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Ausgabe:

1986

Spalte:

627-628

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Loh, Johannes

Titel/Untertitel:

Gott der Vater 1986

Rezensent:

Kiesow, Ernst-Rüdiger

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Seite 1

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627

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 8

628

Luther. Henning: Praktische Theologie als Praktische Wissenschaft. Werk
und Konzeption Friedrich Niebergalls(ZThK 82, 1985,430-454).

Weymann, Volker: Gegensatzerl'ahrungen. Zum Praxisbezug Praktischer
Theologie(ZThK 82,1985,455-476).

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Loh, Johannes: Gott der Vater. Ein Beitrag zum Gespräch mit der
Psychologie über den praktisch-theologischen Sinn der Vater-
Symbolik. Frankfurt/M.-Bern-New York: Lang 1984. 299 S.
m. Abb. 8° = Erfahrung und Theologie. Schriften zur praktischen
Theologie, 7. Kart. sfr67.-.

Der umfangreiche (eng bedruckte!) Band geht auf eine Dissertation
zurück, die 1982 von der Evangelisch-theologischen Fakultät in Bonn
angenommen wurde. Ihm ist ein Geleitwort von Henning Schröer beigegeben
, der die Arbeit betreut hatte. Wie der Untertitel zeigt, handelt
es sich um eine interdisziplinäre Untersuchung, „um der mythologischen
, psychologischen und soziologischen Momente ansichtig zu
werden, die in der Vater-Titulatur beschlossen liegen" (10). Praktisch
-theologisch orientiert ist die Arbeit insofern, als sie, durch die
gesellschaftliche Vater-Krise der Gegenwart veranlaßt, vor allem auf
die religionspädagogischen Konsequenzen der theologischen Vater-
Prädikationen abhebt. Aber sie betrifft mit dem untersuchten Material
, der angewandten Methode und der anspruchsvollen Zielstellung
keineswegs nur die Praktische Theologie im herkömmlichen Sinne.
Der Autor meint im Anschluß an H. Schröer. daß die Praktische
Theologie ihre Prolegomena selbst schreiben müsse (20); doch was er
dann darzustellen unternimmt, sind alles andere als „Prolegomena
".

Die Grundthese von Loh lautet: ...Gott-Vater'als sehr altes Symbol
für das biologisch-kreatianische Woher und für die Dimension des
Geistes im Gegenüber zur .Materie' kann als theologisches Interprcta-
ment in vorzüglicher Weise das dynamische ErgrifTenwcrdcn ,im
Geist' durch Gott mitsamt dem Woher und dem Wohin der göttlichen
Geistes-Richtung unter heilsgeschichtlichem Aspekt symbolisieren."
(19) Um diese weitreichende Behauptung zu erhärten, hat der Autor
nicht nur die (Tiefen-) Psychologie bemüht, wie der Untertitel vermuten
läßt, sondern die gesamte Kultur-, Rcligions- und Symbolgeschichte
, soweit sie das mythische, theologische und anthropologische
Denken in paternalen Kategorien widerspiegelt. Eine detaillierte
Erörterung oder kritische Uberprüfung der hier verarbeiteten
Erkenntnisse und Hypothesen würde den Rez. vor eine unlösbare
Aufgabe stellen, zumal eigentlich nur Experten der einzelnen Wissenschaftsdisziplinen
für ihren jeweiligen Bereich kompetente Urteile
über die der Studie von Loh zugrundeliegenden Fakten oder Prämissen
abgeben könnten. Lediglich einige Eindrücke vom Aufbau
und den Tendenzen des Autors sollen im Folgenden vermittelt
werden.

Die dreiteilige Darstellung beschreibt und wertet unter A. „Theologische
Positionen" (23-67). Nach kurzen Hinweisen auf patriarchalische
Aussageformen in religions- und kirchengeschichtlichem Kontext
wendet sich Loh der Theologie K. Barths zu, in der die Vaterschaft
Gottes u. a. als ewige Seinsweise des göttlichen Wesens erscheine
, ohne daß die anthropologischen und soziologischen Implikationen
der Vater-Prädikationen in ihren geschichtlichen Wandlungen
genügend berücksichtigt seien. Das theologische Vaterbild Gottes
könne von den Veränderungen in der nach-patriarchalischen Gesellschaft
nicht unberührt bleiben. Tillichs Symboldenken bietet sich als
eine zeitgemäße Lösung an, aber nach Loh beschreibt Tillich „entscheidende
Wescnsmerkmale des Seins-Selbst als .Vater' mit Mutter-
Symbolen" (z. B. Grund. Abgrund, Ursprung) und deshalb müsse
man fragen, „ob und wie weit Tillichs Interpretation den biblischen
Sinn des Vater-seins Gottes trifft" (67).

