dort zuletzt aufgerührte Lied
..Wenn meine Sünd' mich kränken" braucht nicht "unidentified
hymn" ZU bleiben: Ls stammt von dem Hannoveraner Justus Gcsc-
nius 1646) sowie einem Index, der Personennamen, Buchtitel und
einige Sachstichworte umfaßt. Nicht nur cnglisehspraehige, sondern
alle am Gegenstand Interessierten können sieh über diese Ausgabe
freuen.

Görlitz Hermann Winde

Koch, Werner: „Sollen wir K. weiter beobachten?" Ein Leben im
Widerstand. Geleitwort von H. Gollwitzcr. Stuttgart: Radius-Verlag
1983. .326 S. 8'. Kart. DM 29,80.

..Dies ist kein Bericht besonderer politischer Einsichten oder über
konsequentes Handeln und Tapferkeit. Berichtet wird im Grunde
über eine nie ganz abgerissene Kette von Bewahrungen." Mit diesen
Worten charakterisiert der Autor selbst seine Erinnerungen an die
Zeit als Theologiestudent, als Vikar und Hilfsprediger. Erzählenswert
werden sie besonders durch die Tatsache, daß diese Lebensabschnitte
in die Jahre der NS-Hcrrsehaft in Deutsehland fielen. Werner Koch
entzog sich nicht der Herausforderung, welche die Naziherrschaft für
einen evangelischen Theologen darstellte. Er entschied sich für die
Bekennende Kirche und für aktiven Widerstand. Diese Entscheidung
brachte ihn in Konfrontation mit der „Gestapo" und führte ihn
schließlich ins Konzentrationslager. Einer Aktennotiz der Geheimpolizei
ist auch der Titel des Buches entnommen: „Sollen wir K. weiterbeobachten
?"

Diese Erinnerungen vermitteln der Kirchengeschichtsforschung,
die sich mit dem Kirchenkampf der Nazizeit befaßt, keine wesentlichen
neuen Erkenntnisse. Zeugenberichte dieser Art sind jedoch
dazu geeignet, die sachliche Beschreibung von Fakten als Geschichte
lebendiger Menschen verstehbar zu machen. Verständlich wird, wie
schwer es fiel, im gegebenen Augenblick die richtige Entscheidung zu
finden, verständlich werden Irrtümer und Unterlassungen, der sich
auch engagierte Christen in diesen schweren Jahren schuldig gemacht
haben.

Koch, der ein erfahrener Publizist ist, unterstreicht mit seinem
Bericht wichtige Ereignisse und Erfahrungen. Als Ehrenpflicht gegenüber
einem Mitstreiter hebt er die Tatsache hervor, daß der erste Blutzeuge
der Bekennenden Kirche ein Jude war. der Kanzleichef der Vorläufigen
Leitung BK Dr. Friedrich-Wilhelm Weißler. Am 18. Februar
1937 wurde er im Konzentrationslager Sachsenhausen, in dem sich zu
dieser Zeit auch Werner Koch befand, erschlagen.

Eindrücklich ist die Schilderung der Solidarität, die sich zwischen
den politischen Gefangenen im KZ entwickelte. Der größte Teil von
ihnen, etwa 90 Prozent, waren damals Kommunisten. Da sie die
innere Lagerverwaltung weitgehend in der Hand hatten, konnten sie
den von den SS-Bewachern so gehaßten „Pfaffen" vor dem Ärgsten
bewahren. Die Tatsache, daß sich entgegen kommunistischer Erwartung
ausgerechnet in der sonst als staatshörig empfundenen Kirche
der Widerstand gegen Hitler regte, führte zu der Annäherung
zwischen Marxisten und Christen. Koch nennt Namen von Mithäftlingen
, die später in der DDR hohe Funktionen ausübten.

Er weiß aber auch Beispiele anzuführen, wie „Bürgerliche" und
Angehörige des Adels sich den Verlockungen und Bedrängnissen
durch das Regime wenigstens teilweise widersetzten und in ihrem
Verantwortungsbereich versuchten, dem Verfolgten Hilfestellung zu
leisten. Die Entlassung nach zweijähriger KZ-Haft verdankte Koch
der Fürsprache eines Barons. Offiziere der deutschen Wehrmacht, zu
derer ein Jahr später nach Ausbruch des zweiten Weltkrieges einberufen
wurde, ermöglichten es dem christlichen Widerstandskämpfer,
auch als Soldat seinem Gewissen zu folgen.

