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Ausgabe:

1986

Spalte:

44-45

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Keller, Rudolf

Titel/Untertitel:

Der Schlüssel zur Schrift 1986

Rezensent:

Koch, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. I

44

(1500-1560) sowie zu den deutschen Bauernaufständen 1525/1526.
Leider fehlt ein Register.

Der Wert des Buches liegt in seiner Qucllenerschließung und in den
Korrekturen zu Maceks Angaben und Deutungen. Befremdlich ist der
Ton der Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur, vor allem mit
Maceks Werk, zumal der Autor in seiner eigenen Argumentation beileibe
nicht immer hart an den Quellen bleibt (z. B. 61: Erwerb der
militärischen Kenntnisse, 63 u.ö.: Statuten von 1525 als I. Landesordnung
, 135 u. ö.: Gaismairs Glaube als täufernah, 84 Anm. 74: „Zu
Gaismairs Anhang scheinen vor allem die täuferischen Bauern gezählt
zu haben."). Der Materialreichtum qualifiziert das Buch trotz seines
fragmentarischen Charakters zum wichtigen Forschungsbeitrag.

Der in der Täuferforschung ausgewiesene und in Waterloo, Kanada
, lehrende Historiker Walter Klaassen setzt sich ebenfalls mit
Maceks Werk auseinander. Sein Gaismairbuch berührt sieh auch
sonst mit dem von Büeking, unterscheidet sich aber in Anlage und Art
(Umgang mit der bisherigen Forschung) beträchtlich. Im Gegensatz zu
Macek beabsichtigt er darzulegen, "that Gaismair was a man of his
time and not a modern secularist" (VII).

Den 1. Teil seiner Arbeit widmet Klaassen dem Tiroler Aufstand
von 1525 und Gaismairs Beteiligung. Bei der Darstellung der Situation
in Tirol ist Klaassen, anders als Büeking, vorwiegend auf gedruckte
Quellen angewiesen. An wenigen Stellen erschließt auch er,
über Büeking hinausführend, neues archivalisches Material, so z. B.
bei der Auswertung des Raitbuches von 1523 für die Tätigkeit Gaismairs
als Landschreiber an der Etsch (16 u. ö.), vor allem aber Für die
Darstellung des letzten Lebensabschnittes im venetianischen Exil
(42-70). Eine derart einschneidende Funktion wie Büeking billigt
Klaassen der Inhaftierung durch den Innsbrucker Hofrat nicht zu.

Im 2. Teil spürt Klaassen den religiösen und sozialen Anschauungen
Gaismairs nach. Eingangs weist er auf die ungleich schmalere
Quellcnbasis im Vergleich zu Müntzer hin. Um die Editionsfrage ist es
ebenfalls nicht gut bestellt. Für die engl ischsprachige Welt bemüht
sich Klaassen um Abhilfe, indem er als Anhang 1 drei Briefe und die
Landesordnung (leider nur nach Hollaendcr) in englischer Übersetzung
wiedergibt. Letztere steht auch im Mittelpunkt der Ausführungen
des 2. Teils. Er vergleicht die Landesordnung mit anderen
Bauernprogrammen (Allgäuer Bundesordnung, Weigands Reichsreformentwurf
, Meraner Artikel). Ähnlichkeiten erklären sich aus dem
gesamtreformatorischen Gedankengut, vor allem Zwingiiseher Prägung
. Eindringender ist Klaassen bemüht, die biblischen Bezüge der
Landesordnung aufzuweisen, wenngleich vieles im Bereich der Vermutung
bleiben muß. Selbst die behauptete hesonders starke Präsenz
des Alten Testaments bedürfte einer gründlicheren Untersuchung.
Mehr als eine hypothetische Erwägung ist auch die Vermutung nicht.
Gaismairs starke Bibelorientierung wurzele in dem Besuch der „Prophezei
" bei seinem Zürichaufenthalt (871). Ähnlich spekulativ mutet
die Überlegung an, die Rede vom „Ewig wort gottes" (2. Artikel der
Landesordnung) sei eine Variante des „ewigen Evangeliums" von
Offb 14,6 (87). Entgegen der Behauptung Klaassens spielt diese Bibelstelle
übrigens bei Müntzer keine Rolle. Gegründeter ist der Hinweis
auf den Einfluß Zwingiis und der Züricher Reformatoren, obgleich er
ebenfalls nur "in general terms" nachgewiesen werden kann (92). Die
Grenzen dieses Einflusses sind deutlich erkennbar. Gaismair folgte
Zwingli im Verständnis und Gebrauch des Alten, nicht aber des
Neuen Testaments. Von Jesus, aber auch von der Rechtfertigungslehre
ist in der Landesordnung nicht die Rede, wie ihr Verfasser überhaupt
wenig Interesse an den großen theologischen Streitfragen seiner
Zeit gehabt zu haben scheint (104f). Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt
Klaassen mit seiner Untersuchung von Gaismairs Verhältnis
zum Täufertum. Gedankliche Berührungen lassen sich ebenso wenig
abstreiten wie der Kontakt zu Täufern, dennoch sind die Unterschiede
gravierend. "Gaismair's revolution and Anabaptism did not merge
and Gaismair himself was not a Anabaptist" (116). Klaassen ist bemüht
, Gaismairs Eigenständigkeit herauszuarbeiten. Gaismair sei "an
original political and social theorist, and a unusual religious noncon-

formist" gewesen, betont er (122). Mit seinem Sendungsbewußtsein
und seinen Anschauungen stehe er eher in der Tradition der alttesta-
mcntlichen Propheten (121).

