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Ausgabe:

1986

Spalte:

629-631

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Vogt, Theophil

Titel/Untertitel:

Bibelarbeit 1986

Rezensent:

Wegenast, Klaus

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629

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 8

630

Kurz, Wolfram: Die Bedeutung der Meditation für die Seelsorge (WdM 38,
1986,145-157).

Kushner, Harold S.: Wenn guten Menschen Böses widerfährt. Aus dem
Amerik. von U. Galm-Friebocs. Bearb. von H. Sponsel. Gütersloh: Gütersloher
Verlagshaus Gerd Mohn 1986. 141 S. kl. 8'= GTB/Siebenstern 1089.
Kart. DM 9,80.

Steinmetz, Franz-Josef: Muß Buße so schwerfallen? Zum Thema ..Einzel-
beichte"(GuL 59,1986,133-144).

Sundin. Hjalmar: Der psychologische Aspekt in der Rechtfertigung durch
den Glauben (KuD 32, 1986,120-131).

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Vogt, Theophil: Bibelarbeit. Grundlegung und Praxismodelle einer
biblisch orientierten Erwachsenenbildung. Stuttgart-Berlin (West)-
Köln-Mainz: Kohlhammer 1985. 173 S. gr. 8'= Praktische Wissenschaft
: Kirchengemeinde. Kart. DM 29,80.

Hier schreibt ein Praktiker der Erwachsenenbildung der ersten
Stunde, Leiter eines der ersten kirchlichen Institute für die Arbeit mit
Erwachsenen über ein altes und doch ganz neues Gebiet kirchlicher
Aktivität in der Gemeinde: Die Bibelarbeit. Dabei denkt er nicht an
die traditionelle Bibelstundc, in der ein Pfarrer seine Gedanken zu
einem Text in einem Stil zwischen Predigt und Konfirmandenunterricht
alter Prägung darbietet und vielleicht am Schluß der Veranstaltung
auch noch eine Frage zuläßt, sondern an Gruppengespräche, in
denen ein Theologe als Berater, Animator oder Moderator auch noch
eine Rolle zu spielen hat, aber im übrigen der erwachsene Laie das
Wort führt.

Das Buch ist übersichtlich aufgebaut. Einem Kapitel, in dem der Vf.
anthropologische, ekklesiologische und theologische Gründe für eine
bibelorientierte Erwachsenenbildung zur Diskussion stellt, folgen in
einem 2. Kapitel „Hermeneutische Chancen des Bibelgesprächs"
Überlegungen zu neuen Wegen biblischer Arbeit angesichts einer gemeindefernen
und in der Regel „unverständlichen" wissenschaftlichen
Arbeit an und mit der Bibel, aber auch angesichts von Versuchen
biblizistisch-pietistischer Direletvermittlung zwischen Text
und gegenwärtigem Gemeindeglied. M. a. W. heißt das, Vogt will
nicht den Theologen finden in seiner Bibelarbeit, aber auch nicht den
..frommen" Laien, sondern den kritischen, aber mündigen Zeitgenossen
. Dieser soll dazu ermutigt werden, sich selbst ganz in eine
Lektüre biblischer Texte einzubringen. Frager und Hörer zugleich zu
sein. Und das in einer Zeit, da die Bibel in unseren Gesellschaften ein
unbekanntes Buch geworden ist und in der Regel unter einem Berg
von Vorurteilen liegt. Diesen Tatbestand will Vogt nicht nur als hinderliche
Barriere verstanden wissen, sondern auch als Chance z. B. für
ein unbeschwert daherkommendes eigenes Forschen, das mit allen
Mitteln neuzeitlichen Denkens fragt, aber auch bereit ist zu hören und
sich aufmerksam machen zu lassen. Ja, ein Dialog soll es sein, was
Bibelarbeit initiieren möchte, ein Gespräch zwischen Texten, die literarisch
verdichtete Glaubenserfahrung repräsentieren, und Menschen
, die sich ihrer heutigen Erfahrungen bewußt geworden sind und
diese in einen offenen Dialog einbringen; in einen Dialog mit Texten,
die einem vergangenen Wahrheits- und Wirklichkeitsverständnis verpflichtet
erscheinen und dennoch für uns Heutige zu sprechen beginnen
, wenn wir nicht nach den Vorstellungen fragen, die da einher-
kommen, sondern nach den zugrundeliegenden Erfahrungen von
svirklichen Menschen.

Dieses Kapitel bringt eine Fülle wichtiger und richtiger Beobachtungen
und Hinweise, zeitigt aber auch einige Mängel. Vogt redet
2War viel von „Erfahrungen", vermag es aber durchaus nicht, seinen
Begriffsgebrauch angemessen zu verantworten. Das aber wäre bei
diesem bemerkenswert unaufgeklärten Begriff unabdingbar, wenn der
Leser Gewinn ziehen soll aus den Erwägungen. Undeutlich bleibt
auch, was in diesem Kapitel „Hermeneutik" ist. Wo steht die Brücke

wirklich, auf der wir zwischen dem damaligen Glauben und heutigem
Leben hin- und hergehen können? Da genügt es nicht, die existentiale
Interpretation Bultmanns als ungenügend zu avisieren und in der
Folge im Grunde nichts Neues beizubringen, das geklärt ist.

