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Ausgabe:

1986

Spalte:

604-605

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Iserloh, Erwin [Hg.]

Titel/Untertitel:

Katholische Theologen der Reformationszeit, 2. 1986

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 8

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sehen oder jedenfalls vernachlässigt hat, und er ist im Recht, wenn er
seine Untersuchung - eine Leipziger Dissertation zur Verleihung des
Dr. sc. theol. - in diesem Sinn als bahnbrechend empfindet.

Das Buch ist uneinheitlich komponiert. Unter den fünf Kapiteln
nimmt das zweite allein weit über die Hälfte des Gesamtumfangs ein;
die anderen vier, die alle bereits früher als Einzelaufsätze erschienen
sind, wirken wie Ergänzungen zu diesem, zum Teil als Exkurse, in
denen Darlegungen des Hauptkapitels weiter ausgeführt werden;
Langatmigkeiten, Häufungen des Stoffs und Wiederholungen sind
nicht ganz vermieden.

Jenes Hauptkapitel (S. 63-239) handelt von den „Beziehungen
Luthers zu Humanisten während seiner Schul- und Studienzeit", bietet
in Wahrheit aber mehr als das. Nicht nur wird zusammengestellt,
was für die frühen Jahre über persönliche Zusammenhänge Luthers
mit Humanisten (Crotus Rubeanus, Johann Lang, Spalatin) oder die
humanistischen Interessen anderer Partner - seine Schullehrer (womöglich
schon in Magdeburg und Eisenach?), artistische Professoren
und Ordensbrüder - bekannt ist, sondern auch was sich über humanistische
Studien und Kenntnisse in seinem Werk ermitteln oder
erschließen läßt. Wenn man dem Vf. folgen will, kommt sehr viel
zusammen. So kann Luther während seines artistischen Studiums
geradezu „zum Marschalkkreis gehörig gezählt werden" (92), d. h. zu
den Schülern des freilich bereits 1502 aus Erfurt nach Wittenberg
übergesiedelten humanistischen Dozenten und Publizisten Nikolaus
Marschalk, der in Erfurt eine ganze Reihe humanistischer Druckwerke
produziert und die Beschäftigung mit den alten Sprachen (einschließlich
des Hebräischen) propagiert hatte (während „die Ausbildung
der humanistischen Persönlichkeit. . . damals in Erfurt nicht auf
der Tagesordnung gestanden zu haben" scheint - 91). Und diese
Schulung und Interessenrichtung läßt sich auch in den frühen Schriften
Luthers an vielen Stellen und in vielerlei Hinsicht nachweisen -
mir scheint besonders interessant, was der Vf. zur Bedeutung der
Kirchenväter beim frühen Luther (ausgehend von der ihm gegen Volz
und Oberman wieder zugeschriebenen Vorrede des Sentenzenkommentars
, die gegen Buchwald auf 1509 datiert wird) (108-143) sowie
über „Rhetorische Bemerkungen Luthers in seinen .Dictata super
Psalterium'" (248-273) ausfuhrt.

Auch in den übrigen Teilen des Buches ist an beachtlichen Darle-.
gungen und Beobachtungen kein Mangel. Doch hat es für mein Verständnis
auch seine Grenzen. Sehe ich recht, so überzieht der Vf.
seinen Beweis. Obwohl er sich immer wieder selbst zurücknimmt,
besteht doch eine Tendenz, in einer gewissen Widerborstigkeit der
herrschenden Meinung gegenüber nun sozusagen überall „Humanismus
" zu sehen und die Humanisten als eine definierte Partei aufzufassen
, so deutlich und überzeugend andererseits die wichtige Einsicht
der neueren Forschung festgehalten wird, daß die Grenzen zwischen
Scholastik und Humanismus fließend waren. Einige der Beweisgänge
des Vf. ähneln aufeinandergestellten Stelzen, manche Thesen - z. B.
die Annahme einer frühen Beziehung zwischen Spalatin und Luther,
früher Griechischkenntnisse des letzteren, der Verläßlichkeit des
Berichts von Oldecop über Luthers Romreise - erscheinen reichlich
gewagt.

Die Gesamtthese des Vf. ist, „daß Luther mit Hilfe humanistischer
Wissenschaftsmethoden zu seiner Theologie gekommen" ist (8). Dies
ist jedoch nicht als eine inhaltliche Aussage gemeint; Luther war kein
Humanist, kannte aber die „humanistische Methode des Umgangs
mit den Quellen" (175), wendete sie an und fand so den Weg zum Sola
scriptura - das Verständnis der Bibel als Wort Gottes war „der Ausgangspunkt
" seiner Theologie (287). So ist das Resultat des Buches
konventioneller, als manche Einzelpassage erwarten läßt - ein Satz
wie der von O. H. Pesch (Hinführung zu Luther, 21983, 299); „Ich
kenne keine Untersuchung, die zwingend bewiesen hätte, daß ein
zentraler Gedanke der Theologie Luthers sich maßgeblich der Anregung
durch den Humanismus verdankt", wird auch von J. nicht
widerlegt und auch wohl nicht bestritten. Der Gewinn, den das Buch
mit sich bringt, ist dennoch unverkennbar. Er dürfte vor allem darin

liegen, daß die Lutherforschung sich Erkenntnissen der modernen
Humanismusforschung öffnet. Daß sich im Gefolge hiervon bestimmte
Erstarrungen des Luther-Bildes lösen werden, wird man
erwarten dürfen.