Ein Abriß der Gaismair-Rezeption, bei dem die Konturen nicht so
scharf gezogen sind wie bei Büeking (Anhang 2), eine Bibliographie,
die man sich sorgfältiger gearbeitet wünschte, sowie drei Register
schließen Klaassens Buch ab, das seinen Platz in der Forschung behaupten
wird. Diese hat inzwischen durch den Nachweis von Gaismairs
Anteil am Berghau als Mittelgewcrkc und seine Karriere als
Hauptmann in Diensten des Landeshauptmanns Leonhard von Völs
(beendet durch Unlerschlagungsvorwurf) die Ergebnisse von Büeking
und Klaassen an wichtigen Stellen korrigiert und weitergeführt (Angelika
Bischoff-Urack: Michael Gaismair. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte
des Bauernkrieges. Innsbruck 1983).

Berlin Siegfried Brauer

Keller. Rudolf: Der Schlüssel zur Schrift. Die Lehre vom Wort Gottes
bei Matthias Flacius lllyricus. Hannover: Luth. Verlagshaus 1984.
21 1 S. gr. 8" = Arbeiten zur Geschichte und Theologie des Luthertums
, N. F. 5. Kart. DM 25,-.

Die Bedeutung des Matthias Flacius lllyricus für Gestaltung und
Inhalt der (lutherisch-) orthodoxen Lehre von der Heiligen Schrift ist
seit langem bekannt und wird oft erwähnt. Eine wirkliche Aufarbeitung
dieser Lehre ist aher mit G. Moldaenkes Ansatz von 1936 stck-
kengebliebcn. Die vorliegende Arbeit verfolgt ein doppeltes Ziel: Sic
will zunächst „Hilfe sein zu einem tieferen und gerechten Verständnis
der ganzen Epoche", der 2. 1 lälfte des 16. Jahrhunderts (S. 1 I); sie ist
sich aber auf der anderen Seite auch dessen bewußt, damit zugleich in
das gegenwärtige Gespräch über das Problem der Heiligen Schrift und
ihrer Autorität einzugreifen. Nur darf nach der Überzeugung des Vf.
der Rückgriff auf die Aussagen des 16. Jahrhunderts „nicht zum Griff
in eine geistige WalTenkammcr werden, aus der man Munition gegen
zeitgenössische Kontrahenten entnimmt" (S. 14).

Die Arbeit, eine überarbeitete Erlanger Dissertation von 1982. geht
im Anschluß an einen forschungsgcschichtlichcn Ühcrblick in vier
Schritten vor: Einem ersten - dem umfangreichsten - Untersuchungsgang
über die Auseinandersetzung zwischen Flacius und Schwenck-
feld (S. 25-92) folgt als Untersuchung zur Vorgeschichte der Clavis
Scripturac Sacrac ein Ahsehnitt über ältere exegetische Arbeiten des
Flacius und seiner Zeitgenossen (hiermit ist vor allem Georg Major gemeint
) (S. 93-1 17); ihm sehließt sieh eine Untersuchung der Clavis
(S. 118-161) und der Glossa Compendiaria von 1570 (S. 162-171)
an. Den Schluß bilden als eine Art Resume zwei kürzere Abschnitte
über Flacius und Erasmus (S. 1 72-176) und über das im Oberthema
des Titels angegebene Problem (S. 177-186). Damit dürfte das bei
Flacius vorliegende thematische Untersuchungsmaterial im wesentlichen
vollständig erfaßt worden sein, das die Arbeit als „historisch
angelegte Textanalyse" (S. 23) erschließen möchte.

Es ist völlig ausgeschlossen, an dieser Stelle den Argumentationsgang
der Untersuchung nachzeichnen zu können. Er wird sich dem
Leser von selbst erschließen, weil er durchsichtig und einsichtig angelegt
ist. Es sollen lediglich ein paar Anfragen und Einwände geäußert
werden, die freilich die Kernthese des Buches berühren. Nach gründlicher
Lektüre der Analysen, die der Vf. vorgelegt hat. erhebt sich die
Frage, ob die Tendenz der Aussagen des Flacius nicht doch auf die
Sicherung der Gewißheit und Autorität des Bibelwortes um seiner
Autorität willen geht, die es anderweitigen menschlichen Autoritätsansprüchen
gegenüber beanspruchen kann. Das würde bedeuten, daß
Flacius Schwcnckfeld und der tridentinischen Theologie gegenüber
ein gemeinsames Ziel hat (übrigens erscheint es mir als sehr wahrscheinlich
, daß die strenge Theorie vom Ursprung des alttcstamcnt-
lichen Textes in der Magisterpromotion des Flacius von 1546 - vgl.
S. Ulf-, auf die Flacius später nicht wieder zurückgegriffen hat.
bereits antilridentinischen Sinn hatte). Für die Auseinandersetzung