Im Teil B. „Tiefenpsychologischc Anfragen" (69-128) setzt sich
der Autor zunächst mit Freuds Auffassung von Gott als ödipalcr
Vater-Projektion auseinander, die er trotz gewisser Wahrheitsmomente
doch für unhaltbar erklärt. Zur Begründung führt er im
Weiteren u. a. die in der späteren Psychoanalyse gewonnenen Ansichten
über die prä-ödipale, d. h. vorwiegend matcrnal bestimmte, Phase
der Psychogencsc an. Recht positiv werden Jungs Beiträge zur Symbolpsychologie
aufgenommen: „Überzeugend legt er dar, daß der
Vater-Archetyp das Geist-Prinzip symbolisiert." (101) Auch Freud
und seine Schule haben nach Loh die Korrelation zwischen Väterlichkeit
und Geistigkeit nicht ganz bestritten, letztere aber mehr im Sinne
einer Intelligenz-Funktion verstanden. „Demgegenüber leuchtet es
ein, mit C. G. Jung .Geist' als anthropologische Grundbefindlichkeit
zu fassen, die energetisch erfahrbar ist und polar zur biologischen
Triebnatur deren formendes Regulativ darstellt und physiologische
Prozesse auf psychischer Ebene zu Archetypen gestaltet," (125) Der
Geist sei das Formprinzip, das in allen Archetypen und Instinkt-
Ordnungen, seien sie maternalcr oder paternalcr Art, auftritt und das
sich sowohl in der Phylogenese wie in der Ontogenese phascnspez.i-
fisch nachweisen lasse.

Dies wird dann auch für das theologische Reden von der Geist-
Ergriffenheit durch das Vater-Symbol behauptet, wie der folgende
Hauptteil C. „Elemente einer Antwort" (129-264) in großer Ausführlichkeit
darlegt. Die religionsgeschichtlichen und die biblischen
Gott-Vater-Vorstcllungen sowie darüber hinaus die moderne Psychogencsc
nach dem bekannten Acht-Phasen-Modell von Erikson werden
hier unter dem Gesichtspunkt erörtert: Die im „Vater-Symbol gemeinte
Gott-Mensch-Rclation inkorporiert sich in die entwicklungsbedingten
Veränderungen/Variationen des Vaterbildes (Logos als Variable
), angefangen vom matcrnalen Geist-Instinkt/uroborischen
Umgriffensein bis hin zur Partnerschaftlichkcit." (142) Der Autor hat
seine Thesen mit beachtlichem Aufwand an Gelehrsamkeit und Be-
Iescnheit entwickelt, aber - wie die Zitate belegen - auch kompliziert
genug formuliert. Die Geschlossenheit seiner Konzeption vermag zu
imponieren. Aber als Leser werde ich das Gelühl nicht los. daß das
Gebäude aus zu vielen hypothetischen Elementen errichtet wurde,
bei denen im einzelnen schwer zu entwirren ist, welche Feststellungen
auf beweisbaren und welche auf unbeweisbaren Erfahrungen oder
Spekulationen beruhen.

Kann es wirklich die Aufgabe der Praktischen Theologie sein, noch
dazu in einer Erstlingsarbeit, in solcher multidisziphnär ausufernden
Weise, „theoretisch die Modalität des pneumatischen Ergriffenwerdens
durch den göttlichen Geist zu erforschen und die Ermöglichung
menschlichen Ergriffen-werdens auf ihre Realität hin zu
durchdenken - soweit eben von menschlicher Seite aus solches Er-
grilfcn-werden zu ermöglichen ist " (203)? Könnte man nicht zu den
an sich beherzigenswerten „Konkretionen" (236-264), die freiI ich
auch manche Banalitäten enthalten (z. B. im „Modell einer Unterrichtseinheit
für den Konfirmandenunterricht", 251-264), auf weniger
langen und problematischen Wegen hinkommen? In dem kurzem
Schlußabschnitt „Ausblick" (264-268) wird mit Recht auf die
Notwendigkeit hingewiesen, das Gott-Vater-Symbol in zeitgemäßer
Hermeneutik zu bewahren und nicht einfach durch Bilder von der
„Brüderlichkeit" oder „Partnerschaft" zu ersetzen. Auch die Ablösung
durch feministische Vorstellungen wäre kaum sinnvoll. Für
denkbar hält es der Autor allerdings, daß ein androgynes Gottes-
Symbol wie der Selbst-Archetyp nach C. G. Jung künftig an Bedeutunggewinnen
könne.

Das alles sind sehr wichtige Erwägungen, und insofern wird das
interessante Buch sicherlich Leser finden, die sich zur weiteren Bearbeitung
dieser Problematik anregen lassen. Eine empirische Erhebung
über die Relevanz heutiger Gott-Vater-Aussagcn in Theologie
und Gemeinde auf solider Grundlage würde m. E. aber mehr Aulschluß
geben als die Fortführung symbolgenetischer Konstruktionen
.

Rostock Emst-Rüdiger Kiesow