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Ausgabe:

1986

Spalte:

608-609

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kretschmar, Georg

Titel/Untertitel:

Die Offenbarung des Johannes 1986

Rezensent:

Meier, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 8

608

schäftsführer der Zeitschrift „Die Eiche", Hilfssekretär des „Internationalen
Versöhnungsbundes, deutscher Zweig" und Mitarbeiter der
„Sozialen Arbeitsgemeinschaft, Berlin-Ost". Dabei fand er die Themen
und Aufgaben, für die er sich sein ganzes Leben lang engagierte:
die Ökumene, die soziale Verantwortung und Friedensbestrebungen.
In vier aufeinander folgenden Exkursen beschreibt Röhm die Geschichte
und Arbeitsweisen des „Weltbundes für internationale
Freundschaftsarbeit der Kirchen", des „internationalen Versöhnungsbundes
", der „Sozialen Arbeitsgemeinschaft, Berlin-Ost" sowie
der „Friedensbewegung in der Weimarer Republik". In diesen Gruppen
, die kirchlich und politisch vielfach angefeindet waren, gewann
Stöhr seine ökumenische Perspektive und seinen radikalen Pazifismus
(Definition: S. 245, Anm. 45). Es wird auch deutlich, daß er ein
schwieriger Mann mit persönlichen Eigenheiten war, die ihn selbst
innerhalb dieses Kreises nicht dauerhaft Fuß fassen ließen. Aus (vermutlich
) wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Zeitschrift „Die Eiche"
mußte er aus ihrer Geschäftsführung ausscheiden und fand eine
Anstellung als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter beim „Centraiausschuß
der Inneren Mission" (1926-1928). Dort untersuchte er die
europäische Wohlfährtsgesetzgebung, um dem Centraiausschuß die
Aufgabe der Koordinierung von Hilfsmaßnahmen europäischer diakonischer
Verbände zu verleichtern. Diese Beschäftigung endete,'
nachdem er sich in einigen kirchlichen Zeitschriften mit der Haltung
der deutschen evangelischen Kirchenleitungcn und Pfarrer in dem
gerade konstituierten polnischen Staat kritisch auseinandergesetzt
hatte und schließlich dem Druck seiner Gegner weichen mußte. Zwar
erhielt er noch durch Vermittlung des Centraiausschusses ein Stipendium
für einen Amerikabesuch, den Ertrag der Studien konnte er aber
erst 1936 im eigenen Verlag unter dem Titel „So half Amerika. Die
Auslandshilfe der Vereinigten Staaten 1812-1930" veröffentlichen.
Stöhr war bereits vorder offenen Herrschaft der Nationalsozialisten in
Deutschland isoliert.

Seit 1933 widersprach Stöhr der herrschenden kirchlichen Stimmung
und Ausrichtung noch energischer: Er protestierte beim Ev.
Oberkirchenrat und bei Reichsbischof Müller gegen die politische
Anpassungsbereitschaft ebenso wie gegen die Verweigerung des Einsatzes
für bedrängte Juden; er verweigerte seine Zustimmung zum
Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. Als Hitler 1935 die allgemeine
Wehrpflicht einführte, zeichnete sich der drohende Konflikt
für Stöhr ab, da er zu keiner Form von Waffendienst bereit war. Trotzdem
entzog er sich der möglichen Einberufung nicht. Röhm verdeutlicht
die Position Stöhrs in einem Vergleich mit Bonhoeffcr, indem er
dessen situationsbedingten Pazifismus den radikalen, aus der Bergpredigt
gespeisten Pazifismus Stöhrs gegenüberstellt. Beide Männer
kannten sich aus Stettin bzw. Finkenwalde zwar, aber es blieb eine
deutliche Distanz, u. a. wohl auch deshalb, weil Stöhr nicht in der
Bekennenden Kirche mitarbeiten wollte. Statt dessen sammelte er
einen eigenen Kreis von Christen in Stettin um sich.

Auf fast 80 Seiten stellt Röhm den letzten Lebensabschnitt Stöhrs
dar. Im März 1939 erhielt er eine Einberufung zu einer Wehrübung.
Er antwortete mit seiner grundsätzlichen Verweigerung allen Waffendienstes
. Im August 1939 wurde er verhaftet. Die drei Kriegsgerichtsverfahren
und die Versuche seiner Rettung werden minutiös beschrieben
, soweit das die Quellen gestatten. In der Haft hat Stöhr - ähnlich
wie Bonhoeffer - literarisch gearbeitet; ein Laienspiel zum Thema
„Nachfolge" ist erhalten geblieben, das den Versuch einer Sclbstver-
gewisserung auf dem Weg in den Tod darstellt. Am 21.6. 1940 wurde
Stöhr in Plötzensee hingerichtet.

Röhm hat für dieses Buch umfangreiche und ungewöhnlich ertragreiche
Quellen erschlossen; er hat Stöhr eine jetzt deutlich wahrnehmbare
Gestalt gegeben. Das ist ein großes Verdienst. Er hat das Buch mit
gutem Bildmaterial und zahlreichen Dokumenten ausgestattet. Eine
Hilfe stellen die Nachweise von Literatur und Quellen dar, wobei ein
Registerdcrim Buch wiedergegebenen Briefe Stöhrs leider fehlt.

