Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1986

Spalte:

692-693

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Sundermeier, Theo

Titel/Untertitel:

Das Kreuz als Befreiung 1986

Rezensent:

Hollenweger, Walter J.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

691

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 9

692

Der enge Zusammenhang der Theologie mit dem gottesdienstlichen
Geschehen der Kirche und das Verständnis der OlTenbarung als Erlösung
, an der man in der Kirche in personaler Beziehung mit Christus
teilhat, haben wesentlich zu dem personalen Verständnis der
OlTenbarung beigetragen." (S. 1280

Teil II „Die Tradition" behandelt die Tradition aus der Sicht der
evangelischen Theologie. Untersucht werden Luther, Melanchthon,
M. Chemnitz und J. Gerhard sowie die Neubesinnung auf das Problem
der Tradition in der zeitgenössischen evangelischen Theologie.
Der Autor resümiert u. a. wie folgt: „Daß das Phänomen der Tradition
als ein Konstitutivelcment zum Wesen der Kirche gehört, ohne
das sie nicht existieren und ihre Aufgabe nicht erfüllen kann, ist in der
evangelischen Theologie zu einer Selbstverständlichkeit geworden.
Der gegenwärtigen Neubesinnung auf das Problem der Tradition, die
zu deren Aufwertung führte, legte sie ein neues Verständnis zwischen
Schrift und Tradition zugrunde, das sie aus der Überprüfung und Geltendmachung
des reformatorischen Ansatzes gewann. Eine dogmatische
Entgegensetzung von Schrift und Tradition und eine totale und
prinzipielle Infragestellung der Tradition kann nicht auf die Reformation
zurückgeführt werden." (S. 211)

Teil tl, II widmet sich dem Traditionsverständnis in derorthodoxen
Theologie. Der Vf. betont den apostolischen Ursprung sowohl der
mündlichen als auch der schriftlichen Tradition. Er fährt fort: „Eines
der kennzeichnenden Merkmale des orthodoxen Traditionsverständnisses
ist in der engen Verbindung zu sehen, die zwischen der Tradition
und dem liturgisch-sakramentalen Lehen der Kirche besteht, wie
auch darin, daß die Tradition als ein pneumatisches Phänomen aufgefaßt
wird . . . Durch den Hl. Geist vollzieht sich der Prozeß der Überlieferung
, deren Hauptgewicht in der orthodoxen Kirche nicht in der
Weitergabe von Lehren und Vorschriften, sondern in der Übermittlung
der Heilsgnadc besteht ... In der Zusammengehörigkeit von
Schrift, Tradition und Kirche erhält die erstcre, die auf die beiden anderen
angewiesen ist, den ersten Rang."(S. 303f)

Teil III nennt mögliche „Ökumenische Perspektiven". Die auch in
diesem Überblick deutlichen Konvergenzen sind „im Vergleich zu
dem Anfangsstadium des evangelisch-orthodoxen Dialogs zweifellos
ein weitgehender Fortschritt". M. vermerkt vor allem „die Rehabilitierung
der Tradition in der evangelischen Theologie, ohne daß das reformatorische
sola scriptum aufgegeben wurde, eher gelangte man auf
dessen Grundlage zu der Erkenntnis, daß sich ,aus dem Schrillprinzip
mit Notwendigkeit eine Lehre von der Tradition' (G. Eßeling, Sola
scriptum . . „S. 140) ergibt" (S. 320).

Wiewohl in derorthodoxen Theologie „der Begriff des Schriftprinzips
als solcher kaum vorkommt", führt der Autor aus: „Das Eigentliche
eines orthodox verstandenen Schriftprinzips besteht darin, daß
ds außerhalb von Tradition und Kirche nicht zur Geltung kommen
kann. Eine Schrift, die losgelöst von der Tradition und Kirche existiert
, wäre für das orthodoxe Verständnis eine pure Abstraktion, und
deshalb setzt die Anerkennung eines Schriftprinzips diese beiden unausweichlich
voraus. In der orthodoxen Kirche ist es nicht möglich,
von der besonderen Autorität der Schrift zu sprechen, ohne dabei die
Kirche einzubeziehen. Das soll nicht heißen, daß sie ihre Autorität
von dieser empfangt, sondern daß sie mit der Kirche zu [der Autor
meint wohl: sehr] eng verbunden ist." (S. 327) Es wäre allerdings
nach Ansicht des Autors „unrealistisch", in „der konvergierenden
Entwicklung der Ansichten" mehr als „Teilübereinstimmungen" zu
sehen (S. 320).

Die Darstellung gewinnt, wenn das Grundproblem anhand von
konkreten Äußerungen kirchlichen Lebens (etwa der Liturgie) dargestellt
wird (S. 87-97. S. 255-266). Dem Verständnis von Offenbarung
und Überlieferung sollte darüber hinaus einmal in der verschiedenen
Spiritualität der beiden Kirchen nachgegangen werden, z. B. im
Mönchtum bzw. im Pietismus.