Einige kleine Fehler: S. 43 Z. 1 v. o. Laasphe; S. 122 Z. 4 v. o. futuros; S. 196
Z. 11 v. u. Complutenser; S. 307 Z. 6 v. u.: Luther hat sich nicht selbst in die
Erfurter Matrikel eingetragen; bei den Namen Adliger bei jeder Nennung das
Adelsprädikat mitzuschleppen, ist eine (liebenswürdige) Marotte des Vf.
Göttingen Bernd Moeller

Iserloh, Erwin [Hg.]: Katholische Theologen der Reformationszeit,

2. Münster/W.: Aschendorff 1985. 136 S. m. 4 Abb. gr. 8' = Katholisches
Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung
, 45. Kart. DM 26,-.

Nach Jahresfrist bereits legt der Hg. zu den 13 Kurzviten altgläubiger
Kontroverstheologen der Reformationszeit (vgl. ThLZ III, 1986,
1190 ein Heft mit weiteren 10 biographischen Skizzen vor. Wiederum
sind die Autoren Sachkenner: Jos E. Vercruysse: Jacobus Lato-
mus; Remigius Bäumer: Bartholomäus von Usingen OESA; Theobald
Freudenberger: Hieronymus Dungersheim; Remigius Bäumer.
John Fisher; Hubertus Schulte-Herbrüggen: Thomas Morus; Peter
Fabisch: Jodocus Clichtoveus OP; Remigius Bäumer: Friedrich
Nausea; Ulrich Horst: Ambrosius Catharinus OP; Klaus Ganzer:
Girolamo Seripando OESA; Heribert Smolinsky: Michale Holding.
Mit Ausnahme des Beitrages über Seripando (8 S.), sind die Darstellungen
wesentlich umfangreicher (11-16S.). Eine Sonderstellung
nimmtVercruysses Latomus-Darstellung (20 S.) ein, die als Abdruck
aus Gregorianum 64 (1983) ihren Aufsatzcharakter unverändert beibehalten
hat (Anmerkungsapparat anstelle eines summarischen Literaturverzeichnisses
am Ende der Kurzviten).

Ein großer Kreis der an der Reformationsgeschichte Interessierten
wird das Heft dankbar aufnehmen, zumal es für den deutschen
Sprachbereich Leben und Werk der meisten dargestellten Kontroverstheologen
gut lesbar erschließt. Latomus beispielsweise wurde in der
Regel vor allem von Luthers Position aus zur Kenntnis genommen.
Über einige der porträtierten Theologen existiert so gut wie keine
neuere deutschsprachige Literatur (z. B. Fisher, Clichtoveus, Morus
als kontroverstheologischer Schriftsteller). Freudenbergers Beitrag ist
wohl der erste Versuch einer ausführlicheren biographischen Würdigung
des Leipziger Theologen Dungersheim überhaupt. Hierzu wie
auch im Blick auf den einen oder anderen Beitrag lassen sich Ergänzungen
und Korrekturen anmerken. Die Daten der akademischen
Laufbahn entsprechen nicht in allen Fällen den Angaben der Matrikel
(38): die Zwickauer Marienkirche war keine „Domkirche" (38). Über
die Kontroverse zwischen Dungersheim und Egranus ist schon dem
Lutherbriefwechsel mehr zu entnehmen, als Freudenbcrger mitteilt
(41). Zum Streit um die St. Annen-Legende vgl. Otto Giemen: Kleine
Schriften zur Reformationsgeschichte. Hg. von Ernst Koch. Bd. 1.
Leipzig 1982, 127-133, 162 f. Ergänzungsbedürftig sind auch die
Angaben zum Streit über die Mühlhäuser Konditionaltaufen des
Jahres 1525 und zum Flugschriftenkampf des Eilenburgcr Schumachers
Georg Schönichcn (43). Im Beitrag zu Usingen wird Johannes
Lang zu Unrecht vorgeworfen, er habe „an der Spitze der Radikalen
" in Erfurt gestanden (80). Der böhmische Adlige und Humanist
Ulrich Velenus (Oldfich Velensky) dürfte nicht mehr so bekannt sein,
daß es genügte, ihn ohne erläuternde Bemerkungen nur als Leugner
des römischen Aufenthalts von Petrus zu nennen (52 und 54). Die aus
WA Br. 7, 330 zitierte Äußerung Luthers, in der er den Kardinälen,
Päpsten und Legaten den Tod wünscht, wird von Bäumer ohne Bezug
auf den Zusammenhang angeführt (65).

Die wohlwollende Würdigung der 10 altgläubigen Kontroverstheologen
läßt erkennen, wie wenig sie bei aller Gelehrsamkeit und aufopfernden
Tätigkeit für die altgläubige Position ein wirkliches Gegengewicht
zum reformatorischen Aufbruch zu schaffen vermochten.
Hatten doch die Lehrdifferenzen selbst für einen so reformoffenen
Theologen wie Friedrich Nausea nur sekundäre Bedeutung angesichts