Während dem Autor die Schilderung der Soldatenzeit stellenweise
geradezu zu einer Art Schelmenroman gerät mit einer Reihe von
erstaunlichen und erheiternden Geschichten, vermittelt er vor allem

bei Erscheinungen des frühen Kirchenkampfes informative Einblicke,
die über das persönliche Schicksal hinaus von Interesse sind. Unter
anderem gilt dies Für einen vom „Reichsbischol" Müller angeordneten
„Schulungskurs Für kirchliche Jugendarbeit" auf dem Hainstein
bei Fisenach, der im Jahre 1934 stattfand. Die Proteste der Teilnehmer
gegen die mangelnde geistliche Substanz dieses „national-politisch
" überfremdeten Unternehmens Führten zum vorzeitigen Abbruch
des Kurses.

Den Hauptkonllikt mit dem NS-Staat beschwor Werner Koch, der
seit Ende 1935 Kandidat in dem von Dietrich Bonhoeffer geleiteten
Finkenwalder Predigerseminars war, durch seine journalistische
Arbeit herauf. Er belieferte Berlin-Korrespondenten der Auslandspresse
mit Nachrichten und Berichten aus der Bekennenden Kirche.
Zum Eklat kam es, als die Bekennende Kirche Hitler am 4. 6. 1936
eine streng vertrauliche Denkschrift zugchen ließ, in der unter Anführung
vieler konkreter Beispiele faschistischer Gewaltherrschaft der
Reichsregierung die Frage vorgelegt wird, „ob es unserem Volke auf
die Dauer zuträglich sein kann, wenn der bisherige Weg weiter beschritten
wird".

Zusammen mit Ernst Tillich, einem Neffen des bekannten Theologen
, beschloß Koch, „den Staat - aber auch die Kirche - in Zugzwang
[zu] bringen". Weiter schreibt der Verfasser: „Tillich läßt sich von
Weißler Für eine Nacht die Denkschrift aus dem Panzerschrank der
Kanzlei geben. Dies zu seiner eigenen Unterrichtung und zur Erstellung
eines knapp gehaltenen Kommuniques für die ausländische
Presse. Statt sich darauf zu beschränken, macht Ernst Tillich sich aber
eine vollständige Abschrift und übergibt sie ohne mein Wissen und
vor allem ohne das Wissen von Weißler am 15. Juli den ausländischen
Korrespondenten."

Obwohl bereits gut eine Woche zuvor ein emeritierter DC-Pfarrer
den Text der Denkschrift - offensichtlich aus dem Apparat des NS-
Staates selbst-erhalten und an Auslandskorrespondenten weitergegeben
hatte, wurden Tillich, Weißler und Koch verhaftet und schließlich
ins KZ eingewiesen. Die AfFäre bot den Nazis die Handhabe, um
die protestierende Kirche als „hochverräterisch" abzuqualifizieren.
Andererseits Führte sie dazu, daß der in der Denkschrift formulierte
Protest auch in Deutschland weiterhin bekannt wurde. Ihre ausführliche
und dokumentarisch belegte Schilderung stellt einen der Drehpunkte
der Koch'schen Erinnerungen dar.

Man liest den Lebensbericht Kochs, der mit dem Übertritt zu den
Alliierten Truppen 1945 abschließt, mit Spannung. Sie entsteht sicher
auch dadurch, daß der Autor geschickt zu dramatisieren versteht. Vor
allem ist sie aber darin begründet, daß der Leser Zeuge wird, wie ein
Christ in schwerer Zeit versucht, der Stimme seines Gewissens zu folgen
.

Jena Gottfried Müller

Dogmen- und Theologiegeschichte

Paltz. Johannes von: Werke. 1: Coelifodina. Hrsg. u. bearb. von Ch.
Burger u. F. Stasch unter Mitarb. von B. Hamm u. V. Marcolino. 2:
Supplementum Coelifodinae. Hrsg. u. bearb. von B. Hamm unter
Mitarb. von Ch. Burger u. V. Marcolino. Berlin - New York: de
Gruyter 1983. LV, 527 S. u. LVI, 504 S. m. 1 Abb. gr. 8- = Spätmittelalter
und Reformation. Texte und Untersuchungen. 2 u. 3. Lw.je
DM 198.-.

Seit der ersten enzyklopädischen Darstellung von Theologie und
Werk des Augustinereremiten Johannes von Paltz (ca. 1445-1511;
zit. als: JvP) bei Theodor Kolde1 sind nach einer durch spezifische
Interessenlagen akzentuierten Rezeptionsgeschichte mit der vorliegenden
Werkausgabe die äußeren Voraussetzungen für eine im Detail
belegbare neue Sicht seiner Person im Wirkungsbereich spätmittelalterlicher
Entwicklungen in Theologie, Kirche und Volksfrömmigkeit
geschaffen worden.2 Die im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereichs
Spätmittelalter und Reformation (Projektbereich H. A.