Das 3. Kapitel ist der Darstellung und kritischen Würdigung sog.
„ganzheitlicher" Formen der Bibelarbeit gewidmet:

- einem brasilianischen Modell des katholischen Theologen Carlos
Mesters, in dem einem konkreten „Lebenstext" kleiner Leute ein
Bibeltext aus einem ähnlichen Kontext gegenübergestellt wird als
„Antigeschichte", in deren Licht das eigene Leben eine neue Perspektive
gewinnen kann. Ein unterdrücktes Volk gewinnt mit der Bibel in
der Hand Mut zur Freiheit. Die Funktion des Theologen besteht dabei
darin, dem Leser bzw. Hörer durch bestimmte Fragen zu eigenem
Nachdenken zu verhelfen, Lebensfragen und Glaubensantworten miteinander
zu vermitteln.

- einem Modell des Neutestamentiers Walter Wink aus den Vereinigten
Staaten, in dem der Theologe als eine Art „Lotse" den Leser
in die Lage versetzt, hinter die Texte zu dringen zu jenen Fragen, die
ursprünglich die biblischen Texte hervorgetrieben haben. Erst dann
ist es Zeit, die eigene Lebenserfahrung ins Spiel zu bringen, und das
nicht nur auf der Ebene des Denkens, sondern ebenso des Gefühls und
der Intuitionen. Übereinstimmungen und Dissonanzen zwischen Text
und Hörer treiben das Gespräch vorwärts. Ein weiteres wichtiges Moment
sind die „praktischen Übungen", Pantomimen, Rollenspiele,
Gestaltübungen u. a„ welche dazu verhelfen, daß ein Text in die Biographie
des Menschen dringt.

- einem schweizerischen Modell erlcbnisorientierter Bibelarbeit,
das in drei Phasen seinem Ziel der Vermittlung zwischen Tradition
und Situation zustrebt; in einer „Projektiven Phase" (Wie kommt
dieser Text bei mir an?), einer „Analytischen Phase" (Was sagt der
Text aus?) - hier ist der Theologe gefragt, und einer „Aneignungs-
phasc" (Wohin und wie führt mich der Text weiter?).

Alle drei Modelle dokumentiert Vogt mit Beispielen. Die jeweilige
kritische Würdigung ist leider etwas zu kurz geraten und deshalb im
Grunde wenig erhellend; das auch deshalb, weil die Kriterien, welche
der Würdigung zugrundeliegen, viel zp wenig geklärt erscheinen. Die
Kapitel 4-6 „Die didaktisch-methodische Struktur der Bibelarbeit".
„Erfahrungen mit einem Bibelseminar" und „Frucht der Bibelarbeit
für Theologie und Kirche" versuchen an exemplarischen Texten und
Praxisbeispielen darzulegen, welche „didaktischen", der Vf. meint
wohl „methodischen" Schritte, am meisten Hilfe versprechen (4), zu
welchen Erfahrungen konkrete Bemühungen geführt haben (5) und
was theologisch und kirchlich zu klären bleibt im beschriebenen
Handlungsfeld (6).

Alle drei genannten Kapitel erbringen wichtige Einsichten, leiden
aber sehr unter vielen Wiederholungen, einer riesigen Menge an
Kurzinformationen, die so nicht realisiert werden können (1 Seite zur
„narrativen Theologie", 1 Seite zu einer „Theologie aus Erfahrungen
" etc. etc.). Hier wäre weniger mehr gewesen.

Ich schließe meine viel zu kurze Besprechung mit einigen Bemerkungen
zu dem, worum es dem Vf. aufjeder Seite geht, zur „Ganzheit-
lichkeit". Sie kommt am besten in seinem Referat eines Bibliodramas
zum Ausdruck, das anläßlich des Kirchentags in Hamburg 1981 „gespielt
" worden ist. Es ging um den „Auszug aus Ägypten". Eine
Gruppe junger Leute drängt sich durch den Hauptgang nach vorne,
mitten durch die Menschenmenge, und alle rufen gemeinsam: „Wir
haben nichts zu verlieren außer unserer Angst". Und dann eine Mitspielerin
: „Wir haben es satt, wir sind vollgefressen, wir haben keine
Zeit mehr zum Verdauen." . . . „Ich möchte mehr Phantasie und
weniger Beherrschung . . ." Dann kommt der Sprecher: „Als es dem
König von Ägypten angesagt worden war . . ., jagten ihnen die Ägypter
nach mit Rossen . . ." Trommelwirbel „kommentieren" die
Worte. Und dann die Angst. Mit Angstmasken wird sie verdeutlicht.
Das ist ganzheitlich. Texte werden leibhaftig nachvollzogen, gefühlt,
geschmeckt, verkörpert, gespielt und erfahren. So hat Israel seine Traditionen
überliefert: im Drama. Hier ist einiges zu lernen. „Wort" ist