Obgleich das Buch nicht allein aus historischem Interesse entstanden
ist, genügt es doch den Ansprüchen wissenschaftlicher, kritischer

Arbeit. Ob aber Stöhr eine Identifikationsfigur für die Friedensbewegung
der BRD in der Gegenwart sein kann, ist gerade nach der differenzierten
Darstellung seiner Stärken und Schwächen fraglich. Diese
Frage ist offenbar Röhm selbst bewußt gewesen, da er den Titel des
Buches im Abschlußkapitel problematisiert; „Sterben für den Frieden
?" Dieses Fragezeichen ist wichtig, weil das Leben für den Frieden
das eigentliche Thema auch dieses Buches ist. Ein Außenseiter in
Kirche und politischem Leben hat eine eindrucksvolle Darstellung
erhalten; auf solche Leute zu achten, bleibt eine Aufgabe.

Naumburg Martin Onnasch

Dogmen- und Theologiegeschichte

Kretschmar, Georg: Die Offenbarung des Johannes. Die Geschichte
ihrer Auslegung im 1. Jahrtausend. Stuttgart: Calwer 1985. 164 S.
8° = Calwcr Theologische Monographien, 9. Kart. DM 28,-.

Diese Monographie von Georg Kretschmar setzt die Reihe der
Untersuchungen fort, die in den letzten Jahren zur Geschichte der
Auslegung der Johanncsoffcnbarung erschienen sind.

Nach dem Vorwort war die hier vorgelegte Arbeit „ursprünglich als
Hinführung zu den Darstellungen aus der Welt der Apokalypse in der
mittelalterlichen Kunst gedacht" (S. 9).

Vf. geht so vor, daß er in einem I. Teil „Die jüdische Apokalyptik
als Traditionshintergrund des letzten Buches der Bibel" auf wenigen
Seiten skizziert (S. I 1-18). Wichtig ist dabei, daß er die Apokalyptik
„als neue Gestalt der Prophetie" (S. II) begreift. Apokalyptik will
„Prophctie im Sinne der Zukunftsschau sein" (S. 14). Die Apokalyptik
hält das „Interesse an Geschichte als Weltgeschichte" wach (S. 15).
Insofern ist es richtig, „daß die Apokalyptik die Mutter der europäischen
Geschichtsphilosophic und letztlich damit der Konzeption
einer universalen Geschichte geworden sei" (ebd.).

Der II. Teil behandelt die Apk unter der Überschrift „Das Buch der
Verheißungen in Bildern" (S. 19-68). Die Apk entspringt wie die
übrigen johanneischen Schriften einem „kleinasiatischen Prophetenkreisels
) palästinensischen Ursprungs", den man auch als „johan-
neische Schule" bezeichnen könnte (S. 24f). Mit besonderer Sorgfalt
wird hier der Aulbau des Buches (1-3; 4-5; 6-1 1; 12; 13; 14,1-6;
14,7-16,21; 17-18; 19-20; 21-22) nachgezeichnet. Wohltuend ist
die Zurückhaltung in der Einzcldcutung der Bilder. Z. B. wird OlTb 13
keineswegs prinzipiell mit Nero verbunden („dies mag Anspielung
auf die Regeneration des Reiches nach den Wirren sein, die dem Tode
Neros 68 folgten", S. 42).

Mit Teil III. (Die Apokalypse in der christlichen Frühzeil) beginnt
die Auslegungsgeschichte. Dieser Teil ist in Anbetracht des dazugehörenden
Stoffes der knappste (S. 69-79). Hier wird das Gewicht
der klcinasiatischen (chiliastischcn) Deutung betont (Irenäus. Hippolyt
, Methodius). Zweifel an der Kanonizität der Apk sind „letztlich
theologisch motiviert" (S. 78) und verschwinden nach einiger Zeil.

Der folgende (IV.) Teil beschäftigt sich mit der Johannesoffenbarung
in der griechischen Kirche und im übrigen Orient (S. 80-90).
Hier ist der Einfluß kunstgcschichtlichcr Aspekte spürbarer (vgl. Vorwort
).

Vom V. Teil an („Die Johannesoffenbarung in der lateinischen
Kirche") wird die Darstellung ausführlicher (S. 9l-l 15). Frühchristliches
, chiliastisches Erbe wirkt bei Victorin von Pcttau fort. Das
Schwergewicht in diesem Teil kommt Ticonius und Augustin zu. Des
Ticonius Thesen sind „aus der christlichen Theologie des Abendlandes
nicht mehr fortzudenken" (S. 95). „Gelehrte Sammler" wie
Hieronymus. Cassiodor, Primasius prägen das Verständnis der Apk
im Mittelalter entscheidend mit (S. 107IT). Wichtig ist als Ertrag der
Väterexegese in der lateinischen Kirche: „Die Johanncsoffcnbarung
wird im Kontext der ganzen Heiligen Schrift verstanden", und für die
Endzeit werden „Geschehnisse in Raum und Zeit erwartet"
(S. 113).