Die von M. erarbeiteten Übereinstimmungen bieten meiner Meinung
nach echte Möglichkeiten für den weiteren orthodox-evangelischen
Dialog. Die Monographie des Staniloae-Schülers, aus einer

von E. Schlink und R. Slenczka betreuten Dissertation hervorgegangen
, sollte deshalh von Theologen beider Kirchen, zumal denen am
ökumenischen Gespräch bzw. an den bilateralen Dialogen interessierten
und beteiligten, sorglältig zur Kenntnis genommen werden.
S. 326 ist ein Absatz doppelt gedruckt.

Naumburg (Saale) Günther Schulz

Bosshard. Stefan Nikolaus: Evolutionismus und Kreationismus (StZ III.
1985,232-240)

Düring, Heinrich: Paradigmenwechsel im Verständnis von OlTenbarung. Die
Fundamentallhcologie in der Spannung zwischen Wortthcologic und OITcnba-
rungsdoktrin(MThZ 36. 1985,20-35).

Egea Albaladejn. Fernando: Experieneia de Dios en cl hombre y dialogo con
el ateistno. La aportaeiön de Karl Rahner (Carlhaginensia. 1, 1985.27-67).

Fischer. Hermann: Modernes Selbstgefühl und religiöse Erfahrung. Lulher-
Schleicrmachcr-Bultmann (Luther 56. 1985.116-128).

Hägglund, Bengt: Skandinavische Beiträge zur Methodenfrage der systematischen
Theologie(ThR 50. 1985.364-378).

Kloostcr. Fred H.: Barth and the Future of Evangelieal Thcology (WThJ 47.
1985,301-317).

Lenz. Hermann. Liveriou, Katcrina. u. Gottfried Ciriesl: Ich verwandle mein
Leben in Sinn. Erkennen und Bewältigen von Lebenskrisen. Wien-Frciburg-
Basel: Herder 1985. 179 S. 8'.

Möllmann. Jürgen: Christscin. Mensehsein und das Reich Gottes (StZ 203.
1985.619-631).

Pältz. Eberhard: Taufe und Inkulturation. Aspekte der Verkündigungs- und
Auslegungsgcsehiehtc des Evangeliums (Vorb. Thesen) (Amtsblatt der Evang.-
Luth. Kirche in Thüringen 38. 1985. 104-109).

Santmire. H. Paul: Toward a New Theology of Naturc (Dialog 25. 1986.
43-50).

Kitsehl. Dietrich: Theologie als Erkenntnis. Edmund Schlinks Verständnis
von Wahrheit vor dem Hintergrund der Theologen seiner Generation (ÖR 34.
1985,287-298).

Slenczka, Reinhard: Zeichen der Zeit und Zeitgeist. Zur Gegenwartsverantwortung
lutherischer Theologie (Lutherische Kirche in der Welt. 33. 1986.
13-33).

Systematische Theologie: Dogmatik

Sundermeier. Theo: Das Kreuz als Befreiung. Kreuzesinterpretationen
in Asien und Afrika. München: Kaiser 1985. 99 S. 8° =
Kaiser-Traktate, 89. Karl. DM 13,-.

„Schaut man sich die Kreuzesinterpretationen abendländischer
Theologie an, so hat man den Eindruck, daß die uns zur Verfügung
stehenden Interpretationsmodelle durchgespielt sind und neue Ver-
stehcnshilfen nicht in Sicht sind." Zu diesem Schluß kommt der Heidelberger
Missionswissenschaftler Theo Sundcrmcier. Also macht er
sich auf die Suche nach koreanischen, japanischen und afrikanischen
Interpretationen des Kreuzes. Das ist deswegen nicht einfach, weil die
tragenden theologischen Aussagen dieser Kulturen - wie in der Bibel -
in narrativer Form erscheinen. Natürlich ist Sundcrmcier zuzustimmen
, wenn er fordert, daß ein Dogmatikcr, der den Anspruch auf ökumenische
Relevanz erhebt, die Anfragen und Neuansätze der Dritte-
Wclt-Theologen verarbeiten muß. Aber wie das im Einzelnen geschehen
kann - da ja eine Dogmatik von ihrem Wesen her begrifflich,
systematisch und analytisch sein muß -, scheint mir noch olTcn zu
sein, außer der Dogmatikcr wende das, was er von andern fordert, auf
sich selber an. Das Resultat wäre dann nicht lediglich eine theologia
crucis, sondern „einegekreuzigte Dogmatik".

Ansätze dazu gibt es in dem unterdessen berühmt gewordenen
Roman des japanischen Theologen Shusako Endo („Schweigen",
1977). Nicht nur die allgemein menschlichen und vorchristlichen
Vorstellungen über Gott werden unter die Kritik des Kreuzes genommen
, sondern auch unser christliches Kreuzes- und Christusbild;
unsere theologische Wissenschaft muß sich jeweils vom Kreuz neu
zerstören lassen, „um dem Jesus immer näher zu kommen, der als der
,do-nothing man'... alle gewinnt und überwindet".